Josephine Becker

Rakna


Скачать книгу

gefolgt von Schleichen und Sprint.“ Hier gefiel es Rakna besonders. Als sie ihn betraten, war es, als befänden sie sich an der Oberfläche. Hier standen Bäume, Büsche, Felsen und Mauern aus massivem Stein. Sogar ein Flusslauf und mehrere Gräben waren zu erkennen. Weiter hinten umsäumten Bäume eine Lichtung, die von einem orangenen Bernstein ausgeleuchtet wurde. Der folgende Raum war nicht weniger beeindruckend. Auf mehreren steinernen Tischen standen verschiedenste Schalen, Gläser, Schüsseln und Flaschen. Die Wände waren reihum mit Blumen und Blättern, Wurzeln und Gräsern bemalt. Unter jedem Bild war etwas in fremdartiger Sprache geschrieben.

      „Echna? Was ist hier niedergeschrieben?“, fragte Rakna zaghaft.

      Echna zuckte bei dem Klang ihres Namens zusammen, als wäre sie aus ihren Gedanken gerissen worden.

      „Die Bezeichnungen und die Wirkungsweise der Pflanze. Warte kurz!“ Dann lief sie zu einem blauen Stein, der in eine Wand eingelassen war. Sie strich sanft über die glatte Oberfläche und er begann zu leuchten. Mit einem Mal blitzten alle Worte in demselben Farbton auf und verwandelten sich in andere Symbole. Echna wiederholte diesen Vorgang, bis Rakna laut aufschrie.

      „Das ist es, das sind unsere Schriftzeichen!“ Jetzt war es ihr möglich, die Inschrift zu lesen. Zum Beispiel hieß es, in dünnen Buchstaben unter einem büschelig aber weich aussehenden Strauch:

      Cotinus obovatus oder auch Rauchbusch, wächst meist in Gruppierungen als kleiner Baum oder großer Busch. Er liebt die Gesellschaft und kann mit vielerlei anderen Pflanzen kombiniert werden. Er hat folgende positive Eigenschaften: Wird verwendet um Angstzustände zu lindern und in einen angenehmen Zustand der Ruhe zu versetzen. Achtung! Bei einer Überdosierung neigt der Einnehmende zu maßloser Überschätzung oder zu starken Rauschzuständen mit Halluzinationen.

      Rakna berührte sanft die weiße gezeichnete Blüte und fuhr mit einem Finger über die Rispen der Pflanze. Auf einmal machte sie vor Schreck einen Satz rückwärts. Durch ihre Berührung schob sich etwas Weiches unter ihren Fingerspitzen hervor. Es wirkte, als würde das Gewächs direkt aus der Wand wachsen. Mit einem leisen Rascheln fiel sie zu Boden und das Bild im Gestein verblasste.

      „Oh ... Der Cotinus ist leer, wir müssen das Lager auffüllen lassen.“, sagte die Elfin, während sie die Pflanze aufhob. Schließlich zückte sie eine Feder und kritzelte etwas auf ein Stück Pergament.

      „Hier lernen wir Kräuter und Pflanzen erkennen und anzuwenden, für Heiltränke und Heilungsrituale. Tränke mit negativer Wirkung oder Angriffskraft sind leider verboten. Völliger Schwachsinn, wenn du mich fragst.“ Mit diesen Worten verließ Echna den Raum und Rakna war gezwungen, sich erneut zu beeilen, um mit ihr schrittzuhalten. Nun waren nur noch zwei Zimmer übrig. In dem Zimmer, das folgte, befanden sich unzählige steinerne Tische, wie Rakna sie schon gesehen hatte. Auf ihnen lagen nur Pergamentbögen und Federkiele, sowie hier und da, ein Stück Kohle. Vorne an der Zimmerfront stand in großen Buchstaben etwas geschrieben, das Rakna nicht zu entziffern vermochte.

      „Feindeslehre, langweilig aber wichtig.“, hieß es nur von Echna.

      „Hier kannst du auch unsere Schriftzeichen erlernen. Es ist eine tote Sprache, sie wird von fast niemandem mehr gesprochen. Nur, wenn seltene Magie gewirkt wird. Du bist also nicht verpflichtet, sie zu studieren, nur falls du möchtest.“, fügte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue hinzu, ganz als ob jetzt schon klar war, dass Rakna das tat. Zum Schluss betraten sie den ungewöhnlichsten Raum. Hier herrschte eine alles umfassende Dunkelheit. Außer einer brennenden Kerze im Zentrum des kleinen Zimmers, war hier nichts.

      „Da ist der Magieunterricht.“ Echna schmunzelte, als sie das vollkommen verdatterte Gesicht von Rakna sah, dann sagte sie belustigt:

      „Hier wirst du lernen, Magie zu wirken und wie du sie in die richtige Bahn lenkst.“

      „Glaubt ihr, dass ein Mensch zu so etwas überhaupt imstande ist?“, erkundigte sich Rakna skeptisch.

      „In jedem ach so kleinem Lebewesen und wenn es nur ein Schmetterling ist, steckt ein bisschen Magie, man muss sie nur finden und nutzen.“ Rakna fragte sich, was ein Schmetterling mit Zauberei zu tun hatte, während sie den letzten aller Lehrräume verließen. Es graute ihr schon jetzt vor dem Magieunterricht. Sie sah bereits vor ihrem inneren Auge, wie sie sich lächerlich machte. Rakna stellte sich vor, wie alle Anderen, wunderschöne Dinge hervorbrachten und sie Stunde um Stunde kein einziges Anzeichen von Magie aufweisen würde. Eine laute Stimme riss Rakna aus ihren düsteren Gedanken.

      „Da seid ihr ja! Ich habe alles nach euch abgesucht. Wie ich sehe, habt ihr die Besichtigung beendet. Gut ... Sehr gut.“ Es war Thuriell. Hinter ihr trat eine kleinere, zerbrechlich wirkende Elfe hervor.

      „Darf ich vorstellen, ein neues Mitglied für diesen Jahrgang. Das ist Tears, sie hat sich soeben dazu qualifiziert, an den Lehrstunden teilzunehmen.“ Die Elfin wirkte unglaublich jung. Ihr Blick war ängstlich aber neugierig. Ihre blonden, gelockten Haare reichten nicht mal bis zu den Schultern. Eine einzelne Locke hing ihr über die hellblauen Augen. Die vollen, roten Lippen verzogen sich zu einem nervösen Lächeln, welches sie noch hübscher aussehen ließ. Insgesamt erschien sie so zart, dass es nicht vorstellbar war, dass sie mit einem Schwert oder gar einen Hammer kämpfen sollte. Dann erhob sie ihre Stimme und Rakna war sich nicht sicher, ob es eine kluge Entscheidung von Thuriell war, Tears unterrichten zu lassen. Mit hoher, dünner Tonlage sagte sie:

      „Hallo Echna.“, dann wandte sie sich an Rakna.

      „Und du bist bestimmt Rakna? Ich bin Tears, sieht so aus, als wären wir jetzt beide neu hier.“ Es war nicht unangenehm, wie sie sprach, doch es erweckte unwillkürlich den Drang, sie zu beschützen.

      „Ich denke, es ist in Ordnung, wenn Rakna die Kammer neben Tears bekommt. Nur bitte achte darauf, dass die Herren weiter abseits ihre Schlafplätze haben.“, sagte Thuriell an Echna gewandt und sie wollte schon davonrauschen, als sie sich noch einmal an Rakna wandte.

      „Ich soll von Fenrick eine angenehme Zeit bestellen. Er ist wieder gegangen. Ist immer in Eile dieser Elf.“

      „Fenrick ist weg? Wohin ist er?“

      „Mein liebes Kind, glaubt ihr wirklich, Fenrick sagt mir, wo er hingeht? Ihr solltet Euch auf Euch selbst konzentrieren. Ihr habt jetzt eine Aufgabe hier, der Ihr Eure ganze Aufmerksamkeit widmen solltet, wenn ihr mithalten wollt. Schon bald waren die Schritte von Thuriell verklungen und Rakna stand da, allein gelassen mit all ihren Fragen, ohne zu wissen, was jetzt mit ihr geschah. Sie fühlte sich furchtbar einsam. Erst nach einigen Sekunden bemerkte sie, dass Echna und Tears auf sie warteten. Die kleine Tears erhob die Hand, welche von fein gewobenem, grünem Stoff umhüllt war und diese deshalb nur halb offenbarte. Sie klopfte Rakna auf die Schulter und sah sie tröstend an.

      „Er kommt schon wieder. Fenrick ist immer zurückgekommen.“ Erstaunt schaute sie die kleine Elfe an.

      „Ihr kennt Fenrick?“

      „Na klar! Alle kennen ihn. Er ist der Übermittler zwischen unseren Völkern. Schon lange versucht er, Frieden zu stiften.“

      „Nur, dass ihm das bis jetzt nicht wirklich gelungen ist.“, meldete sich Echna wieder zu Wort. Rakna hörte deutlich die Skepsis in ihrer Stimme und insgeheim stimmte sie ihr zu. Sie hatte das Luftvolk gesehen, sie sahen nicht gerade aus, als wären sie zu einem Friedensgespräch bereit. Aber Fenrick kannte Lynthriell, welche ebenfalls ein Mitglied der Windelfen war, also gab es vielleicht doch Hoffnung? Letztendlich war Rakna froh, als Echna die Unterhaltung beendete und sie zu ihren Schlafplätzen brachte.

      Dazu mussten sie einige Gänge durchqueren. Immer wieder bogen sie ab und nahmen einen anderen Weg. Hier und da gab es einen Torbogen oder einen besonderen Bernstein an der Decke, an denen Rakna sich hätte orientierten können, doch sie war zu müde, um sich die Abfolge zu merken. Mit einem Mal verließ sie die Kraft. Sie wusste nicht, wie lange sie schon auf den Beinen war. Hier unten gab es ja kein Tageslicht. Der Drang zu schlafen übermannte sie. Nach einer halben Ewigkeit stillem, nebeneinander her Laufens, erreichten sie endlich ein großes Tor mit zwei riesigen Flügeltüren. Es war unschwer zu erkennen, dass es sich hierbei um den Eingang zu den Schlafsälen