K. Krista

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      Im Buddhismus bedeutet der Begriff „Leid“ auch Ärger, Missgunst, Neid, Trauer und noch etliche weitere negative Emotionen. Indem wir „loslassen“ verringern, oder vermeiden wir Leid. Am einfachsten geht das noch mit Konsumgütern. Jeder der schon einmal in einer Ausnahmesituation war, eine schwere Krankheit überstanden hat, arbeitslos war, den Verlust eines geliebten Freundes zu beklagen hatte, oder ähnliches, hat sicherlich festgestellt, dass es viel wichtiger Dinge gibt, als Geld, Macht und Einfluss. Im Grunde brauchen wir Menschen ein Dach über dem Kopf, genug zu Essen und Kleidung damit wir nicht frieren. Gut etwas Kunst und Kultur kann auch nicht schaden, doch wenn wir wirklich ernsthaft darüber nachdenken was wichtig in unserem Leben ist, sind es meist nicht die Dinge denen wir täglich nachlaufen und die wir unbedingt zu erreichen versuchen.

      Das verursacht „Leid“.

      Wir sind gestresst, haben keine Zeit für unsere Freunde oder Familie, was weiteren Streit und Ärger verursacht. Zeit, ein unheimlich wichtiger und in unserer heutigen Welt unbezahlbarer Faktor. Denken wir darüber nach, wie viel Zeit wir in unserer täglichen Arbeit verbringen. Wir arbeiten teilweise 10 Stunden täglich, oder sind doch mit An- und Abfahrt zur Arbeitsstelle ungefähr solange außer Haus. Bei genauer Betrachtung leben wir fast ausschließlich für die Wochenenden und Urlaube. Vielleicht stecken wir auch noch in einem Job fest, den wir nicht wirklich mögen, er uns aber viel Geld einbringt. Wir werden immer unzufriedener, wir beginnen zu Kompensieren. Die Wochenenden müssen für einen Ausgleich der stressigen Woche sorgen. Manche stürzen sich in sportliche Aktivitäten, die meisten jedoch konsumieren. Shoppen gehen, sich in welche Abenteuer auch immer stürzen, oder sich mit Alkohol die Situation schön trinken. Jeder hat seine eigene Strategie, doch es ist was es ist – Kompensation.

      Eine Freundin meiner Mutter hat einmal einen sehr wichtigen Satz gesagt, den ich seit dem nie mehr vergessen habe. Sie arbeitete ehrenamtlich als Sterbebegleiterin und erzählte meiner Mutter in einem Gespräch von ihren Erfahrungen, dabei erwähnte sie, sie hätte in den letzten Stunden eines jeden Menschen, den sie begleitet habe schon so einiges gehört, doch niemals den Satz.

      „Ich hätte viel mehr arbeiten sollen“.

      Meister Li erklärte mir an einem Beispiel, dass „Loslassen“ auch mehr Freiheit bedeuten kann.

      >>Den Jugendlichen und Heranwachsenden in den Industrienationen wird ein PKW als Freiheit verkauft. Sieh dir nur die Werbung der Automobilindustrie an und du musst mir recht geben. Nehmen wir also einmal an, du bist eine alleinstehende Frau im Berufsleben. Allein um ein Auto zu finanzieren müsstest du, wenn du, mal angenommen du bist keine Akademikerin, mindestens einen gut dotierten Ganztagsjob haben um ein Fahrzeug zu finanzieren. Du könntest es dir nicht leisten, den Arbeitsplatz einfach zu kündigen, oder dir einen Job zu suchen der dir vielleicht besser gefällt, aber nicht so viel Gehalt einbringt. Du bist abhängig.

      Du hast dich selbst in diese Abhängigkeit begeben, allein dadurch, dass du unbedingt ein Auto benötigst, welches dir angeblich alle Freiheiten bietet. Ein Trugschluss, dem leider sehr viele Menschen unterliegen. Davon mal ganz abgesehen, dass du ohne dieses Fahrzeug deine Arbeitszeit vielleicht sogar noch reduzieren könntest und somit noch mehr Freizeit und damit Freiheit hättest.<<

      Es hat etwas gedauert, bis ich verstanden habe, was Meister Li mir vermitteln wollte. Abhängigkeiten steigen mit der Zunahme an angeblich unverzichtbaren Gütern mit dem Versprechen auf mehr Freiheit und/oder Bequemlichkeit. Bei genauerer Betrachtung aber, schränken sie meinen freien Willen ein und machen mich abhängig.

      Nun kann man das „Loslassen“ von Dingen noch nachvollziehen und probiert man es einmal aus, stellt man tatsächlich fest, es stimmt. Doch wie ist das mit Gefühlen, denn Buddha schließt auch das „Loslassen“ von Gefühlen, ja sogar das „Loslassen“ von Menschen und Beziehungen mit ein.

      Meister Li erklärte es mir so.

      >>Die Trauer um jemanden den man geliebt hat ist ebenso schwer zu ertragen, wie auch das Ende einer Beziehung sehr leidvoll sein kann. Daran ist nichts Schlechtes, im Gegenteil, Trauer ist ein sehr wichtiger Bestandteil unserer vielfältigen Emotionen. Was jedoch schädlich sein kann, ist das Verhaften, das Verweilen in der Trauer. Manche Menschen verlieren sich darin und das hängt oft daran, dass sie nicht „Loslassen“ können. Oft setzen die Menschen „Loslassen“ mit Vergessen gleich, doch das stimmt nicht. Auch du hast verärgert reagiert, als ich dich bat, deine Trauer loszulassen<<, setzt der Mönch lächelnd hinzu.

      >>Niemand erwartet, oder verlangt, dass man nicht mehr an den geliebten Menschen denkt, doch wieso muss ich mich in Trauer an ihn erinnern? Lass die Freude wieder zu, denke an die schöne Zeit. Freue dich darüber, dass du Zeit mit ihnen verbringen durftest. Lass die schönen Moment die Überhand gewinnen. Weine um den geliebten Menschen, aber halte dich nicht an dem Leid fest.<<

      Ich habe es ausprobiert und es war genauso wie Meister Li es gesagt hat. Es benötigte etwas Zeit, aber heute falle ich nicht mehr in ein tiefes Loch, wenn ich an den Verlust meiner Eltern denke. Ich vermisse sie ja, doch viel höher wiegt heute das Glück sie als geliebte Menschen gekannt zu haben und die Zeit die mir mit ihnen geschenkt wurde.

      Buddha sagt:

       Glaube nichts, hinterfrage und teste alles, auch das was ich euch erzähle.

      Deshalb ist Buddhismus nichts für Feiglinge, wie ich es auch gerne ausdrücke und deshalb liebe ich diese Weltanschauung, denn eine Religion ist es für mich nicht. Ich darf alles was Buddha gelehrt hat auf seine Richtigkeit überprüfen und muss nichts glauben.

      Heute sitzt Meister Li mit dem Professor unter der Linde, sie unterhalten sich, absichtlich schirme ich mein Gehör ab, ich möchte nicht lauschen und mache mich deshalb von Weitem, durch lautes Rufen bemerkbar.

      >>Hallo ihr zwei, ich habe gehofft euch hier zu treffen.<<

      Meister Li und „Onkel“ Juan sehen mir erwartungsvoll entgegen. Mit einem tiefen Seufzer nehme ich zwischen den Beiden Platz. >>Ich werde morgen abreisen<<, komme ich sofort zur Sache, unangenehme Dinge aufzuschieben, war noch nie meine Sache und dieses Gespräch habe ich wirklich lange genug hinaus gezögert. >>Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr hier in unserem Haus bleiben würdet. Erstens kann ich mich dann auf jemanden freuen, wenn ich wieder zurück bin und zweitens habe ich hier die Gewissheit, dass ihr in Sicherheit seid.<< Beinahe flehentlich sehe ich von einem zum anderen und hoffe inständig, dass sie auf meinen Vorschlag eingehen.

      >>Ich habe nichts weiter vor<<, wendet sich Meister Li an meinen „Onkel“, >>du etwa?<<

      Verschmitzt lächelt der Professor mich an, >>wir bleiben sehr gerne hier, wenn du das möchtest<<, fügt allerdings dann ernst hinzu, >>obwohl ich einige Tage mit mir gerungen habe, erst wollte ich dich nach Deutschland begleiten, aber Li hat mich überredet, es nicht zu tun.<<

      >>Ihr wisst seit Tagen, dass ihr hier bleiben wollt und lasst mich die ganze Zeit im Unklaren?<< Empöre ich mich künstlich, mit einem breiten Lächeln.

      >>Seit Tagen laufe ich mit Trauermine herum, weil ich nicht weiß, wie ich euch dazu überreden kann hier zu bleiben, ganz davon abgesehen, wie schwer mir die Trennung, wenn auch nur auf Zeit, fällt.<<

      Überglücklich falle ich abwechselnd „Onkel“ Juan und Meister Li um den Hals.

      >>Ich liebe euch Beide, ihr wunderlichen alten Männer<<, scherze ich, was uns herzlich zum Lachen bringt.

      ***

      Der Abschied am nächsten Morgen ist, wie meinerseits erwartet, sehr tränenreich, ich werde die Beiden, die inzwischen wie eine Familie für mich geworden sind, schmerzlich vermissen.