Josephine Becker

Rakna


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beim Training im Dorf. Als die Kreatur fast unter dem Ast war, auf dem Rakna saß, hätte das Ausstrecken ihrer Hand ausgereicht, um es zu berühren. Stattdessen setzte sie zum Sprung an und hob das Schwert weit über ihren Kopf. In Zeitlupe sah sie, wie es sein abstoßendes Antlitz mit den fehlenden Augen hob, doch es war zu spät. Raknas Klinge durchbohrte den Angreifer. Sie hörte, wie die Knochen brachen und wie das Metall in ihren Händen erzitterte. Dieses Mal schrie die Kreatur nicht. Eine Welle, wie bei einer Explosion ging von ihrem Schwert aus und das Wesen, auf dessen Brust sie noch immer stand, erbebte. Mit einem weiteren, kräftigen Ruck drehte sie die Klinge herum und gab dem Geschöpf damit den Rest. Plötzlich drang helles Licht aus dem Inneren der Kreatur und brach aus breiten Rissen hervor. Die aschgraue Haut zerbröselte, wodurch Rakna den Halt verlor. Doch sie landete geschickt auf ihren Füßen. Schnell richtete sie sich wieder auf, um zu sehen, was als Nächstes passierte. Alles was von dem Wesen übrig blieb, war ein kleiner Haufen Asche, welcher merkwürdig schleichend in die Erde kroch. Rakna kniff die Augen zusammen, um zu beobachten, wie der letzte Rest im Moos verschwand, als Fenrick an ihre Seite trat. Er sah Rakna eindringlich an, als versuche er, ihre Gedanken zu lesen.

      Dann klopfte er ihr auf die Schulter. Alles was er sagte, war:

      „Danke.“ Rakna war verwirrt. Er hatte ihr das Leben gerettet, also war es doch nur natürlich, dass sie ihm half. Dennoch war sie beeindruckt von dem Elfen. Sie war es nicht gewohnt Anerkennung von einem Mann zu bekommen. Die Burschen aus ihrem Dorf wären zu stolz gewesen, um sich bei einer Frau zu bedanken. Stattdessen begaben sie sich in gefährliche, unüberlegte Kämpfe, um irgendetwas zu beweisen. Und kam es doch einmal so weit, dass eine Frau ihr Leben rettete, dann waren sie meist überheblich und spöttisch. Niemals hätten sie sich bei ihr bedankt. Dass ihr Oberhaupt eine Frau gewesen war, glich einer Revolution. Anfangs war es den Männern schwer gefallen, sich daran zu gewöhnen. Aber Thorgard hatte viele kluge Entscheidungen getroffen und damit bewiesen, dass sie die Menschen ausgezeichnet führen konnte. Ihren letzten Entschluss hatte sie jedoch zu voreilig getroffen, wie Rakna fand. Beim Anblick ihres Mals war sie eindeutig nicht klaren Kopfes gewesen. In Gedanken verloren hörte sie fast nicht, was Fenrick zu ihr sagte:

      „Ich gestehe, zu meiner eigenen Schande, dass ich Euch unterschätzt habe, Rakna Wolfshaut. Ihr habt mehr Kampfgeist in Euch, als ich dachte.“ Obwohl er sie offen lobte, war Rakna enttäuscht, dass Fenrick wieder die förmliche Anrede gewählt hatte. Er war erneut ernst und unnahbar. Das behagte ihr nicht. Der Moment der Nähe und Freundschaft war vorbei. Doch nun packte Rakna wieder die Neugier.

      „Was war das für eine Kreatur, die uns da angegriffen hat?“ Fenrick sah nicht zornig aus, als er von dem Geschöpf sprach. Er war nicht aufgebracht oder wütend, im Gegenteil, er wirkt sogar eher traurig, als er ihr antwortete.

      „Das war ein Elf, der dem Biss eines Dämons erlegen ist. Das dunkle Gift dieses niederträchtigen Wesens infiziert das Herz und die Seele des Geschöpfes und befällt schließlich den ganzen Körper. Deswegen die zerfetzte Haut und das schwarze Blut. Wird man gebissen, ist bald nichts mehr von dem übrig, was man einmal war. Man wird vollkommen vom Dämonengift beherrscht. Wir nennen sie die dunkle Brut.“ Seine Antwort war für Rakna wie ein Schlag in den Magen. Es kam so unerwartet, dass sie laut aufstöhnte. Die Bedeutung dessen, was er gesagt hatte, wurde ihr nun bewusst. Fenrick bemerkte ihre Bestürzung und sagte beruhigend:

      „Das passiert nur dann, wenn niemand zu Hilfe kommt, um das Gift einzuschließen, ...“

      „Kann es denn danach wieder ausbrechen?“ Er zögerte einige Sekunden, bevor er antwortete.

      „Keiner hat einen zweiten Ausbruch überlebt.“ Für eine ganze Weile trat Stille ein und sie hingen beide ihren eigenen Gedanken nach. Dann ergriff Fenrick wieder das Wort.

      „Ich weiß Ihr seid stark genug, um es von Eurem Herz fernzuhalten, das habe ich gerade gesehen.“ Rakna antwortete nicht, denn es wäre nur ein sarkastisches Widerwort über ihre Lippen gekommen und das Letzte, was sie wollte, war, ihn zu verletzen. Also schenkte sie ihm ein gequältes Lächeln, er klopfte erneut sanft auf ihre Schulter, dann führten sie ihren Marsch fort.

      Der weitere Weg verlief überwiegend gefahrlos. Hin und wieder hielten sie kurz an, aßen ein paar Honigbällchen oder tranken aus dem Wasserschlauch an Fenricks Gürtel. Als der Tag sich dem Ende neigte, erreichten sie ein neues, landschaftliches Gebiet. Rakna staunte, denn sie hatte nie etwas Vergleichbares gesehen. Um ehrlich zu sein, war da kaum was zu sehen. Spärlich standen Bäume auf dem verkohlten, schwarzen Waldboden. Nicht ein einziges Blatt war an ihnen und auch sonst sah man keine lebendige Pflanze. Bei jedem Schritt wühlten sie den staubigen Boden auf und erzeugten somit kleine, graue Staubwolken, die um ihre Füße wirbelten. Selbst nachdem sie eine ganze Zeit gegangen waren und der Mond schon aufgegangen war, hatte Rakna keinen grünen Busch oder Baum erblickt. Dieser Ort gefiel ihr ganz und gar nicht. Es wirkte, als hätte sich hier etwas Abscheuliches abgespielt und nur Tod und Trauer war übrig geblieben. Als nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch nichts Anderes zu erkennen war, fasste sich Rakna ein Herz und fragte Fenrick, was hier vor sich gegangen sein mochte. Er antwortete nicht auf ihrer Frage. Er sagte nur kurz:

      „Wir sind gleich da.“ Das heiterte Raknas Stimmung nicht gerade auf. Hier sollte sie in der nächsten Zeit leben? Sie konnte sich kaum vorstellen, dass hier irgendetwas gedieh. Aber sie wollte nicht undankbar erscheinen, also sagte sie nichts.

      Dann war es endlich soweit. Fenrick hielt vor einem besonders alten und knorrigen Baum inne und schien etwas am Stamm zu mustern. Rakna fragte sich, was ausgerechnet an diesem Gewächs Fenricks Aufmerksamkeit erregt hatte. Der Baum sah aus, wie all die Anderen hier, nur dass er vielleicht ein bisschen größer war. Er hatte einen dicken, verkohlten Stamm und weit verzweigte, kahle Äste. Die Wurzeln standen hoch aus dem Boden und breiteten sich kreisrund um den Baum herum aus. Fenrick bückte sich und streckte seine Hand nach dem Geflecht aus. Behutsam strich er über seine mehrfach verschlungene Rinde, die sich wie ein Zopf verflochten hatte. Urplötzlich schüttelte sich der gesamte Baum, als sei ihm durch die Berührung eine Gänsehaut durchs Geäst gehuscht. Überall entlang der Äste blühten jetzt lauter kleine, orangene Blüten auf, die lieblich dufteten. Es war, als sei das Gewächs von der Wärme der Hand zum Leben erwacht. Dieser einzigartig, schöne Moment rief bei Rakna eine Gänsehaut hervor. Wenn sogar die Natur sich tarnte, wie waren erst die Elfen, die hier lebten? Als das Schauspiel beendet war, regte sich der Baum nicht mehr. Fenrick hatte sich in der Zwischenzeit wieder erhoben und als er zur Seite trat, erkannte Rakna ein dunkles, tiefes Loch vor sich. Sie kam einen Schritt näher, um hinein zu spähen, sah aber nichts als Schwärze. Ein paar Steine kullerten, von ihrem Fuß angestoßen, in den Abgrund. Es war kein Aufschlag zu hören. Ohne Zweifel ein Zeichen dafür, dass der Boden weit entfernt war. Rakna sah zu ihrem Gefährten, er hielt ihr seine Hand hin.

      „Wir springen.“ Im Wechsel blickte sie in das Loch und dann zu Fenrick.

      „Wie bitte?“, fragte sie skeptisch. Wieder lächelte er sie wissend an.

      „Euch wird nichts passieren. Glaubt mir.“, sagte er und fügte, als sie noch immer nicht überzeugt aussah, hinzu:

      „Unseren Junglingen macht es sogar Spaß.“ Bei diesen Worten stieg Rakna die Röte ins Gesicht. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie feige sie geworden war. Als Kind wäre sie die Erste gewesen, die in das Loch gesprungen wäre, heute zitterten ihr die Knie. Doch damit war jetzt Schluss. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und straffte die Schultern, dann nickte sie zustimmend.

      „Ich werde zuerst springen, seht zu, wie ich es mache und dann folgt mir.“ Fenrick stellte sich mit gespreizten Beinen über das Loch, so als wolle er hinunter spucken. Er sprang hoch, die Knöchel eng zusammengepresst. Innerhalb eines Wimpernschlages war er verschwunden und nur das Kratzen seiner Rüstung an den Steinwänden war zu hören. Jetzt war Rakna allein und sie spürte, wie ihre das Herz bis zum Halse schlug. Anders als Fenrick setzte sie sich an den Rand des Loches und ließ die Beine hinein hängen. Sie sah, dass weit unten in der Schwärze, der Gang in einer Kurve verlief. Es hatte keinen Zweck länger darüber nachzudenken. Sie schloss die Augen, verschränkte die Arme vor der Brust, atmete tief ein, dann rutschte sie vom Rand in das schmale Loch. Rasend schnell glitt sie die Röhre entlang, immer wieder stieß sie mit den Schultern an