sich im Sessel auf.
„Was denn noch?”
Malvoisin muß sich erneut räuspern.
„Ihr Sohn wurde entmannt.”
Kröger springt auf und schreit.
„Was? Entmannt?” Der Kapitän senkt seine Stimme wieder und preßt hervor: „Welches Schwein …”
„Wir wissen noch nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war oder beides.”
Kröger setzt sich wieder, scheint den ersten Schreck bereits überwunden zu haben und spricht deutlich leiser.
„Wo ist mein Sohn?”
„Er wurde in die Rechtsmedizin nach Lübeck gebracht.”
„Kann ich meinen Jungen sehen?” Der Kapitän wirkt auf Malvoisin erstaunlich gefaßt.
„Selbstverständlich. Darum hätte ich Sie ohnehin bitten müssen, um ihn zu identifizieren. Sind Sie abkömmlich?”
Kröger steht wortlos auf und tritt vor sein Büro. „Frau Meinrad, lassen Sie Fregattenkapitän Hendersmann bitten, mich für heute zu vertreten. Mein Sohn Malte ist tot …”
Frau Meinrad schlägt die Hände vors Gesicht.
„Um Gotteswillen, Herr Kapitän − weiß Ihre Frau schon? Der arme Junge!”
„Nein, sie weiß es noch nicht. Das bringe ich ihr bei, wenn ich aus Lübeck zurückkomme. Weisen Sie Kapitän Hendersmann kurz ein, im übrigen vorerst absolutes Stillschweigen, verstanden? Ach, und die Besprechung mit den Lehrgruppenkommandeuren findet morgen um 9 Uhr statt. Keine Begründung!”
Kröger sieht seine Sekretärin streng an.
Frau Meinrad schluchzt deutlich.
„Jawohl, Herr Kapitän, Stillschweigen, Besprechung morgen.”
Kröger setzt seine weiße Schirmmütze auf. „Lassen Sie uns fahren.”
*
Malvoisin und Kapitän Kröger betreten die Rechtsmedizin in Lübeck, wobei Malvoisin als ortskundig vorgeht. Er bedeutet Kröger, kurz zu warten. Malvoisin sucht Professor Anderson, den er an seinem Arbeitsplatz findet, angetan mit grüner Kleidung und Gummischürze.
„Hallo, Klinge!”
Anderson dreht sich zu ihm um.
„Ah, Malle. Ich wollte gerade mit der näheren Untersuchung unseres Gehenkten anfangen …”
„Warte noch. Ich habe seinen Vater draußen, um ihn zu identifizieren.”
„Oh ja, dann haben wir das hinter uns. Wie hat er die Nachricht aufgenommen?”
„Erstaunlich gelassen, nur das nicht.”
Malvoisin macht eine Schnittbewegung mit Zeige- und Mittelfinger.
„Verstehe.”
Malvoisin geht hinaus und holt Kapitän Kröger in den Obduktionssaal, führt ihn an den Untersuchungstisch; beide treten zum Kopfende. Anderson hebt das Abdecktuch hoch und schlägt es bis zum Brustkorb zurück. Kapitän Kröger tritt heran und betrachtet seinen Sohn.
„Herr Kapitän …?”
„Ja, Herr Kommissar, das ist mein Sohn Malte.”
Er stockt.
„Nein, das war mein Sohn.”
Kröger stockt erneut, betrachtet mit regungsloser Miene seinen Jungen.
„Das ist nur noch seine geschundene Hülle.”
Kapitän Kröger faßt das Abdecktuch an; es macht den Anschein, als wolle er es ganz wegziehen.
„Nicht, tun Sie sich das nicht an!”
Malvoisin faßt Kröger unwillkürlich am Unterarm. Der sieht ihn scharf an, worauf Malvoisin ihn losläßt, und preßt hervor:
„Ich habe meinen Sohn nackt gesehen, als er geboren wurde, ich habe ihn nackt gesehen, als ich ihn wickelte, ich habe ihn nackt gesehen, wenn ich ihn badete, ich habe ihn nackt am Strand gesehen, ich habe ihn nackt in der Sauna gesehen, ich habe ihn nackt gesehen, wenn er sich in meinem Garten sonnte …”
Kröger wird dabei immer lauter und schreit fast.
“…, und ich werde ihn nun nackt im Tode sehen!” Damit reißt er das Tuch weg, erstarrt, läßt es fallen, verfällt in Stoßatmung, zieht hörbar den Atem durch die Nase ein, schwankt, wehrt Malvoisin ab, als der ihn halten will, ergreift im selben Augenblick mit festem Griff dessen rechten Unterarm, wendet sich ihm zu. Sein Gesicht bebt, und er zischt:
„Finden Sie die Bestie, die das getan hat, und finden Sie sie schnell, ehe ich es tue.”
Kröger läßt Malvoisin los, der schweigend verharrt, den direkten, starren Augenkontakt ausgehalten hat, und geht hinaus.
„Puh, da möchte ich aber nicht in der Haut derjenigen stecken, die Du finden mußt, ehe der Mann sie erwischt!”
Malvoisin, sich fassend, wendet sich Anderson zu: „Wie kommst Du darauf, daß wir eine Täterin und nicht einen Täter suchen?”
„Oh, da gab es mal einen berühmten Fall in Japan in den 30er Jahren vor dem Krieg. Eine Sexsüchtige hat ihrem fleißigen Liebhaber das beste Stück abgeschnitten, nachdem sie ihn als übersteigerten Akt erwürgt hatte, und lief damit noch tagelang in Tokio herum. Das ein Mann das tut ist eher unwahrscheinlich, plagen uns doch alle heimlich, still und leise Kastrationsängste.”
Malvoisin ist erstaunt.
„Na, Du kennst ja tolle Schweinereien!”
Anderson bleibt gelassen.
„Das läppert sich im Laufe der Jahre. − Im übrigen sollten wir von mehreren Tatbeteiligten ausgehen …”
„Wie kommst Du darauf?”
„Wir haben hier einen zu Lebzeiten sehr kräftigen Mann vor uns, vermutlich bestens trainiert, sportlich. Der hat nicht einfach stillgehalten. Die erste Betrachtung hat ergeben, daß er keine Blutergüsse von Schlägen hatte, aber Druckstellen an den Handgelenken und Unterarmen, und eine Verletzung am Kopf, die geblutet hat; er ist also niedergeschlagen worden. Und er war an den Händen gefesselt − sieh hier an den Handgelenken − …”
„… und an den Füßen?”
„Nein, er konnte noch laufen. Merkwürdig ist, daß er zwei Holzsplitter in einem Fuß hatte. Er hat sie nicht mehr herausgezogen, also muß er sie kurz vor seinem Tod eingetreten haben. Er hat leichtere Hämatome an beiden Ober- und Unterarmen. Das kann von kräftigem Zupacken stammen, muß aber nicht zwingend auf einen bösartigen Kampf hindeuten. Das kann auch von hitzigem Sport herrühren. Beachvolleyball zum Beispiel. Aber jetzt lasse mich meine Arbeit machen, Du willst schließlich noch heute meinen Bericht haben. Und bring’ den Vater zurück, den Mann kannst Du im Moment nicht allein lassen.”
Professor Anderson wendet sich der Leiche zu, blickt nochmals auf.
„Übrigens, habt Ihr seine wertvollsten Zentimeter gefunden?”
„Nein, den Penis haben wir nicht.”
Anderson macht eine hinausschickende Kopfbewegung und wirft die kleine Kreissäge zum Öffnen an.
Malvoisin wirft nochmals einen Blick auf den Toten und murmelt:
„Nee, das muß ich nich’ haben, nich’ vorm Essen“ und verläßt den Obduktionssaal. Er ist gar nicht so sicher, ob er vor dem Abend überhaupt zum Essen kommt und ob dann sein wunderbarer Matjestopf noch vorhanden sei. Er kennt die Begeisterung seiner Lieben, wenn er einen Matjestopf angesetzt hat. Da muß er stets aufpassen, noch etwas abzukommen. Insgeheim schreibt er ihn für dieses Mal ab.
*
Malvoisin