Lars Gelting

Tod eines Agenten


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dachte er.

      „Bist du Lehrer?“ Anneke füllte sich Wein nach, sah ihn über das Glas hinweg an.

      „Vielleicht. Vielleicht bin ich ja auch ein Bankangestellter oder eher noch Steuerprüfer.“

      „Glaube ich nicht.“ Anneke hielt den Kopf leicht schräg, musterte ihn mit ruhigem nachdenklichem Blick. „Dafür scheinst du mir zu lebendig.“

      „Ich gehöre zu der Sorte von Menschen, die euch jeden Tag mit den neuesten Gemeinheiten aus aller Welt konfrontiert.“

      „Oh ha! Ein Journalist.“ Ulrike warf ihm einen raschen Eisblick zu. „Das hättest du man gleich da oben auf dem Berg sagen sollen. Für wen schreibst du?“

      „Wer meine Informationen haben will, kauft sie halt, vorwiegend Printmedien.“

      Er beugte sich vor, drehte sein Weinglas zwischen den Fingern.

      „Ich habe immer noch diese Frau vor Augen. Wie sie da in ihrem langen weißen Kleid plötzlich vor meinem Auto auftaucht. Dieses alte Gesicht. Was ist mit dieser Lotta?“

      Die beiden Frauen warfen sich einen schnellen Blick zu.

      „Du fragst das jetzt nicht als Journalist?“

      „Als Betroffener. Jetzt klebt nur mein Auto da oben am Baum, aber ich hätte leicht einen Menschen töten können. Einen sonderbaren, aber offensichtlich hilflosen Menschen.“

      „Wohl wahr.“ Anneke sah von ihm zu Ulrike hinüber. „Du kennst doch die Verhältnisse hier. Kümmert sich eigentlich jemand um Lotta, oder hängt die Arme nur an diesem Lasse?“

      „Lasse ist ihr Bruder?“

      „Wie willst du an dem hängen? Der hat nur die Flasche im Arm und geht auf jeden los, der ihm in die Quere kommt.“

      „Aber Lasse ist also ihr Bruder?“ Erik dachte an die Puppe, witterte die Ungeheuerlichkeit und wollte es einfach wissen.

      „Lasse ist alles Mögliche, und im Übrigen: Du solltest nicht darauf hoffen, von dem auch nur eine schwedische Krone für deinen Schaden zu bekommen. Der hat nichts. Und wenn er mal was hat, dann geht es durch den Hals. Aber verwandt ist Lasse nicht mit Lotta.“

      Ulrike warf ihm einen Blick zu, kurz und abwägend.

      Die ist kalt wie ein Kilo Sülze, dachte er.

      „Lotta ist erst so um 95 hierhergekommen, zusammen mit der Frau, die sich der alte Jansson, Lasses Vater, ins Haus geholt hat. Waltraud aus Leipzig. Walli nannte der Alte sie immer. Ein fürchterliches Weib, nicht viel besser als Lasse. Und jetzt möchte ich den Rotwein genießen und mag nicht länger über diese abstoßenden Leute reden.“

      „Ist ja auch alles gesagt.“ Anneke zog ihren rechten Fuß auf die Sitzfläche und wies mit dem Weinglas in der Hand zu ihm herüber. „Was geschieht jetzt weiter mit dir, mit deinem Auto?“

      „Ich muss morgen früh nach Arjäng, nochmal zur Polizei. Und dann muss ich mir jemanden suchen, der meinen Wagen da aus dem Wald zieht. Ich werde mir eine Taxe bestellen.“

      „Das kannst du vergessen. Die Taxe müsste aus Arjäng kommen, auch durch den Wald. Die kommt nie hier an, ganz sicher nicht.“ Ulrike sah hinüber zu Anneke, die ihrem Gespräch nicht folgte und versonnen ins Feuer starrte. „Kann er nicht mit deinem Ranger fahren? Der steht ja ohnehin nur hier herum.“

      „Wenn er verspricht, ihn nicht an einem Baum zu parken.“

      Der Schlaf kam, bevor Erik richtig lag. Er sackte einfach weg ins Schwarze. Fiel durch das schmale Bett hindurch ins Bodenlose – und war nach zwei Stunden wieder hellwach. Lotta hatte ihn gefunden.

      Er wälzte sich herum, musste unbedingt den Film anhalten, der in einer Endlosschleife durch seinen Kopf raste. Der Film begann immer mit den Bäumen. Immer sah er die Bäume zuerst. Sah sie vorbeirasen in erschreckender Geschwindigkeit. Und dann stand plötzlich Lotta im Licht der Scheinwerfer. Ein Wesen im schneeweißen Kleid, mit grauen Haaren bis auf die Erde und mit großen traurigen Augen. Stand da im Regen zwischen den Bäumen. Wurde immer größer und klarer und noch größer, während er auf sie, auf diese großen Augen und auf die Bäume zuraste.

      Er musste diesen Film aus dem Kopf bekommen.

      Eine Zeitlang saß er im Dunkeln auf der Bettkante, suchte nach anderen Gedankengängen.

      Die Frauen, wie hatten die sich nur gefunden? Verschiedener ging ja gar nicht. Es war kaum vorstellbar, dass diese beiden hier tagelang harmonisch zusammenleben konnten.

      Anneke war eine Frau, die in sich und ihren Erfahrungen ruhte. Ihre Nähe, ihre warme Stimme, die ihm vom Gehörgang gleich bis in den Bauch fiel, der zarte, kaum wahrnehmbare Duft, der von ihr ausging, all das empfand er als angenehm, in aufregender Weise stimulierend.

      Ulrikes Nähe, ihre Dominanz, versetzte ihn eher in Anspannung. Sie war eine reife, sehr interessante Frau. Intellektuell und zugleich verführerisch, mit einem begehrenswerten, geschmeidigen Körper und sinnlichen Gesichtszügen. Aber sie hatte die Anmutung eines Betonmischers.

      Irgendetwas stimmte nicht mit den beiden, aber das sollte ihn nicht interessieren.

      Es war eine Stunde nach Mitternacht, als Erik sich nur mit Shorts bekleidet und seiner Decke unter dem Arm zurück in die Wohnstube schlich. In dem kleinen Zimmer konnte er nicht schlafen, und das Sofa in der Stube sah weich und gemütlich aus.

      Im Küchenbereich goss er sich im Dunkeln ein Glas Wasser ein, stand einige Minuten gedankenverloren an den Schrank gelehnt, als er ein Geräusch wahrnahm. Jemand hatte den Raum betreten und kam im Dunkeln auf ihn zu. Er tastete nach dem Lichtschalter. Anneke stand vor ihm.

      In einem knöchellangen, dunkelroten Nachthemd mit Schottenkaro stand sie nur drei Schritte entfernt, blinzelte gegen das Licht.

      „Schlafwandelst du hier herum?“

      „Lotta verfolgt mich. Außerdem kann ich in dieser Kammer da hinten nicht schlafen. Und du?“

      „Ich bin einfach wach geworden.“ Sie hielt die Weinflasche gegen das Licht, goss sich einen Schluck Wein in ein Wasserglas. „Vielleicht habe ich dich gehört.“

      Er legte den Kopf schräg, verengte die Augen, „Du wolltest mir nur dein Nachthemd zeigen, stimmt´s?“

      Sie sah ihn verschmitzt an, stellte ihr Glas zurück, „Ein äußerst praktisches Kleidungsstück. Es ist warm und macht sich im Bedarfsfall auch als Schal sehr gut.“

      „Würde ich ja zu gern mal sehen.“

      „Schlaf gut. Und träume diesmal was Schönes, hm.“ Sagte es und ließ ihn in der Küche stehen.

      Kapitel 3

      Der neue Tag begann trübe und diesig, Er war einfach nur da, in diffuser Dumpfheit.

      Auf dem Sofa hatte Erik unruhig geschlafen. Er war schon früh wieder wach. Sein Magen machte sich bemerkbar, und er wartete ungeduldig darauf, dass die Frauen wach wurden.

      Nach dem Frühstück fuhren Anneke und Ulrike zur Elchjagd. Er saß noch eine Weile bei seinem Kaffee. Er musste zur Polizei und es war ihm nicht klar, was die Beamten noch von ihm wollten. Danach musste er sich um die Bergung seines X3 und um dessen Reparatur kümmern. Gut möglich, dass er sein gesamtes Vorhaben abbrechen musste. Sture Bengtson! Der war der Schlüssel, wenn sein Vorhaben gelingen sollte.

      Er erhob sich, stellte das benutzte Geschirr in den Küchenbereich und schlenderte entspannt durchs Haus. Sah, dass ein Schlafraum nur als Vorrat und Garderobe genutzt wurde. Im Raum daneben schliefen die beiden Frauen. Er steckte nur den Kopf durch die Tür, witterte wie ein Hund in den Raum, widerstand der Versuchung, sich in dem Zimmer umzusehen. Die weiteren Räume waren bis auf seine Schlafkammer unbenutzt.

      Hinter dem Haus lag eine Wiese, die an einen See grenzte. Ein kleines Schwedenhaus, nah am See, diente vermutlich als Sauna, und