Josephine Becker

Rakna


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Obwohl er sie sowohl vor ihrem, als auch vor dem eigenen Volk gerettet hatte, verhielt er sich seltsam, wenn Lynthriell zur Sprache kam. Sein Blick wirkte abweisend und er antwortete nicht mehr. Tief in ihrem Inneren traute sie ihm bereits, doch ihr Bewusstsein warnte sie immer wieder vor etwaigen Unachtsamkeiten. Alles was sie über ihn wusste, war sein Name, sonst war er ein Fremder. Eben noch hatte sie das Gefühl, durch den heftigen Sturm, kein Auge zumachen zu können, als die Müdigkeit schon in ihre Muskeln kroch und die Lider schwer werden ließ. Nach kurzer Zeit fiel sie in einen unruhigen Schlummer. Das Letzte, was sie an diesem Abend erblickte, war der unleugbar stattliche Elf. Das gestand sie sich mit ihren verbleibenden klaren Gedanken ein.

      Ein merkwürdiges Klopfen weckte Rakna am nächsten Morgen. Helles Sonnenlicht fiel in die Höhle und tauchte alles in warme Strahlen. Durch den Spalt, der den Eingang bildete, erkannte sie erstmals grüne Laubbäume, welche rote Früchte trugen. Auf einem kleinen Stein am Boden saß ein Vogel, wie sie ihn nie zuvor gesehen hatte. Das Gefieder war grau, hier und da blitzten blaue Punkte und Streifen hervor. Die Federn am Bauch, wie der Schnabel, leuchteten von hellem Gelb. Mit den schwarzen Knopfaugen musterte er eine Nuss, die vor ihm zu Boden kullerte. Sie hatte durch seine Versuche, sie zu knacken, schon einen Sprung. Sein gleichmäßiges Klopfen schien Rakna geweckt zu haben. Als sie sich aufsetzte, flatterte der kleine Vogel davon. Außer ihm war niemand zu sehen. Im Handumdrehen hatte die junge Frau das Fell zur Seite geschlagen und war nach hinten gestürmt, um ihre Sachen zu holen. Erschrocken stellte sie fest, dass diese nicht mehr da waren. Stattdessen fand sie eine halb leere Truhe vor, in der nichts als ein paar Lumpen und nutzlose Flaschen aufbewahrt wurden. Sie eilte zum Höhleneingang, doch hier war keine Spur von ihrer Kleidung oder dem Elfen. Die warme Sonne blendete sie, sodass sie ihre Hände schützend vor die Augen hielt. Rakna brauchte einen Moment, um sich an das grelle Licht zu gewöhnen. Sie ging ein Stück nach draußen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Langsam und allmählich erkannte sie ihre Umgebung. Durch den heftigen Sturm war gestern kaum etwas von der Landschaft zu erkennen gewesen. Doch jetzt entfaltete sich ihre ganze Schönheit. Die Bäume waren kräftig, als ob sie schon eine Ewigkeit ungezügelt wuchsen. Ihre knochigen Wurzeln ragten immer wieder aus dem Erdboden hervor und verwoben sich hier und da mit denen der anderen. Die Baumkronen trugen dichtes Blattwerk, sodass die einzelnen Blätter zunächst nicht voneinander zu unterscheiden waren. Erst als Rakna ein Stück näher herangetreten war, erkannte sie die seltsame Form des Laubes. Jedes sah aus wie eine grüne Feder, mit einem breiteren Schaft und vielen kleinen Federästen an denen weiche Strahlen nach außen verliefen. Als Rakna eines der Blätter interessiert zwischen die Finger nahm um es zu begutachten, entzog sich der Ast plötzlich aus ihrem Griff und bog sich gen Himmel, als ob er ihre Berührung nicht duldete. Entsetzt machte sie einen Satz zurück und zu allem Überfluss ertönte hinter ihr die Stimme des Elfen, was ihr Herz ein zweites Mal hüpfen ließ. Mit der Hand auf der Brust drehte sie sich zu ihm um.

      „Die Bäume hier sind eigen. Sie lassen sich nicht von jedem berühren.“ Rakna sah den Elfen fragend an.

      „Sie sind eigen? Denken sie etwa?“ Wieder lächelte er sie geheimnisvoll an.

      „Oh, sie können nicht nur das.“ Ohne Rakna weiter aufzuklären, marschierte er in die Höhle. Sie warf dem Baum einen abschätzigen Blick zu, bevor sie dem Elfen hinterher eilte.

      „Wo seid Ihr gewesen?“, fragte sie ihn aufgebracht. Geräuschvoll ließ er einen Sack auf den Boden fallen, den sie zuvor nicht entdeckt hatte. Es klimperte laut darin.

      „Ich habe Euch eine Rüstung besorgt.“ Eine Weile wühlte er im Inneren des braunen Stoffes.

      „Und ... Frühstück.“ In seiner Hand hielt er etwas, das aussah, wie ein kleiner runder Schwamm.

      „Was ist das?“, fragte Rakna, während sie die fremdartige Speise begutachtete. Zur Antwort biss er in die Kugel. Im Inneren war die helle Speise weich und cremig, wie Honig. Als Rakna keine Anstalten machte davon zu essen, drückte er ihr ein paar der schwammartigen Bälle in die Hände und sagte:

      „Ihr müsst etwas zu Euch nehmen, sie schmecken wirklich ausgezeichnet!“ Zögerlich knabberte sie an dem runden Kloß zwischen ihren Fingern, während sie beobachtete, wie Fenrick die Rüstung nach und nach auspackte. Das Ding schmeckte wie purer Honig. Außerdem vernahm sie einen Hauch von Zitrone. Es war die köstlichste Speise, die sie je gegessen hatte. Die Panzerung, die der Elf nun komplett ausgebreitet hatte, war aus Leder, vereinzelte Eisenbeschläge zierten sie. An der Taille verengte sie sich, sonst sah sie aus wie die Rüstungen aus ihrem Reich, mit Schulter-, Bein- und Brustpanzerung und Lederriemen an den Seiten. Nur ein Helm war nicht dabei. An dem Arm des Elfens baumelte eine Scheide, aus der ein fein gearbeiteter Griff ragte. Schwungvoll holte er das Schwert daraus hervor, um es Rakna zu zeigen. Das verspielte Muster bedeckte die gesamte doppelseitige Klinge, welche an einem Ende spitz zusammenlief. Fenrick reichte ihr die prachtvolle Waffe. Rakna nahm sie entgegen. Das Schwert lag überraschend leicht in ihrer Hand. Sie konnte es kaum glauben, was sie für einen Schatz in den Fingern hielt. Zu Hause hatte sie mit einer klobigen Axt geübt und gekämpft. Oft war sie nicht scharf genug, sodass das gejagte Tier verletzt wurde, aber trotzdem davon laufen konnte. Nicht selten war sie deswegen hungrig ins Bett gegangen. Dennoch war Rakna immer zufrieden mit ihr gewesen. Es gab eben in einem kleinen Dorf wie ihrem keine besseren Waffen. So ein Schwert wie dieses, welches sie jetzt in der Hand hielt, war das eines Fürsten, aber niemals das einer einfachen Wache, wie Rakna es gewesen war. Während sie darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass sie ihr Ziel, Hauptmännin zu werden, gar nicht erreicht hatte. Nichts von dem, was sie sich ursprünglich vorgenommen hatte, war in Erfüllung gegangen. Es war sogar denkbar, dass sie jetzt als Feindin gesucht wurde. Hier hatte sie die Chance auf einen Neubeginn, ihr altes Leben zurückzulassen und ohne ständige Angst zu sein. Aber Rakna war fest entschlossen nicht aufzugeben. Fenrick stand ihr zur Seite, obwohl er sie überhaupt nicht kannte und allen Grund dazu hätte, ihr nicht zu trauen. Stattdessen hielt er Rakna ein kostbares Schwert entgegen. Würde er etwas als Gegenleistung erwarten? Doch im Moment war sie nur vollkommen überwältigt und für einen Augenblick war ihr danach, ihm um den Hals zu fallen. Sie besann sich jedoch und flüsterte nur ein verlegenes „Danke“ in seine Richtung. Fenrick hingegen, klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. Automatisch lächelte sie. Es war seltsam. Zu Hause war es ihr leicht gefallen, sich angemessen zu verhalten. In diesem Land erwischte sie sich immer wieder dabei wie sie Dinge tat, welche sie früher niemals für möglich gehalten hätte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie jemandem so schnell vertraut. Allerdings machte er es ihr auch leicht. Er hatte sie gerettet, in Sicherheit gebracht und jetzt beschenkte er sie scheinbar. Es war schon fast zu einfach. Bereits nach einem Tag hatte sie mehrmals ihr Leben in die Hände eines Fremden gelegt. Aus irgendeinem Grund zweifelte sie nicht daran, dass er ihr half, was aber nichts mit seiner Großzügigkeit zu tun hatte. Fenrick kramte noch einmal in dem Sack, während sie sich ihren Kopf über ihr eigenes Verhalten zerbrach. Der Gegenstand, mit dem er jetzt auf sie zu kam, glänzte silbern in der aufgehenden Sonne. Es war ein fein gewobenes Kettenhemd, säuberlich zusammengefügt, mit kurzen Ärmeln.

      „Das solltet Ihr zuerst anziehen. Normalerweise tragen es unsere Junglinge, aber es sollte Euch trotzdem passen.“

      Rakna wusste bereits vorher, dass es passte. Immerhin war sie fast zwei Köpfe kleiner als Fenrick. Von innen war das Hemd mit weichem Stoff überzogen, weshalb es nicht auf der Haut kratzte. Kaum, dass sie fertig war, trieb Fenrick sie schon zum Gehen an.

      Sie durchquerten den Wald, liefen an berankten Bäumen vorbei und stiegen über wuchernde, fremdartige Pflanzen hinweg. Nach einer ganzen Weile erreichten sie den Waldrand. In Rakna brodelte eine Frage, welche sie schon die ganze Zeit beschäftigte.

      „Was ist unser Ziel?“ Auch das war etwas, das ihr vor einigen Monden nicht im Traum eingefallen wäre. Einem Fremden zu folgen, ohne genau zu wissen, wohin er sie führte. Fenrick schritt geradeaus weiter, sah sich nicht nach Rakna um, und dennoch antwortete er geduldig auf ihre Frage.

      „Wir besuchen ein Elfenvolk, von dem ich glaube, dass es Euch aufnimmt.“ Die junge Frau dachte einen Moment darüber nach, ob sie sich erkundigen sollte, was geschah, wenn sie Rakna nicht aufnahmen. Doch etwas anderes interessierte sie mehr.

      „Wieso hat dich dein Volk angegriffen? Etwa weil du mir geholfen