Josephine Becker

Rakna


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sagen ... na ja, ich bin immer noch interessiert an dir.“ Er sah verschmitzt auf, um ihre Reaktion auf seine Worte zu sehen. Rakna verzog keine Miene und antwortete nicht. Sie wusste ohnehin nicht, was sie darauf erwidern sollte. Deshalb sprach er schließlich weiter.

      „Ich weiß, das kommt jetzt etwas plötzlich, aber ich wollte, dass du es weißt. Vielleicht denkst du ja nochmal darüber nach.“ Es war unglaublich, was sie da hörte. Nach allem, was sie von Martha erfahren hatte, war dies das Letzte, was sie erwartet hätte. Damals hatte sie Dior wirklich gemocht, doch er konnte ihr Vertrauen nicht gewinnen und in den vergangenen Mondzyklen hatte sich das nicht geändert. Wieder klopfte es an der Tür und Helgi stürmte herein, ohne eine Antwort abzuwarten. Beim Anblick der Beiden blieb sie wie angewurzelt stehen. Erschrocken schaute sie von Einem zum Anderen. Rakna spürte, wie sie errötete. Bevor sie etwas sagen konnte, ergriff der nervöse Dior wieder das Wort.

      „Also, ich geh dann mal. Denk darüber nach, was ich dir gesagt habe.“ Somit verließ er die Hütte, durch die hölzerne Tür und schloss sie geräuschlos hinter sich.

      „Was wollte er von dir?“, platze es aus Helgi heraus, während sie dem jungen Mann nachschaute.

      „Er hat über alte Zeiten geredet, nichts Wichtiges. Beeilen wir uns. Ich möchte zu meiner eigenen Zeremonie nicht zu spät kommen. Außerdem bringt mich Martha um, wenn wegen mir ihre Hochzeit verschoben wird.“ Sie lächelte das Kind an, die zurückstrahlte. Das kleine Mädchen hatte ausgesprochenes Talent. Mit flinken Fingern entstand ein makellos geflochtener Zopf. Helgi drapierte ihn so auf dem Kopf, dass er von einem Ohr, bis zum Anderen reichte. Das restliche Haar kämmte sie am Hinterhaupt zu einem eleganten hohen Pferdeschwanz. Raknas Pony fiel in sanften Locken über die Augen und umrahmte ihr Gesicht schemenhaft. Ihr gefiel Helgis Arbeit. Noch nie hatte sie so eine fein gearbeitete Frisur getragen. Da sie von ihrem Vater alleine groß gezogen wurde, hatte sie das Flechten nie gelernt und ehrlich gesagt, hatte sie auch kein Interesse daran gezeigt. Sie nahm sich fest vor, es sich von Helgi zeigen zu lassen. Ihr Blick schweifte durchs Zimmer. Auf der schmalen Kommode, im hinteren Teil des Raumes, erblickte Rakna den Ring, den Lynthriell ihr vor so vielen Monden geschenkt hatte. Sie durchquerte mit schnellen Schritten das Langhaus, um ihn anzustecken. Am Mittelfinger passte er perfekt. Die Sonne war schon fast hinter den Bäumen verschwunden. Es wurde höchste Zeit sich auf den Weg zu begeben. Mit der letzten Abendsonne erhielt sie ihren Ehrentitel. Sie konnte ihr Glück noch immer nicht fassen.

      Zusammen spurteten Helgi und Rakna zum Langhaus der Ältesten. Thorgard wartete bereits vor dem Haus auf sie. Die zerfurchte Frau trug ein ähnliches Gewand wie Rakna, nur ohne die Bluse, welche Raknas Schultern provisorisch verdeckte. Die Arme und das Gesicht ihrer Anführerin waren überdeckt mit Kriegsbemalungen, die sie ehrwürdig wirken ließen. Thorgard lächelte großmütterlich und zog Rakna in eine Umarmung. Dann führte die Älteste sie an den angesehensten und mächtigsten Männern und Frauen des Dorfes vorbei, die rechts und links am Wegesrand standen, um ihr die Ehre zu erweisen. Auch Barbas war unter den Reihen. Er schaute grimmig drein, doch Rakna kümmerte es nicht. Rakna und Thorgard betraten als Erstes den mit Blumen geschmückten Raum. Hier und da sah man große Kerzen, die ihr warmes Licht an den Wänden verbreiteten. An jeder Ecke wehten Spruchbänder und das Wappen des Dorfes, welches aus drei weisen Bären auf blauem Grund bestand. Die Bemalungen auf den Fensterläden erzählten die Geschichte von vergangenen Zeiten. Während sich die anderen Bürger auf die bereitgestellten Stühle setzten und die Chorgesänge anstimmten, führte Thorgard Rakna in das Hinterzimmer, in welchem das Ritual stattfand. Die tiefen Stimmen des Menschenchores waren hier laut zu hören und verursachten einen Schauer, der Rakna eiskalt über den Rücken lief. Der Gesang wirkte mysteriös und ehrend zugleich. Erik und Peadair standen zur Rechten und zur Linken Spalier, um Rakna ihre Ehre zu erbieten. Sie stellten das kupferne Becken für die traditionelle Waschung bereit. Es war mit klarem Wasser gefüllt. Daneben, in einer bescheidenen hölzernen Schale, befand sich das Blut, eines geschlachteten Rindes, welches anschließend von allen gemeinsam verspeist werden würde. Mit diesem Lebenssaft des Tieres malte die Älteste Zeichen auf Raknas Haut, die für Sieg und Kampfgeist standen. In Rakna stieg die Anspannung, denn der Moment war gekommen. Mit einem kurzen Winken ihrer Hand gab Thorgard den Männern zu verstehen, sie allein zu lassen. Ohne ein Wort marschierten diese nach draußen. Lächelnd erhob die Älteste ein reich verziertes Schwert, das Rakna aus Schriften und Zeichnungen der Dorfgeschichte kannte. Es war die Waffe, die vor hundert Sommern, lange vor Raknas Geburt, den Sieg in der bedeutendsten Schlacht erbrachte. Geführt von dem ehrenwertesten Mann der Geschichte! Er opferte sein eigenes Leben, um das Dorf mit dem letzten Schwerthieb zu schützen. Damit tötete er den damals herrschenden Fürsten, der von einer schrecklichen Tobsucht ergriffen wurde. Hiermit zerstörte er alles Bestehende, was die grausame Herrschaft des Fürsten über ihr Volk gebracht hatte. Rakna durfte nie zuvor dieses kostbare Schwert aus der Nähe sehen. Es wurde von Oberhaupt zu Oberhaupt weiter gegeben, um der schweren Zeiten zu gedenken. Im Griff glitzerten, von Gold und Silber eingefasst, blaue Aquamarine, in der Farbe des Wappens. Am Schaft, genau an der Stelle wo das Heft zur Klinge überging, prangte ein großer, zottiger Bärenkopf, aus purem Gold. Selbst die breite Schneide war mit güldenen Mustern versehen. Es war das schönste und wertvollste Schwert, das Rakna jemals gesehen hatte. Die eisernen Waffen, mit denen sie übte und kämpfte, waren lachhaft gegen dieses Schmuckstück. Die Älteste nahm Raknas Hände in die Ihrigen und gemeinsam umschlossen sie den Schaft des Schwertes. Dann stimmte sie den feierlichen Sprechgesang an.

      „Schwörst du, Rakna Wolfshaut, dass du dein Dorf schützen wirst, was immer es bedroht?“

      „Ich schwöre es.“

      „Und gelobst du, all seine Bürger bis zu dem eigenen Tode zu verteidigen, ob Frau, Kind, Mann oder Wache?“

      „Ich gelobe es.“

      „So soll es sein!“ Damit träufelte sie einige Tropfen auf Raknas Hände und Stirn. Dann nahm sie die hölzerne Schale und begann, von den Wangen abwärts, zwei rote blutige Streifen zu zeichnen. Immer wieder sprach die Älteste ihren Reim, während sie die Arme mit dem Blut bestrich.

      „Hiermit wirst du zur Kriegerin, würdig die Stadt zu beschützen. Was ist das?“ Plötzlich hielt sie für einen Moment wie versteinert inne. Ihre Augen starrten auf eine Stelle oberhalb Raknas Arms und ihr Blick versteinerte. Sie zog am Ärmel der Bluse und schlug sie zurück. Rakna durchzog ein schmerzhafter Blitz und kalter Schweiß trat auf ihre Stirn. Sie hatte das Mal entdeckt!

      „Ich erkläre alles, Thorgard!“ Doch es war zu spät.

      „Verräterin!“, rief die Alte und zeigte mit ausgestrecktem Finger, auf die vor Schreck blass gewordene, Rakna.

      „Bitte..! Hört mich an!“ Mit erhobenen Händen stolperte Rakna schützend einige Schritte rückwärts. Sie vernahm, wie Stühle vor der Tür zur Seite geschoben wurden. Sicher hatten die Anderen das Geschrei gehört und sahen nun nach dem Rechten.

      „Ich lasse niemanden sprechen, der das Mal des Bösen trägt.“ Die Älteste hob drohend das Schwert gegen Rakna und sprach verbittert weiter.

      „Du wagst es, uns zu betrügen. Und ich hätte dich beinahe zum Oberhaupt der Wache gekürt! Was führst du im Schilde, Teufelin?“ Rakna ließ alle Vorsicht fahren und hatte mit schnellen Schritten das Zimmer durchquert. Mit einem Satz sprang sie aus dem weit geöffneten Fenster. Unbewaffnet und mit nackter Angst im Nacken schmiss sie die Fensterläden zu und verschloss den Riegel von außen. Warum hatte sie sich nicht besser auf diesen Abend vorbereitet? So leise es ihr möglich war, schlich sie geduckt durch die Büsche. Hinter sich hörte sie das laute Hämmern und Schreien der Alten. Im Garten war niemand zu sehen. Dennoch gab sie acht, verborgen zu bleiben, denn die anderen Fenster waren weit geöffnet und helles Licht strömte aus dem Inneren heraus. Behutsam lief sie vorwärts und versuchte auf ihrem Weg nicht entdeckt zu werden. Immer wieder drehte sie sich um, um sicher zu gehen, dass ihr niemand folgte. Während Rakna Ausschau hielt, bemerkte sie, nicht weit vor sich, eine Bewegung. Jemand schlich sich an sie heran. War sie entdeckt worden? Sie hockte sich hin und blieb regungslos. Ihr stockte der Atem, während sie wartete. Der Verfolger trat mit erhobenem Schwert aus dem Gebüsch hervor. Es war Dior! Das war ihr Ende. Rakna war sich sicher, dass er sie an die Älteste verriet. Sie hob die Hände, um zu zeigen, dass