Sören Kalmarczyk

Telepathenaufstand


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Anlagen hatten. Wer intuitiv etwas fühlte, aber meistens doch daneben lag, war immerhin sechster Grad. So ging es immer weiter aufwärts. Der erste Grad war in der Skala für die stärksten gewöhnlichen Telepathen reserviert. Diese konnten nicht nur Gedanken und Gefühle lesen und senden, sondern auch Erinnerungen ausgraben und sogar ein Gehirn komplett auslöschen. Er selbst war ein starker Erster Grad. Magdalena hatte den zweiten Grad, aber das Potenzial, zum ersten Grad aufzusteigen.

      Steffi war gerade frisch zum zweiten Grad ernannt worden. In einigen Jahren könnte sie eine Hohe sein.

      Die Hohen. Das waren die Telepathen, die so stark waren, dass sie außerhalb jeder Kategorie standen. Es hieß, dass der echte Merlin ein Hoher war. Und Jesus von Nazareth soll auch ein Hoher gewesen sein. Hitler allerdings ebenso.

      Die Hohen waren selten. Aber nicht so selten, dass jeder von ihnen allgemeine Bekanntheit erlangte. Etwa ein Mensch aus 100 Millionen wurde zu einem Hohen.

      „Na toll!“, murmelte Merlin grinsend, als ihm klar wurde, was das bedeutete.

      Steffi würde in einigen Jahren eine Hohe werden und dieser Unbekannte war ein natürlicher Hoher. Zwei Hohe in Berlin oder nah dran.

      Merlin grinste noch breiter: „Die Franzosen werden wieder irre werden. Sie haben keinen, England hat einen und wir bald zwei.“

      ‚Wenn dieser Unbekannte rechtzeitig entdeckt wird und bis zu seiner Initiation überlebt‘, dachte er dann noch. Genau das galt es, sicherzustellen. Er musste diese Person finden.

      Alexander kam zu Hause an und drehte seine Runden, bis er endlich eine Stelle zum Parken fand. Parkplatz wäre gelogen, denn er stand genau vor einem abgesenkten Bordstein. Da nichts anderes frei war, hoffte er einfach darauf, wieder wegzufahren, bevor die Polizei oder das Ordnungsamt kamen.

      Er hatte noch einen Zwischenstopp im nahegelegenen Supermarkt gemacht und belegte Baguettes gekauft. Beim Aussteigen schaute er nach oben, zu dem Fenster, hinter dem sich das Kinderzimmer seines Sohnes Adriano befand. Das Licht war an. Also war der gerade noch 15-Jährige auch noch wach. Alexander lächelte, nahm seine Sachen aus dem Auto und schloss es ab. Dann ging er zur Eingangstür und die Treppen rauf.

      Oben angekommen begrüßte ihn schon sein Sohn: „Hast du zufällig Baguettes mitgebracht?“

      Alex hielt grinsend den Rucksack hoch: „Zweimal Hähnchen und zweimal Kochschinken.“

      Adriano nahm den Rucksack, räumte den restlichen Einkauf in die Küche und verschwand fröhlich grinsend mit seinen Hähnchenbaguettes wieder in seinem Zimmer.

      Während sich Alexander in seinen Chefsessel fallen ließ und seinen eigenen Computer einschaltete, hörte er aus dem Kinderzimmer auf Englisch irgendwen über irgendwelche hochkarätige Physik reden.

      ‚Seine Schulnoten sind echt nur aus Faulheit und mangelndem Interesse‘, dachte er sich, als er kurz zuhörte, ‚Aha, Alcubierre-Antrieb. Einmal Trekkie, immer Trekkie.‘

      Alexander startete sein Messenger-Programm, um seine Lieblings-Latina zu fragen, wie ihr Tag so war.

      Zehntausend Kilometer weit entfernt in Richtung Südwesten kochte gerade die Stimmung hoch. Es war nachmittags kurz nach halb drei. Josephine, Alexanders Verlobte, diskutierte gerade wieder mit ihrer Bank. Wobei streiten und diskutieren bei ihr nie weit auseinanderlagen.

      Während sie sich mit einer Hand das Handy ans Ohr drückte, versuchte sie mit der anderen Hand, in 3 Töpfen gleichzeitig zu kochen. Ihre beiden kleinen Neffen schwirrten dabei die ganze Zeit um sie herum.

      Alejandro und Santiago, Zwillinge, 8 Jahre alt. Bei ihnen, ihren Eltern und ihrer jüngeren Schwester lebte Josephine, bis sie wieder nach Deutschland fliegen konnte. Die Mutter der beiden war Josephines 2 Jahre ältere Cousine Mariana. Ihr Ehemann hieß Mateo, aber den Namen brauchte sich kaum jemand merken, da er sowieso von morgens bis abends arbeiten war und fast nie zu Hause.

      Neben diesen gab es noch das Nesthäkchen, die kleine Ana Sofia. Sie war gerade 2 Jahre alt. Wenn Josephine nicht gerade mit ihrem Studium beschäftigt war, spielte sie das Kindermädchen.

      „Nein, Sie hören mir jetzt mal zu! Ich habe Ihnen die Unterlagen schon drei Mal geschickt“, erklärte sie gerade der Dame von Bancolombia, der größten Bank Kolumbiens.

      „Ich weiß“, kam eine langsam verzweifelte Stimme aus dem Handy, „Ich sehe hier auch, dass die Unterlagen eingegangen sind, aber sie sind nun mal nicht hier.“

      „Das ist Ihr Problem, nicht meins! Finden Sie sie oder ich finde Sie!“

      Santiago zog gerade noch rechtzeitig den Kopf ein, als das Handy über ihn hinwegflog. Alejandro sprang vom Sofa hoch und rettete das Handy gekonnt mit einem Kissen. Dann grinste er triumphierend und Josephine lächelte ihm dankbar zu.

      ‚Wenn ich jetzt schon wieder ein Handy zerlege, bringt mich Alex um‘, dachte sie verlegen. Wie auf Kommando meldete sich das Handy – eine Nachricht von Alexander.

      Sofort war Josephines schlechte Laune wie weggeblasen und sie fischte sich das Handy aus Alejandros Händen, der noch spielerisch versuchte, damit zu entkommen.

      Sie las seine Nachrichten. Er war nach dem Training gut zu Hause angekommen und hoffte, dass es ihr gut ginge. Wie ihr Tag bisher lief, wollte er wissen. Sie diktierte eine Audionachricht ins Handy und erklärte ihm, welche Probleme die Bank schon wieder machte. Die gesamte Unterhaltung lief wie immer auf Spanisch ab, denn Josephine war zwar hochintelligent, aber lernfaul. Sie konnte sich zwar auf Deutsch verständigen, wenn es sein musste, aber das musste es ja gerade nicht. In den letzten viereinhalb Jahren hatte Alexander für sie Spanisch gelernt.

      „Soll ich dort mal anrufen?“, bot er ihr an.

      „Lieber nicht, Schatz, die letzte Sekretärin hat nach eurem Gespräch gekündigt.“

      Von Alexander kam nur noch ein breites Grinsen als Emoji.

      „Schatz, was war das vorhin?“, fragte Josephine besorgt.

      Alexander tippte und tippte. Schließlich kam ein langer Text von ihm. Nachdem sie ausgiebig mit den Augen gerollt hatte – so ungern, wie sie lernte, las sie auch – las sie sich den Text durch und erfuhr so alles, was vorgefallen war.

      „Ich find das so toll von dir, wie du ihm geholfen hast!“, antwortete sie schließlich, „Du, wir essen jetzt, ich melde mich nachher wieder. ¡Te amo!“

      Seine Antwort las sie schon nicht mehr. Wenn sie festlegte, dass sie später wieder mit ihm redete oder dass es für ihn Zeit fürs Bett war, dann war das so.

      Sie brachte das Essen auf den Tisch, ein klassisch-kolumbianischer Hühnereintopf mit Reis und frischem Gemüse. Mariana kam gerade mit der kleinen Ana Sofia vom Kinderarzt zurück, als der Tisch fertig gedeckt war.

      Als alle am Tisch saßen und aßen, schweifte ihr Blick jedoch immer wieder zum Handy. Sie hatte gespürt, dass etwas mit Alexander nicht in Ordnung war. Aber sie wollte warten, bis er von sich aus darüber sprach. Vielleicht war er nachher bereit, vielleicht auch nie. Wie auch immer er sich entschied, sie würde es respektieren.

      Alexander aß sein belegtes Baguette und schaute dabei einen Anime. Das war sein Ritual nach dem Training und er wurde grummelig, wenn ihm das jemand wegnahm.

      Ausgerechnet heute ging es in dem Anime um Esper. Menschen mit außersinnlicher Wahrnehmung. In der aktuellen Folge brach diese Fähigkeit gerade bei jemandem durch.

      Alex vergas fast, zu kauen, als er sich vorbeugte und genau hinschaute. Was dem Jugendlichen da auf dem Bildschirm gerade passierte, war dem, was ihm eine knappe Stunde vorher passiert war, einfach zu ähnlich.

      „Esper“, murmelte er, „ESP. Extra-Sensual Perception“

      Er suchte auf seinem zweiten Monitor im Internet nach weiteren Informationen darüber. Leider war alles, was er fand, entweder schon Jahrzehnte alt oder irgendwelcher esoterischer Mumpitz.

      „Interessant. Vor 30 Jahren scheint auf einen Schlag weltweit