Josephine Becker

Rakna


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des tosenden Windes leiser und waren nur noch gedämpft zu vernehmen. Rakna beobachtete den Elfen, während er versuchte, ein Feuer zu entfachen. Dann erhellte ein warmes, prasselndes Licht die Höhle mit seinem orangenen Schein.

      „Ihr solltet aus den nassen Sachen raus. Ich weiß, dass ihr Menschen leicht angeschlagen seid. Außerdem müssen wir Eure Wunden versorgen“ Fenrick stand bei diesen Worten auf und durchsuchte die hinterste Ecke des Gewölbes. Er bückte sich nach etwas, das Rakna nicht erkannte. Als er sich wieder erhob, hielt er weißen Stoff in den Händen. Sie sah ihn argwöhnisch an, als sie das Gewand erblickte. Es war ein Nachthemd aus Leinen, am Rücken wurde es mit Bändern geschnürt, wie das Kleid, welches Martha in ihrer Hochzeitsnacht trug. Der Schreck, der sie jetzt durchfuhr, jagte ihr einen Schauer über den gesamten Körper und für einen kurzen Augenblick stockte ihr der Atem. Ob ihre Freundin die Heirat fortsetzen konnte? Würde sie überhaupt stattfinden? Ihre Gedanken rasten und schließlich kam Rakna ihr eigener Vater in den Sinn. Ob er für ihre Flucht bestraft wurde? Was wäre, wenn sie ihn für Raknas Taten zur Verantwortung zogen. Zuletzt galt ihre dunkle Überlegung Helgi und es lähmte sie vor unausgesprochener Wut und Angst. Sie hatte das kleine Mädchen verteidigt, um sie zu schützen. Nun würde sie noch mehr Leid erfahren. Rakna konnte nicht länger hierbleiben, sie musste augenblicklich zurück in ihre Welt und ihren Lieben helfen. Ohne ein Wort stand sie auf. Die Aufregung war anscheinend von ihrem Gesicht abzulesen, denn Fenrick erhob sich ebenfalls.

      „Ich habe doch gesagt, ich werde Euch kein Leid zufügen!“

      „Ich muss sofort zurück in mein Dorf. Mein Vater ...“, rief Rakna aufgebracht.

      „Das ist nicht gestattet.“ Er sagte es so bestimmend, dass die junge Frau die Wut packte.

      „Ihr versteht nicht! Mir ist egal, was Ihr bewilligt oder nicht, Elf, aber ich werde jetzt zu meiner Familie gehen, sie ist in Gefahr und es ist unrecht sie im Stich zu lassen.“

      „Nein, Ihr begreift nicht! Ihr könnt nicht zurück. Das Tor ist auf unbestimmte Zeit versiegelt. Es lässt sich nur mit einem Siegelstein öffnen. Den einzigen Stein, den ich besaß, hab ich genutzt, um Euch zu retten. Ihr seht also, heute Nacht könnt Ihr nicht zurück.“ Rakna wollte nicht glauben, was sie da hörte. Sie war hier gefangen. Unwissentlich hatte sie eine Reise ohne Wiederkehr angetreten. Sie verspürte, wie hilflos sie sich fühlte und dieses Gefühl trieb sie in den Wahnsinn. Ihr war bewusst, dass sie ungerecht gegenüber Fenrick war. Doch ihre Panik ließ ihre Stimme laut werden.

      „Wieso brachtet Ihr mich hier her? Wenn Ihr das wusstet, warum habt Ihr mich in dieses Land mitgenommen?“ Ihre Gefühle übermannten sie und ihre Augen wurden feucht. Rakna wollte ihre Schwäche vor dem Fremdling nicht zeigen und so drehte sie sich weg von ihm. Vereinzelte Tränen kullerten über ihre Wangen, doch sie schaffte es, das Schluchzen, was sich jetzt anbahnte, zu unterdrücken. Fenrick hatte sich lautlos genähert und legte seine Hand auf ihre Schulter. Die Berührung kam für Rakna so überraschend, dass sie leicht zusammenzuckte.

      „Es tut mir wirklich leid Rakna. Ich hoffe, dass mit deiner Familie alles in Ordnung ist. Aber wir können nichts für sie tun.“ Sie war noch immer aufgebracht, doch der sanfte Klang seiner Stimme ließ ihre Tränen verebben. Er reichte ihr das weiße Gewand und sie nahm es wortlos entgegen. Fenrick drehte sich auf dem Absatz um und stellte sich in den Ausgang der Höhle. Mit dem Rücken zu ihr stand er da und sah in den verregneten Wald. Rakna wusste, dass er ihr damit etwas Privatsphäre ließ. Trotzdem war es für sie ein komisches Gefühl. Niemand, außer ihrem Vater, hatte sie je nackt gesehen und nun war sie gezwungen sich vor einem vollkommen Fremden zu entblößen. Aber Fenrick hatte Recht. Die Kälte war ihr schon in die Knochen gekrochen und erst jetzt spürte sie, dass sie zitterte. Außerdem saß sie hier fest. Wenn sie erkrankte, wäre ihrer Familie auch nicht geholfen. So beschloss sie, sich zu fügen und das trockene und überraschenderweise weiche Nachtgewand anzuziehen. Kaum, dass sie das Gewand übergeworfen hatte, stellte sie beschämt fest, dass sie es alleine nicht schließen konnte. So sehr sie es auch versuchte, immer wieder rutschten ihr die Schleifen aus den Fingern. Selbst als sie es anders herum anzog, um es von vorne zu schnüren, gab es letztendlich keine Möglichkeit, das Gewand in die ursprüngliche Position zu drehen. Dementsprechend schaute ihre gesamte Brust zwischen den Bändern hervor. Ihr wurde klar, dass sie ohne Fenricks Hilfe nicht weiter kam. Er stand noch immer breitbeinig im Eingang der Höhle und sah in die Ferne. Rakna streifte das Gewand wieder über, sodass die Schnürung am Rücken war. Kleinlaut und barfuß durchquerte sie ihren Unterschlupf und lief zu Fenrick. Dieser drehte sich verblüfft zu ihr um.

      „Könntet Ihr ...?“ Sie brauchte den Satz nicht zu beenden, denn er nickte bereits. Daraufhin wandte sie ihm den Rücken zu und nahm ihre Haare nach vorn. Wortlos begann er das Gewand zuzuschnüren. Plötzlich unterbrach er sich in seiner Arbeit. Statt mit dem Verschnüren fortzufahren, schob er den Stoff an Raknas rechter Schulter herab und entblößte das schwarze Mal. Rakna spürte, wie in ihr die Hitze aufstieg und sie rot wurde. Er jagte ihr einen neuerlichen Schauer über den Rücken. Fenrick hatte keine Scheu die Zeichnung des Dämons zu berühren. Trotz ihres ungezogenen Benehmens schien er nicht wütend auf sie zu sein. Im Gegenteil, er war nur ernst. War es für ihn selbstverständlich, sie zu retten? Die anderen Elfen waren offensichtlich nicht erfreut, sie hier zu haben. Raknas Angriff hatte er hingenommen, hatte sogar Verständnis gezeigt. Der hochgewachsene Elf riss sie aus ihren Gedanken.

      „Hat sich das Mal in den letzten Jahren verändert? Hattet Ihr vielleicht irgendwann mal Schmerzen?“

      „Nein, es ist schon seit Beginn so. Wieso? Ist das etwa möglich?“ Rakna war froh, dass sie wieder miteinander sprachen. Irgendwie war es unheimlich, wie er sich stumm ihr Mal besah. Ihre Antwort genügte ihm offensichtlich, denn er schloss jetzt auch die restlichen Bänder. Anschließend setzte er sich ans Feuer und Rakna folgte ihm, gespannt auf seine Reaktion. Er ließ sich Zeit, bis er etwas erwiderte.

      „Es ist durchaus in der Lage sich zu verändern. Solltet Ihr z.B. schwer verletzt werden oder erkranken, dann breitet es sich aus. Das kann ebenfalls geschehen, wenn die Seele beschädigt wird.“

      „Die Seele? Wie ist das möglich?“

      „Durch einen schweren Schock oder Schicksalsschlag. Beispielsweise, wenn jemand stirbt oder etwas anderes passiert, das Euch seelisch leiden lässt.“ Es trat eine kurze Stille ein, bevor Rakna wieder das Wort ergriff.

      „Was geschieht, wenn sich das Mal ausbreitet?“

      „Das Mal ...“, antwortete er prompt. „... infiziert den Körper und Geist vollkommen und Ihr werdet zu Einer von ihnen.“ Diese Entgegnung weckte mehr Fragen in Rakna.

      „Ich weiß nicht mal genau, was mich da gebissen hat!“

      „Es war ein scheußliches Wesen! Wenn Ihr mich fragt, gibt es kein schlimmeres Geschöpf auf diesen Wegen. Was Ihr, unglücklicherweise, kennengelernt habt, ist eine Dämonenfürstin. Das Einzige, was ihr Freude bereitet, ist das Leid Anderer. Sie liebt es, zu töten. Es gibt nur einen Grund, warum sie ihr Opfer am Leben erhält. Nämlich, um dieses in ein Geschöpf ihres Gleichen zu verwandeln, und das erreicht sie durch ihren Biss. Ihr hattet unwahrscheinliches Glück, dass Lynthriell Euch gefunden hat. Normalerweise gibt es keine Rettung, wenn eine Fürstin zugebissen hat. Nur seltene Elfenmagie dämmt die Seuche ein und nur wenige von uns können sie wirken.“ So wie er es erzählte, klang es angsteinflößend. Das Mal auf ihrer Schulter widerte sie mehr denn je an. Beide wirkten nachdenklich, bis Fenrick sich erhob.

      „Ihr solltet Euch ausruhen.“ Erneut marschiert er in den hinteren Bereich der Höhle und holte aus einer versteckten Truhe ein weiches Fell und eine gewobene Decke hervor. Beides reichte er Rakna und sie nahm es dankbar entgegen.

      „Ich halte Wache. Das habe ich in meinem Dorf oft gemacht.“, bot sie ihm an, doch er winkte ab.

      „Nein! Wir haben morgen einen weiten Weg vor uns und außerdem kann ich sehen, dass Ihr friert.“ Dann wandte er sich von ihr ab. Aber aus den Augenwinkeln erkannte sie, dass er verstohlen lächelte. Gemächlich schritt er zum Höhleneingang und setzte sich, um die nächtliche Wache anzutreten. Der Sturm tobte immer noch und der Regen prasselte gegen das Gestein. Nachdem Rakna ihre Wunde am Arm versorgt hatte, breitete sie das