Lars Gelting

Tod eines Agenten


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gerade über das Gesicht gewischt.“

      Es war eine kleine Schnittstelle im Handballen der rechten Hand. Er hatte sie bisher nicht bemerkt und schenkte ihr auch jetzt keine Beachtung. Der Regen lief darüber und sie würde schon aufhören zu bluten.

      „Okay. Ich rufe ja sowieso den Krankenwagen – und ich muss die Polizei rufen. Tut mir leid.“

      Aber er hatte sich schon abgewandt, tastete seine Taschen ab. „Fühlt sich an, als wäre ich in voller Montur Schwimmen gewesen. Ich suche mein Smartphone.“

      „Das liegt vermutlich im Auto. Oder?“ Sie hatte ihr Smartphone schon am Ohr, wartete darauf, dass die Verbindung zustande kam.

      Das Auto! Er fuhr herum. Wenige Meter neben der Straße, zwischen all dem tropfenden Wildwuchs, sah er das spärliche Abblendlicht, das im dichten, nassglänzenden Buschwerk versickerte. Sah den dunklen Umriss des X3 ganz nah neben einem dicken Baum.

      Nein! Verdammt nein! Nicht das auch noch. Er fühlte sich unvermittelt dumpf, erledigt, stand mit geschlossenen Augen einen Atemzug lang nur da. Dieser ganze Tag war ein einziges sich steigerndes Desaster gewesen, und das hier war der Höhepunkt. Hoffte er jedenfalls.

      Er verließ die Straße, stieg über niedergerissenes Buschwerk hinweg in den Wildwuchs. Rutschte unsicher umher und stolperte im Dunkeln über Äste, Wurzeln und herumliegende Steine auf sein Auto zu. Spürte jetzt, wie das Wasser bei jedem Schritt in seinen Schuhen quotschte, wie schwer die Kleidung an seinem Körper klebte und spannte. Vor ihm tauchten die Rücklichter auf. Zwischen Baumstämmen und niedergewalztem Buschwerk leuchteten sie ihm diffus entgegen; er fürchtete das Schlimmste.

      Aber dann sah es gut aus. Er wischte den Regen aus dem Gesicht, atmete tief durch. Das hatte ihm zugesetzt, mit jedem Schritt mehr, die Befürchtung, den Wagen schwer beschädigt hier vorzufinden. Im Licht der Rückleuchten aber und in all dem nassen Chaos, welches ihn umgab, war der Wagen bis zum Dach verdreckt, aber unversehrt. Er folgte mit den Augen den Konturen, war zufrieden mit dem, was er erkennen konnte, öffnete die Beifahrertür und spürte augenblicklich so etwas wie einen elektrischen Schlag.

      Im Licht der Innenbeleuchtung glitzerten auf den Sitzen und im Fußraum unzählige kleine Glassplitter und Glasbruchstücke, die Airbags an der Fahrertür hingen schlaff herunter. Beim Herausklettern hatte er all das nicht wahrgenommen – auch nicht, dass er sich an den Glassplittern geschnitten hatte. Aber die Empfindung war sofort zurück. Den Aufprall empfand er wie einen Nachhall mit anschließendem Schlag in den Magen. Er hatte den Wagen ruiniert. Der X3 war mit der ganzen Wucht seines Gewichts an einer dicken Fichte eingeschlagen. Die Fahrertür und der darunterliegende Holm hatten ihr nachgegeben und waren ins Innere des Wagens hineingepresst worden. Das war’s.

      Zum wiederholten Mal wischte er sich das Wasser aus dem Gesicht und schlug die Tür zu. Mit der nassen Kleidung konnte er sich sowieso nicht ins Auto setzen.

      Das Smartphone! Genervt riss er die Tür wieder auf, musste sich über den Sitz hinunterbeugen, um das Smartphone aus dem Fußraum zu fischen.

      „Sture Bengtson.“ Kopf und Arm waren noch im Fußraum, als Sture Bengtson wie eine Stichflamme in seinem Kopf aufleuchtete.

      Bockmist verdammter! Er zog sich aus dem Fußraum zurück und ließ sich erschöpft auf die Sitzkante fallen, die Füße draußen auf dem Waldboden.

      Sture Bengtson! Das war der ultimative Gau! Jetzt hatte er die Chance gründlich vermasselt.

      Aber er musste diesen Kerl treffen. Musste ihn treffen, bevor der sein brisantes Material an den nächsten verkaufte.

      „Sieht schlimm aus, oder?“ Die Fremde rief es herüber, stand auf der Straße an ihrem Land Rover.

      „Noch schlimmer und nicht weniger.“ Erik schloss die Tür und stolperte zurück zur Straße. „Jetzt hänge ich hier fest. In jeder Hinsicht. Verdammt.“ Wütend kickte er einen größeren Stein ins Gebüsch.

      „Kommen Sie, setzen wir uns in den Rover. Polizei und Krankenwagen sind unterwegs, dann haben wir es bald hinter uns.“

      Er blickte in die Dunkelheit, die von den Rücklichtern des Rovers rot gefärbt wurde. „Müssen wir nicht irgendetwas für diese Lotta tun? Sie wird sich da unten den Tod holen.“ Die nasse Kleidung sperrte am Rücken und an den Knien, als er sich in den Rover hineinzog.

      „Ich habe ihr eine dicke Decke hier aus dem Wagen übergelegt. Mehr kann ich nicht tun.“ Sie stellte die Klimaanlage auf ‚Heizen‘. „Ich bin nicht gerade empfindlich, aber jetzt bin ich durchgefroren.“ Sie zog sich zusammen, simulierte ein kräftiges Zittern und schob die tropfende Kapuze vom Kopf.

      „Ich überhaupt nicht!“ Er ließ den Kopf nach hinten an die Stütze sinken. „Ich tu nur so und bin froh, dass ich ein wenig trocknen kann.“

      „Wo bleiben Sie nachher? Haben Sie hier irgendwo etwas gebucht?“

      „Ach man! Ja, das auch noch! Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Vielleicht hat die Polizei ein warmes Kämmerchen für mich – nur für diese Nacht.“ Er musterte sie von der Seite, sah ihr zu, wie sie mit einem Papiertuch über ihr Gesicht wischte. Sie hatte dichtes, naturblondes Haar, am Hinterkopf locker zusammengerafft und hochgesteckt. Er dachte, dass das irgendwie nicht zu ihr passte. Es wirkte zu rustikal. Aber andererseits sah es gut aus, so nach unkompliziertem Naturtyp, mit dem man Pferde stehlen konnte. Zwischen vierzig und fünfzig mochte sie wohl sein, schätzte er.

      „Es geht weiter. Da hinten. Ich sehe es im Spiegel.“ Sie wies auf ihren Rückspiegel, zog sich die Kapuze wieder über den Kopf. Schon der Tür zugewandt, hielt sie einen Augenblick inne, sah dann noch einmal zurück, über die Schulter, so als sei ihr noch etwas eingefallen.

      „Wir haben vielleicht noch ein Zimmer frei. Wenn Sie das lieber nehmen möchten, als in Polizeigewahrsam zu übernachten. Wir reden gleich darüber.“ Dann war sie draußen.

      Erik folgte ihr, unwillig, schlug die Tür zu und verfluchte augenblicklich den Regen, der sofort wieder über ihn herfiel. Nachdem sie einige Minuten im warmen Auto gesessen hatten, empfand er den Regen als absolut hassenswert. Unverändert heftig prasselte er auf ihn herab, auf die Straße, überhaupt auf alles. Er fühlte sich ihm ausgeliefert und das machte ihn zunehmend wütend.

      Das Polizeifahrzeug rollte hinter den Rover. Blaulicht zuckte durch den Regen, über nasses Buschwerk und holte einzelne Baumstämme aus der Dunkelheit. Und er konnte im Widerschein der Lichter sehen, dass die Beamten bereits im geräumigen Transporter ihre großen Regencapes überzogen, während ihm das Wasser schon wieder aus den Ärmeln lief. Hinter dem Polizeifahrzeug, in der Kurve noch, kam der Krankenwagen durch den Regen heran, eilig, mit aufgeregt zuckendem Blaulicht.

      Kapitel 2

      Fünfzehn Minuten später hatten die Beamten den Unfall aufgenommen, hatten Erik auferlegt, für weitere Formalitäten am nächsten Tag die Polizeistation in Arjäng aufzusuchen. Den Wagen musste er am nächsten Tag bergen lassen.

      Lotta war offensichtlich schwerer verletzt. Sie war von einem Notarzt versorgt worden und war jetzt auf dem Weg nach Arvika ins Hospital.

      „Haben Sie sich das überlegt? Mein Angebot mit dem Zimmer. Sie müssen sonst mit der Polizei zurück nach Arjäng fahren.“ Die Frau hatte die ganze Zeit im Rover gewartet, ihr Wachsmantel wirkte schon wieder trocken.

      „Ich werde Ihre Ledersitze ruinieren.“ Erik lehnte den Kopf wieder an die Stütze. „Haben Sie schon mal ein Gummibärchen in einer Wasserpfütze gesehen? So fühl ich mich jetzt auch, wie ein aufgeweichtes Gummibärchen.“ Er zog die nasse Hose an den Knien etwas hoch, um sie von der Haut zu lösen.

      „Tut mir leid. Ich habe den Gedanken da draußen verloren. Aber wenn es Ihnen nichts ausmacht, mich so durchgeweicht aufzunehmen.“

      „Dann sollten Sie vielleicht jetzt Ihr Gepäck holen, damit wir endlich hier wegkommen.“

      Er blickte sie an, mit gekrauster Stirn, schluckte