Josephine Becker

Rakna


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tausend Jahre her, als ich einen ausgebildet habe.“ Bei diesen Worten wurde es Rakna ganz anders. Hatte sie da richtig gehört? Seit tausend Jahren? Wie ist das möglich? Doch es blieb keine Zeit um darüber nachzugrübeln, denn Thuriell steuerte schon wieder auf die Tür zu. Sie sprach im Gehen weiter:

      „Aber ich glaube, es ist besser, wenn Ihr es mit eigenen Augen seht.“ Dann rief sie einen Namen:

      „Echna! Bitte führe doch unseren Neuankömmling ein bisschen herum. Am besten du beginnst mit den Lehrräumen, denn da wird sie euch bald Gesellschaft leisten.“ Dann wandte sie sich um.

      „Fenrick .... mit dir muss ich noch etwas besprechen.“

      Somit verschwand sie mit dem Elfen im Zimmer. Die Tür schloss sich geräuschvoll hinter ihnen und Rakna blieb mit tausenden Fragen zurück. Abermals hatte sie keine Zeit, um über das eben Besprochene nachzudenken, denn es löste sich eine junge Elfe von einem Wachposten an der Wand und kam im schnellen Schritt auf sie zu. Sie trug, wie alle anderen Wachen, eine schwarze Rüstung mit vielen goldenen Riemen und Verzierungen, mit dem einzigen Unterschied, dass auf dem Brustpanzer ein junger Vogel in goldener Farbe prangte. Während sie auf Rakna zuschritt, nahm sie ihren Helm ab und klemmte ihn sich unter den Arm. Ihr Blick war sanft und ihr schmales Gesicht war wunderschön. Die hohen Wangen wirkten rosig und ihr kurzes, braunes Haar stand wild in alle Richtungen, was sie draufgängerisch wirken ließ. Doch am beeindruckendsten waren ihre großen, blauen Augen, die Rakna an Schnee und Eis erinnerten. Die langen Wimpern verliefen in einem leichten Schwung und verliehen ihr einen neugierigen Ausdruck. Aber es war kein Lächeln auf ihren vollen Lippen zu sehen. Stattdessen reichte sie ihr steif die Hand und sprach mit überraschend rauer Stimme.

      „Ich bin Echna. Ich führe dich ein bisschen herum.“ Von dem achteckigen Saal, mit den vielen Elfen, liefen sie schnurstracks über das hinterste Areal, in einen weiteren steinernen Gang. Hier waren die Wände ebenfalls mit Gold verziert, aber anders als vorher breitete sich, entlang der gesamten Fläche, eine zusammenhängende Abbildung aus. Rakna erkannte grüne Bäume mit prächtigen Blüten und vollen Baumkronen, wie sie es von zu Hause kannte. Es ließ die kalten Wände heimelig wirken. Hier und da waren Elfen zu entdecken, die ebenfalls grünbraune Roben trugen, aber auch welche in roten, weißen, gelben und blauen Gewändern. Bis hier her war das Bild in bunten Farben gehalten. Dann plötzlich erschienen Heerscharen von Elfen in Rüstungen und dunkle Gestalten wurden zwischen ihnen sichtbar. Das gesamte Wandgemälde wurde düster und Rakna erblickte etwas Seltsames. Es war, als wäre das Bild in tausend Teile zerrissen. Doch während sie stehen blieb, um sich das genauer anzusehen, ertönte Echnas Stimme hinter ihr.

      „Wenn Ihr bei uns bleibt, dann werdet Ihr diese Malerei noch lange genug anstarren. Kommt, es gibt viel zu sehen.“ Mit sanfter Gewalt drängte sie Rakna in den nächsten Raum. Hier wirkten die Wände seltsam fleckig. In einer Ecke stand ein massiver Steintisch. Auf ihm lagen einige Schriftrollen ausgebreitet. In der Mitte des Bodens prangte ein riesiges Gemälde, welches an manchen Stellen schon leicht verblasst war. Unterschiedlichste Landschaften wurden auf den Grund gezeichnet. Rakna erkannte eine Berglandschaft, weite Felder und Wiesen, dunkle Wälder und ein raues Meer. Während sie den Raum durchstreifte, stellte sie fest, dass die Flecken an der Wand gar keine waren, sondern Bücher die bis unter die Decke aufgereiht wurden. Jeder Zentimeter wurde von ihnen bedeckt. Mit einem Finger fuhr sie über die Buchrücken. Seltsame, in Leder eingebrannte Zeichen, die sie nicht kannte, prunkten darauf. Mit einem dumpfen ‚klonk‘ stieß sie gegen Etwas zu ihren Füßen. Es klirrte laut, als es umfiel. Das Geräusch kam von vielen kleinen Figuren aus Stein, die wahllos in die Ecke gestellt worden waren.

      „Hier lernen wir Taktiken und Vorgänge, die uns im Kampf helfen. Teamarbeit ist oberstes Gebot. Was du draußen als Malerei gesehen hast, ist die Geschichte unseres Elfenvolkes. Wir analysieren sie, um nicht die gleichen Fehler erneut zu machen.“ Dies sagte sie unbeeindruckt und mit leerer Stimme. Rakna erkannte, dass es nicht gerade das Lieblingsfach von Echna sein konnte.

      „Es unterrichtet uns Bahar und wenn du mich fragst, dann glaubt er selbst nicht an das, was er sagt. Wenn es nach ihm geht, ist keine Taktik die Richtige. Ständig verstrickt er sich in seinen eigenen Vorgehensweisen. Ich glaube, er ist einfach zu alt für den Job. Aber er hat immer die besten Geschichten auf Lager. Ich denke, er ist der Letzte, der den großen Kampf selbst miterlebt hat.“ In diesem Moment huschte Echna das erste Lächeln über ihre Lippen. Doch so schnell wie es aufgetaucht war, verschwand es wieder. Ihre unergründlichen Augen musterten Rakna eingehend. Dann nickte sie in Richtung Tür und sagte:

      „Na los, lasst uns weiter gehen.“ Rakna gehorchte wortlos. Gemeinsam verließen sie den Raum durch die enge, einfache Holztür und liefen den über und über bemalten Gang entlang. Nach wenigen Schritten folgte eine weitere Tür, welche aussah wie die vorherige. Hinter ihr verbarg sich ein langer, schmaler Raum. Am anderen Ende befanden sich Zielscheiben in unterschiedlicher Entfernung und Höhe. An der Wand lehnten Bögen und Köcher, darin waren einige Pfeile zu erkennen. Doch sie schienen nicht sonderlich spitz zu sein.

      „Hier lernst du, mit Schusswaffen umzugehen.“, vernahm Rakna, Echnas tiefe Stimme. Aber dieses Mal drehte Rakna sich nicht zu ihr um, stattdessen nahm sie einen der Bögen und stellte sich schussbereit in Position. Der Pfeil war am Ende mit einer Feder geschmückt, welche Rakna nicht kannte. Sie war rotorange und verlief in einer langen Krümmung. Die gesamte Struktur war anders, feiner. Erwartungsvoll, wie der Pfeil sich verhalten würde, spannte sie ihn in den Bogen, welcher wunderbar leicht erschien. Es gelang ihr mühelos, die Sehne bis zum Anschlag zu spannen. Sie wählte das oberste Ziel aus, hob den Bogen auf Höhe ihres Gesichtes und hielt die Luft an. Der Pfeil surrte rasend schnell an ihrer Wange vorbei und traf genau ins Schwarze. Dabei durchstieß er die Scheibe. Hoch erfreut über ihren Schuss, drehte sie sich zu Echna. Diese wirkte weiterhin unergründlich, keine Spur des Beeindruckens lag in ihrem Gesicht.

      „Das war nicht schlecht, aber ich habe einen gravierenden Fehler entdeckt. Man darf niemals die Luft anhalten, wenn man schießt. Im Kampf hast du nicht die Zeit über das Atmen nachzudenken, es entscheidet also über Leben und Tod.“ Überrascht von Echnas detailreichem Blick und etwas enttäuscht aufgrund der Kritik, nickte sie der Elfin missmutig zu und legte den Bogen weg. Rakna begriff, dass es nicht einfach werden würde. Es war ein fremdartiges Volk und sie hatte dessen Kraft schon an Fenrick und den Windelfen erlebt. Sie waren schnell, berechnend und lautlos. Ganz anders als ihr eigenes Volk. Nun nicht mehr so euphorisch, ging sie weiter. Es folgten drei weitere Räume auf diesem Gang. Sie verteilten sich mal zur linken und mal zur rechten Seite. Der erste war komplett mit Moos überwachsen, sonst waren dort nur seltsam geschwungene Holzstäbe in unterschiedlichen Längen und Formen. Echna erklärte ihr, dass sie hier das Fechten mit Stäben lernten. Später würden sie dann zu Schwertern übergehen. Auf Raknas ungläubigen Gesichtsausdruck erwiderte sie scharf:

      „Du lernst, mit den schlechtesten Waffen zu kämpfen. Alles ist auf dem Schlachtfeld möglich und darauf wirst du hier vorbereitet.“ Im nächsten Raum waren wieder Zielscheiben angeordnet und zu Raknas großer Freude, Äxte in den verschiedensten Varianten und Ausführungen. Auch Wurfhammer, wie Fenrick einen trug, gab es hier. Aber keiner von diesen war so prächtig und einmalig wie der, den sie bei dem unergründlichen Elfen entdeckt hatte. Der letzte Raum war für Rakna ein Rätsel. Als sie ihn das erste Mal betrat, war es für sie einfach nur eine leere Kammer. Es dauerte einige Minuten, bis sie bemerkte, dass auf dem Boden verschiedene Schrittfolgen aufgezeichnet waren.

      „Was ist das für ein Raum?“, fragte Rakna an Echna gewandt, während sie den aufgemalten Fußspuren folgte.

      „Das ist die Königsdisziplin der Kampfkunst, genannt der waffenlose Kampf. Körperkontrolle ist hier von größter Wichtigkeit. Es unterrichtet uns Solas und ich sage dir, es gibt keinen Besseren als ihn. Wie er sich bewegt, so schnell, so grazil ...“ Echna stockte, etwas bereitete ihr Unbehagen, denn sie wandte ihren Blick plötzlich verlegen zu Boden. Das Wenige, was man von ihrem Gesicht sah, war feuerrot. Vollkommen durcheinander verließ sie schweigend den Raum und vergaß dabei ganz und gar Rakna mitzunehmen. Erst als diese keuchte, weil Echna im Sturmschritt den nächsten Korridor betrat, bemerkte die junge Wache ihren Fehler und blieb stehen. Plötzlich redete sie weiter über den Unterricht, als wäre nichts geschehen.

      „In