Josephine Becker

Rakna


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stehen und setzte sich auf einen nahe gelegenen Baumstumpf. Doch er sah sie weiterhin nicht an.

      „Wir sollten für einen Moment eine Pause einlegen.“ Scheppernd ließ er seine Sachen auf den Boden gleiten und blickte jetzt in Raknas Richtung.

      „Zuerst einmal ist es nicht mein Volk, das waren Windelfen. Sie leben im Einklang mit den Luftgeistern. All ihre Energie und ihre Macht beziehen sie aus der Kraft des Windes. Ich bin ein Elf des Wasservolkes. Wir wohnen in Gebieten, in denen es ausreichend Wasser gibt, denn wir erhalten all unsere Stärke aus den Wassergeistern. Vor vielen Jahrhunderten konnten wir diese Kraft in Magie umlenken. Doch ich kenne niemanden mehr, der dazu noch imstande ist. Aber wir werden auch nicht zu meinem Volk reisen, denn sie sind, milde ausgedrückt, nicht fortschrittlich genug, um dich aufzunehmen.“ Sein Blick verfinsterte sich merklich.

      „Aber ich hoffe, das wird sich eines Tages ändern. Wir gehen zu einem Elfenvolk, welches nicht so kurzsichtig ist und aus Arroganz einen Hilfsbedürftigen wegschickt, nur weil er ein Mensch ist. Wir suchen die Erdelfen. Von denen weiß ich, dass sie schon abtrünnige Elfen aufgenommen haben. Zugegeben, einen Menschen haben sie seit vielen Jahrhunderten nicht mehr zu Gesicht bekommen. Doch ich glaube, dass sie eher auf der Höhe der Zeit sind, als alle anderen hier im Umkreis von tausend Fuß. Aber sie haben ihre Eigenarten. Jetzt habe ich dennoch eine Frage an Euch. Wurden unter Eurem Volk gar keine Geschichten von früher erzählt? Gibt es nicht Sagen oder zu mindestens Gerüchte darüber, was einmal in Eurem Land geschehen ist?“ Rakna, überrascht davon, dass sie plötzlich gefragt war, verhaspelte sich, bevor sie ihre Antwort genügend formuliert hatte.

      „I-Ich hab ... Einiges wurde uns schon erzählt. Aber ich habe es nie geglaubt. Unser Oberhaupt und unsere Eltern haben uns verboten, an der alten Weide zu spielen, von der aus du mich gerettet hast. Es gab die Legende, dass bösartige Geschöpfe uns heimsuchten, um die Kinder mit sich zu nehmen und sie zu einem Wesen Ihresgleichen zu verwandeln. Nur das die Kinder ihre ursprüngliche Gestalt behielten.“

      „ Also in einen Späher?“, unterbrach sie Fenrick.

      „Ja! Vor vielen Monden, weit vor der Geburt eines Jeden von uns, sei ein eigentümliches Volk über uns hereingestürzt und hätte ein riesiges Blutbad angerichtet. Unseren Vorvätern sei es gelungen, sie zurückzuschlagen, und seitdem kämen sie nur noch im Geheimen, um die Kinder zu holen. Wenn ihr mich fragt, war das alles ein Haufen erfundener Blödsinn. Ich habe nie daran geglaubt und als ich Lynthriell traf, war das eine Bestätigung meiner Vermutung. Sie war netter zu mir, als mein eigenes Volk, obwohl ich gebissen wurde. Um ehrlich zu sein, ...“, sie senkte den Kopf,

      „... war ich in Eurem Reich das letzte Mal ich selbst. Seitdem war ich dazu gezwungen, mich zu verstecken, taktisch zu handeln, um nicht aufzufallen.“ Rakna wusste nicht, warum sie Fenrick das alles erzählte, doch nun, als sie es ausgesprochen hatte, verspürte sie Erleichterung. Sie bemerkte, wie sie rot wurde, aber bevor sie etwas sagen konnte, um die Situationen zu verharmlosen, erhob Fenrick das Wort.

      „Deswegen seid Ihr hierher zurückgekehrt? Weil Euer Volk Euch verstoßen hat?“ Rakna fühlte sich durchschaut. Nach kurzem Zögern nickte sie knapp.

      „Lynthriell hat es schon geahnt, deshalb hat sie Euch den Ring vermacht.“ Er zog seinen eigenen an einer Kette unter der Rüstung hervor.

      „Ich sage dir etwas Rakna Wolfshaut. Du musst was ganz Besonderes an dir haben, wenn Lynthriell dich - in der Gefahr ihr eigenes Leben zu lassen - gerettet hat.“ Seine plötzlich veränderte Wortwahl erschreckte Rakna. Doch dann stellte sie fest, dass er sie nicht maßregelte, sondern es ernst meinte. Sie wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Noch nie war sie in einer Situation wie dieser gewesen. Das Letzte, was ihr jetzt in den Sinn kam, war sein Vertrauen weiter auszureizen. Andererseits war sie wissbegierig, warum die Windelfen auf ihn und damals auf Lynthriell losgegangen waren. Was war passiert, dass er sie schützen musste? Zum ersten Mal wurde ihr richtig bewusst, dass er dies tat, auch wenn ihn niemand dazu zwang. Bevor sie irgendeinen klaren Gedanken fassen konnte, ertönte hinter ihr ein seltsames Geräusch.

      Fenrick war blitzschnell aufgestanden und hatte seinen Kriegshammer gezückt. Er sah auf eine Stelle im Gebüsch. Rakna wandte sich um, was sie da erblickte, war etwas, das sich ihrer Vorstellungskraft entzog. Dort stand ein mannshohes Geschöpf, mit widerwärtig dünnen Gliedmaßen und einem Körper, wie von einem Hund zerfleischt. Die Arme wirkten blutverschmiert, nur dass es nicht, wie bei einem Menschen rot, sondern pechschwarz war. Immer wieder tropfte das seltsame Sekret auf den staubigen Boden, wodurch die Kreatur eine dunkle Spur hinter sich her zog. Statt der Augen, klafften nur zwei trübe Höhlen im Schädel. Während es auf sie zu stolperte, erkannte Rakna, dass das Etwas einen Mund besaß, welchen es jetzt weit aufriss. Schleimige schwarze Fäden zogen sich vom Ober- zum Unterkiefer und erzeugten Ekel in Rakna. Die Haut war straff über die langen Knochen gezogen und ein Übelkeit erregender Geruch umhüllte das Wesen. Bereit zum Kampf, zog sie ihr Schwert aus der Scheide, doch Fenrick stürmte bereits an ihr vorbei. Mit beiden Händen schwang er kraftvoll seinen Kriegshammer, um zum Schlag auszuholen. Der Elf rannte mit solcher Geschwindigkeit auf die Kreatur zu, dass Rakna glaubte, ein Stock würde ausreichen, um das Monster umzureißen und es zu erledigen. Doch, als der erwartete Aufschlag eintraf, hielt das Wesen mit einem überraschend flinken Griff, die Waffe von sich fern. Mit einem weiteren schnellen Hieb schlug es hart auf Fenricks Brustpanzerung, was ihn ins Wanken brachte und einige Schritte rückwärts stolpern ließ. Er brauchte einen Moment um sein Gleichgewicht wieder zu finden. Diesen kurzen Augenblick machte sich das Geschöpf zu Nutze und griff von Neuem an. Fenrick versuchte, die Arme abwehrend hochzureißen, doch es war zu spät. Mit seinen schleimigen Klauen umschloss das Wesen Fenricks Kehle, sodass dieser die Waffe fallen ließ. Krampfhaft probierte er, sich zu befreien. Einige Sekunden verstrichen, bis Rakna klar wurde, dass Fenrick es aus eigener Kraft nicht schaffen würde. Sie musste schnell handeln, doch sie war unerfahrener und schwächer als der Elf. Nie im Leben würde es ihr gelingen, solch eine Geschwindigkeit aufzubringen, um das Wesen mit einer offenen Attacke niederzustrecken. Ihr Herz wummerte. Die Beine des Elfen begannen wie wild zu zucken, ihm blieb keine Luft zum Atmen. Immer verzweifelter zerrte er an den ekelerregenden Klauen der Kreatur. Rakna musste sich beeilen. Das Nächste was sie tat, geschah aus reinster Verzweiflung. Mit lautem Gebrüll, erhobenem Schwert und entschlossenem Blick rannte sie auf das Wesen zu. Ohne zu wissen, was sie tat, hob sie ihre Waffe und schlug auf alles ein, was sie von dem Wesen erreichen konnte. Das blieb dem Geschöpf nicht verborgen und es brüllte laut, jedoch nicht aus Schmerz, sondern aus Wut. Jeder einzelne Schlag, welchen sie mit ihrer Klinge ausführte, hinterließ zwar tiefe Furchen in dem Fleisch, doch es schien der Kreatur überhaupt keinen Schaden zuzufügen. Mit einem lässigen Schlenker seines Ellenbogens warf es Rakna zu Boden und all ihre Luft wurde aus den Lungen gepresst. Doch durch ihr vorheriges Kampfgeschrei war das Geschöpf abgelenkt und hatte die Kehle des Elfen losgelassen. Dieser kurze Augenblick reichte aus, dass Fenrick es schaffte sich zu befreien. Der Elf reagierte sofort und trieb einen kleinen Dolch, welchen er aus seinem Gürtel zog, direkt in die rechte Augenhöhle des Wesens. Der überraschende Schmerz ließ es erneut aufheulen und zurückweichen. Fenrick sank vollkommen entkräftet zu Boden und rang um Luft. Er hustete und keuchte, dabei versuchte er einige Worte hervorzupressen.

      „Tu doch was!“ Rakna brauchte einen Augenblick, um zu verstehen. Zum Glück war das Wesen noch immer abgelenkt, da es den Dolch, der in der Augenhöhle steckte, mit seinen panischen Schlägen tiefer in den Schädel trieb. Rakna kam eine Idee. Sie schlich sich in den Schatten der Bäume, die Waffe gezogen. Das Etwas bemerkte Raknas Abwesenheit nicht, stattdessen wendete es sich wieder Fenrick zu. Der Elf hatte sich aufgerichtet und ebenfalls seinen Hammer gezückt, allerdings stand er schwankend und sichtlich benommen vor dem schwarzen Geschöpf. So schnell und so leise wie es ihr nur möglich war, kletterte Rakna auf einen nahe gelegenen Baum bis in die äußersten Äste und Zweige. Jetzt blieb ihr nur noch, den geeigneten Moment abzuwarten. Sie bemerkte die rasende Wut, welche in dem Wesen aufstieg und schon setzte es zum Folgeangriff an. Rakna wusste, ihr Vorhaben war riskant. Sprang sie nicht rechtzeitig ab, würde sie im freien Fall auf den Waldboden aufschlagen und selbst wenn sie zur rechten Zeit startete, bestand die Gefahr, dass sie nicht perfekt traf. Dann war Rakna dem Risiko ausgeliefert, zertrampelt zu werden oder einem weiteren Angriff schutzlos entgegenzutreten. Sie forderte sich zu vollster Konzentration