Josephine Becker

Rakna


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und um sie tobte plötzlich der Wind.

      Es regnete stürmisch. Rakna spürte, wie sie nass wurde. Um sie herum bogen sich die Bäume durch die kräftigen Böen des brausenden Sturmes. Der Boden unter ihr war vollkommen durchweicht, was es ihr erschwerte aufzustehen. Ein Blitz zuckte über ihr und für einen winzigen Augenblick erkannte sie den Mann, welcher ihr soeben das Leben gerettet hatte.

      „Seid Ihr Rakna Wolfshaut?“, fragte er.

      Fenrick

      Vor Rakna stand ein hochgewachsener Elf. Er war von schlanker Statur und aschfahler Haut. Sein Haar war, wie das von Helgi, weiß wie Schnee und seine Augen glänzten eisblau, wie die Oberfläche des Sees in Wintertagen. Diese wurden von einer herabhängenden hellen Strähne leicht verdeckt. Rechts und links ragten spitze Ohren unter dem Schopf hervor. Er hatte ein markantes Gesicht, mit hohen Wangenknochen und einem geradlinigen Kinn. Die Rüstung, welche er trug, glich schwarzem Onyx, der hier und da von hellem Stein durchzogen war. Der Elf war mit Schulterpanzer und Panzerhandschuhe ausgerüstet, die Oberarme waren frei. Rakna bemerkte, wie sich deutlich seine Muskeln unter der Haut abzeichneten. Die Beine waren komplett gepanzert. Dazu trug er stählerne Schuhe, die eine Waffe sein konnten, denn sie endeten vorn in einer gefährlichen Spitze. Doch während Rakna bis auf die Knochen durchnässt war, schien das Wasser den Fremdling zu umgehen. Die Wassertropfen trafen zwar auf dem Haar und der Haut des Elfen auf, aber sie perlten ab und hinterließen keine Spur ihres Daseins. Auf seinem Rücken erkannte Rakna den Knauf eines Kriegshammers, der dem Anschein nach, reichlich mit Spitzen versehen war. Das Außergewöhnlichste an diesem Elfen war jedoch die Stimme. So kriegerisch und muskulös er auch wirkte, sein Tonfall war das komplette Gegenteil. Kräftig und tief, doch in jedem seiner Worte schwang ein sanfter Unterton mit. Dennoch traute sie dem Fremden nicht. Rakna hatte mit Lynthriell gerechnet. Wieso war sie nicht gekommen? Oder war er etwa nicht ihretwegen hier und alles war eine Falle? Einerseits war sie dankbar dafür, dass sie nicht von ihrem Volk ausgelöscht worden war, aber dennoch fühlte sie sich nicht in Sicherheit. Rakna musste eine Entscheidung treffen. Doch im Augenblick schuldete sie dem Fremden eine Antwort.

      „Ja ich bin Rakna.“, sagte sie knapp.

      „Aber wer seid Ihr? Ich hatte mit Lynthriell gerechnet.“, fragte sie weiter. Wenn er im Schilde führte, sie umzubringen, so wäre es besser, sie erfuhr es gleich, bevor sie in eine Falle tappte. Doch der Fremdling hatte keine Zeit ihre Frage zu beantworten, denn augenblicklich ertönte ein nervenzerfetzendes Geräusch. Es drang in ihren Kopf ein, wie eine Pfeilspitze und ließ sie vor Schmerz zusammenfahren. Obwohl sie ihre Hände auf die Ohren presste, wurde der Ton nicht leiser. Es war, als wäre er in ihren Gedanken.

      „Sie haben uns entdeckt! Schnell weg hier!“, schrie der Elf und packte Rakna am Arm, um sie wegzuziehen. Keinen Moment zu früh, denn in diesem Augenblick landete ein feindliches Geschoss genau an der Stelle, wo Rakna eben noch gestanden hatte. Was war hier los? Wie hatten sie ihre Ankunft so schnell bemerkt? Sie hatte keine Wahl. Wollte sie lebend hier wegkommen, musste sie dem fremden Elfen folgen. Er zog sie hinter einen steinernen Vorsprung, um dann aus dem Versteck heraus Ausschau zu halten. Rakna vernahm, wie neben ihnen weiter Geschosse auf die nasse Erde niederprasselten. Ein Pfeil schoss wenige Zentimeter am Kopf des Fremden vorbei und er war gezwungen, sich schützend hinter den Felsen zu kauern. Mit einer schnellen Bewegung hatte er einen kleinen Dolch aus seinem Waffengürtel gezogen, den er am rechten Bein trug. Er warf ihn in Richtung des Angreifers. Das dumpfe Geräusch eines am Boden aufschlagenden Körpers, ließ vermuten, dass er getroffen hatte. Jetzt spurteten beide los, Rakna dem Fremden immer auf den Fersen, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Sie erreichten eine steinerne Brücke. An manchen Stellen hatte die Witterung ihr unbarmherzig zugesetzt. Einige Steine waren schon vollkommen zerbröselt. Hier und da wirkte es, als hätten menschengroße Geschosse die Mauern des Bauwerks erschüttert. Darauf standen weitere Elfen in Rüstungen. Doch anders als bei Fenrick, schienen diese nur aus Holz zu sein. Dafür umhüllten sie den Träger komplett. Das Einzige was herausschaute, war die wenige Haut, die ihre Augen umgab. Sie patrouillierten auf der Brücke, welche Raknas Weg in die Freiheit war. Immer wieder hielten beide inne, um sich nach vermeintlichen Angreifern umzuschauen. Nachdem sie die Patrouille eine Weile beobachtet hatten, drehte er sich zu ihr um, packte sie an den Schultern und blickte ihr direkt in die erschrockenen Augen.

      „Ihr müsst hierbleiben, habt Ihr verstanden? Ich bin gleich wieder da.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er auf die Brücke und duckte sich hinter eine Säule. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der perfekte Moment gekommen war und er nutze ihn. Mit einem einzigen gezielten Hieb unter den Helm schlug er die Patrouille nieder, welche in die entgegengesetzte Richtung gespäht hatte. Mit einem kurzen Wink deutete er Rakna an, dass sie ihm gefahrlos folgen konnte. Als sie auf Höhe des Leichnams war, nutzte sie ihre Chance und stibitzte heimlich den kleinen Dolch, welchen der Elf neben der toten Wache liegen gelassen hatte. Das Schwert oder den Bogen hätte sie bevorzugt, doch es wäre zu auffällig gewesen und Rakna wusste nicht, ob sie dem Elfen trauen konnte. Aber die winzige Stichwaffe war leicht, zu verstecken, ohne dass er es bemerkte. Inzwischen schlug er zwei weitere Wachen nieder und machte somit den Weg, in den dichten Wald, frei. Rakna hatte Mühe dem Elf zu folgen, denn er war unwahrscheinlich schnell. Selbst als sie den Waldrand erreichten, hielt er nicht inne. Sie rannten tiefer in den Laubwald, die Bäume standen eng gedrängt aneinander. Es folgte eine Lichtung und eine zweite und dann noch eine. Jedes Mal dachte Rakna, sie wären am Ziel angekommen, doch der Elf schaute nur kurz nach ihr, danach bog er wieder ab und spurtete weiter. Erst als Raknas Beine sie fast nicht mehr trugen, hielt er inne. Ihre Lunge brannte. Sie musste sich mit den Händen auf die Knie stützen, um überhaupt auf den Füßen zu bleiben. In kräftigen Zügen atmete sie die feuchte Luft ein, als der fremde Elf auf sie zu kam und erneut zu ihr sprach.

      „Lynthriell hat mich geschickt, Euch zu holen. Ihr konntet Schritt halten. Das hätte ich einem Menschen wie Euch gar nicht zugetraut.“ Einem Menschen wie ihr? Was bei den Göttern bedeutete das? Wirkte sie auf ihn etwa nicht stark genug? Sie war fest entschlossen zu zeigen, was in ihr steckte. Als er bis auf zwei Schritte an sie herangetreten war, zückte sie ruckartig den Dolch und hielt das kalte Metall an seine Kehle.

      „Wieso sollte ich Euch vertrauen, Elf? Ich weiß nicht einmal wer Ihr ...“

      Ein kräftiger Schlag mit dem Ellenbogen traf sie unerwartet hart an der Hand und der kleine Dolch flog im hohen Bogen davon. Rakna hechtete ihm hinterher, aber der Elf war ihr überlegen. Kaum, dass ihre Muskeln zum Sprung ansetzten, hatte er schon seinen Kriegshammer gezogen und wies damit drohend auf sie. Obwohl Rakna ihn soeben angegriffen hatte, lächelte er.

      „Es ist weise, mir zu misstrauen ...“, sagte er und nahm die Waffe wieder herunter.

      „Aber ich bin hier, um zu helfen, und nicht, um Euch hinters Licht zu führen.“ Daraufhin wandte er ihr den Rücken zu, holte den kleinen Dolch zurück und reichte ihn ihr.

      „Würde ein Feind Euch eine Waffe geben?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie fragend an. Rakna wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Also nahm sie die Klinge wortlos entgegen und steckte sie zurück in ihren völlig durchnässten Lederschuh. Immer noch goss es wie aus Eimern und der Wind zerzauste ihr Haar. Unsicher, wie sie sich jetzt verhalten sollte, fragte sie ihn trotziger, als sie es beabsichtigt hatte:

      „Warum ist Lynthriell nicht selbst gekommen?“

      „Es ist ihr nicht möglich. Ich empfehle, nicht weiter darüber nachzudenken. Es würde sowieso nichts nutzen. Mein Name ist Fenrick.“ Er reichte ihr die Hand.

      Er sagte es mit solch einer Schärfe in der Stimme, dass Rakna es nicht wagte nachzuhaken. Der Elf selbst war es, der das Wort wieder ergriff.

      „Wir sind vorerst außer Gefahr, aber nicht an unserem Ziel. Beeilen wir uns, es wird bald dunkel. Dann kommen neue Bedrohungen, denen Ihr mit einem Dolch besser nicht gegenübertretet.“

      Eine ganze Weile liefen sie über den weichen Waldboden und weit verzweigte Wurzeln, bis sie eine bergige Landschaft erreichten. Hier waren alle Steine, Bäume und Sträucher mit Flechten überzogen und es roch stark nach Pilzen. Fenrick führte sie ein Stück näher zum Berg, wo Rakna