Sören Kalmarczyk

Telepathenaufstand


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antwortete mit derselben Nachricht und fragte, wie es ihr geht.

      „Endlich etwas besser!“, antwortete sie ihm.

      Direkt nach ihrer zweiten Impfung fühlte sie sich für mehr als eine Woche sehr krank. Über Weihnachten ging es ihr dann etwas besser und dann schlug eine Grippe zu, die sie zwei Wochen lang gefangen hielt.

      „Ach, Schatz, das freut mich riesig!“, kam Alexanders Antwort mit vielen fröhlichen Emojis.

      Sie wusste, dass das die Wahrheit war. Er freute sich tatsächlich sehr für sie.

      „Was machst du gerade?“, fragte sie ihn.

      „Pizza essen“, kam seine Antwort mit einem Foto der Pizza.

      Sie ließ das Handy in den Schoß sinken und schaute zum Kleiderschrank. In dem großen Spiegel an der Tür betrachtete sie ihr eigenes Spiegelbild. Sie sah schockiert und blass aus.

      Nach einem tiefen Durchatmen antwortete sie: „Wie toll, Schatz! Wir essen heute auch Pizza.“

      „Anscheinend sind wir tatsächlich miteinander auf eine intuitive Art verbunden“, schrieb Alexander zurück, als wäre es völlig selbstverständlich, dass man mit zehntausend Kilometern Distanz dasselbe denkt und fühlt.

      Josephine fand neuen Mut und fasste einen Entschluss. Wenn sie wieder in Deutschland war, wollte sie ihm alles erzählen. Noch vor der Hochzeit!

      „Ich mach mich erstmal fertig und dann…“, schrieb sie gerade, als seine Nachricht kam: „Du, wir trainieren noch für zwei Stunden.“

      ‚Ach ja‘, dachte sie, ‚das Spezialtraining mit Adriano, das sie jetzt jeden Sonntag machen.‘

      Sie dachte, es ginge um Karate, da Adriano am Ende des nächsten Monats 16 wurde und dann seinen vollwertigen schwarzen Gürtel erhalten sollte.

      Lächelnd schüttelte sie den Kopf. Ihr war gerade bewusst geworden, dass sie ihm schonend beibringen wollte, dass sie die nächsten paar Stunden keine Zeit für ihn hätte. Das hatte er ihr abgenommen.

      Sie verabschiedeten sich herzlich voneinander und schickten sich gegenseitig noch Fotos. Dann ging sie ins Badezimmer und duschte erstmal ausgiebig.

      ‚Pizza…‘, dachte sie noch.

      Adriano und Alexander übten noch im steten Wechsel den Negativschild, bis Merlin zufrieden war. Sie waren nun so weit, dass sie sich unbewusst automatisch mit einem schwachen Schild umgaben, der ihre Gedanken und Gefühle von den „Normalos“ fernhielt.

      Als nächstes kam der Positivschild dran. Nicht stattdessen, sondern zusätzlich zum Negativschild. Der positive Schild diente dazu, Gedanken und Gefühle von anderen draußen zu halten.

      Die beiden, Vater und Sohn, hatten sich ihren ganz eigenen Drill für diese Übung ausgedacht. Einer schützte sich mit einem starken Schild und der andere bombardierte ihn mit mentalen Angriffen. Nach einer Minute wurde gewechselt.

      Nach 20 Minuten standen beide auf und tänzelten umeinander herum. Jetzt kämpften sie richtig, zumindest telepathisch. Beide hielten ihren Schild aufrecht und schossen gleichzeitig konzentrierte Psi-Energie auf den Schild des anderen.

      Magdalena trat an Merlins Seite. „Hast du so etwas jemals gesehen?“

      „Nein“, antwortete er genauso leise, wie sie, „ich habe aber auch noch nie zuvor zwei Schüler gleichzeitig gehabt, die Karate können.“

      Magdalena nickte langsam und erwiderte: „Es wirkt, als würden sie ihre Karatetechniken telepathisch anwenden. Angriff, Block, Ausweichen, Konter. Da, ein Loch!“

      In Adrianos Schild war eine Lücke entstanden, in die Alexander sofort hineinschoss. Allerdings stoppte er den Angriff wenige Zentimeter vor seinem Sohn.

      „Das ist Karate!“, flüsterte Merlin, „Wäre das ernst, hätte der Schuss gesessen. Aber beide achten die ganze Zeit darauf, im letzten Moment anhalten zu können, falls die Abwehr des anderen bricht.“

      „Maitta!“, rief Adriano.

      Er und sein Vater stellten sich aufrecht voreinander hin und verbeugten sich. Ihre Hacken waren dabei geschlossen, während die Zehen auseinanderzeigten. Die Hände knallten kurz vor der Verbeugung links und rechts an die Oberschenkel.

      Er hatte gerade gemeldet, dass er seine Niederlage anerkennt. Magdalena und Merlin schauten sich mit hochgezogenen Augenbrauen an – das hatten sie zum ersten Mal gesehen – als sie ein Klatschen hörten und sich schnell wieder zu ihren Schülern drehten.

      Die beiden hatten sich gerade High Five abgeklatscht und drückten sich wie das nur Papa und Sohn können.

      „Feierabend!“, verkündete Merlin schließlich und alle gingen ein Zimmer weiter, in den Besprechungsraum, der gleichzeitig als Schulungsraum diente.

      Die beiden Kämpfer tranken erst einmal gierig ihre Trinkflaschen leer, als sich alle gesetzt hatten. Schließlich ergriff Merlin das Wort.

      „Ihr beide seid ganz besondere Schüler. Nicht nur, dass ihr in knapp einem Monat gelernt habt, was andere in einem Jahr nicht schaffen! Ihr bastelt euch sogar völlig eigene Unterrichtsmethoden zusammen.“

      Steffi hatte sich inzwischen ebenfalls zu ihnen gesetzt und stützte das Kinn in die Hände.

      „Wie könnt ihr das so schnell lernen?“, fragte sie.

      „Wir tun es einfach“, antwortete Adriano und Alexander nickte dazu.

      „Ja, aber selbst, wenn ihr in einem Training was nicht versteht, habt ihr das beim nächsten dann drauf. Nicht einfach nur verstanden, sondern komplett gelernt!“, beharrte Steffi.

      Alexander zeichnete mit dem Finger Kreise auf den Tisch, als er erklärte: „Wenn wir zu Hause sind, verarbeiten wir alles, was wir gelernt haben und schicken uns gegenseitig die Erkenntnisse. Wir trainieren fast jeden Tag und was einer versteht, versteht durch das Hive sofort auch der andere.“

      „Durch das was?“, fragte Merlin mit skeptischem Blick.

      Alexander erklärte ihm, wie das Hive-Mind funktionierte. Sein Sohn und er hatten sich von den Borg aus Star Trek inspirieren lassen und ziemlich früh im Training eine unbewusste Verbindung zwischen sich geschaffen. Über diese Verbindung konnte jeder von beiden auf das Wissen und die Erkenntnisse von beiden zugreifen. Sie dachten nicht die ganze Zeit dasselbe, sondern beide konnten unabhängig voneinander mit zwei Gehirnen denken.

      „Nun ja“, schilderte Alexander, „nicht immer. Jeder von uns kann die Ressourcen des jeweils anderen nutzen, die gerade frei sind. Aber so muss immer nur einer von uns etwas verstehen und der andere versteht es sofort auch.“

      Merlin nickte langsam. Diese Technik war gefährlich nah an verbotener Kommunikation zwischen Telepathen. Aber da genau genommen nur die telepathische Kommunikation mit Mitgliedern ANDERER Zirkel verboten war, sagte er nichts weiter.

      Wäre Adriano zur Schule gegangen, wäre es aufgefallen, weil mit Sicherheit seine Zensuren quer durch alle Fächer nur noch Einsen gewesen wären. Aber seit Weihnachten war wieder Lockdown.

      Omikron hatte Deutschland und Europa fest im Griff. Die neue Bundesregierung hatte zu langsam reagiert und erst ab Heiligabend das Land komplett heruntergefahren. Dieser Lockdown würde bis in den Februar gehen.

      Genau genommen waren ihre Treffen damit illegal. Aber da sie alle vollständig geimpft waren und sich jedes Mal testeten, sahen die Telepathen darin kein Problem. Niemand von ihnen ahnte, dass sie nur wenige Monate später noch gegen ganz andere Gesetze verstoßen würden, verstoßen mussten, um zu überleben.

      Mit der Hilfe von Merlins Verbindungen hatte Alexander es geschafft, dass Josephine trotz des Lockdowns im Februar nach Deutschland kommen konnte.

      In Kolumbien war die Omikron-Variante des Coronavirus‘ noch kein großes Thema. So bereitete sich Josephine mit wachsender Vorfreude darauf vor, im nächsten Monat endlich wieder zu ihrem „Amor“ zu fliegen und ihn endlich zu heiraten.