Lars Gelting

Tod eines Agenten


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Wendegeschichte ab. Nein. Ich habe dir ja am Anfang gesagt, diese Sache ist zunächst mal nur für mich selbst von Bedeutung. Ich will diesen Stocher.“

      „Und dann?“

      „Werde ich sein Leben zerstören. Ich werde ihn mit meinen Mitteln vernichten, Kai.“

      „Weil er nach der Wende ein krummes Ding gedreht hat?“

      „Weil er mein Vater ist.“

      Zwei oder drei Atemzüge lang war nur Kais Ausatmen zu hören.

      „Du bist nicht der Meinung, dass ich da eher außen vor bleiben sollte?“

      „Ich habe dich nur gebeten, für mich zu recherchieren, mir Informationen zu besorgen, an die ich im Augenblick nicht herankomme. Außerdem bist du nun mal der Experte auf diesem Gebiet. Was sich aus diesen Informationen nachher ergibt, ist ja nichts, was dich tangieren müsste.“

      „Siehst du das so, ja?“

      Wieder hörte er einen Moment lang nur Kais Atem.

      „Erik, ganz ehrlich: Das Ganze geht nicht so richtig in meinen Kopf. Aber ich kenne ja auch die Hintergründe nicht. Du hast nie darüber gesprochen.

      Ich werde also recherchieren, so tief ich kann. Du kannst dich auf mich verlassen. Nur, wenn du zurück bist, sollten wir reden. Das kann eine ganz haarige Sache werden, Erik.“

      „Kai, ich weiß das. Wir reden, wenn ich wieder zurück bin.“

      Kai legte auf, bevor er den Satz vollendet hatte.

      Erik schob das Smartphone in seine Jackentasche, startete den Rover und verließ den Parkplatz.

      Kai hatte das sofort richtig erkannt. Solche Vergeltungsaktionen konnten sehr wohl in einer Katastrophe enden. Er war zu aufgewühlt, mochte jetzt nicht darüber nachdenken

      Die Schotterpiste durch den Wald war inzwischen weitgehend abgetrocknet und präsentierte sich nun als buckelige Fahrbahn mit unzähligen Schlaglöchern. Noch im Nachhinein ärgerte er sich über seine Naivität und seinen Leichtsinn. Seine Neigung, in gewissen Situationen alles auf eine Karte zu setzen, war immer riskant und könnte ihm noch einmal zum Verhängnis werden.

      Gerade als er das kleinen Haus kurz vor der Unfallstelle passierte, meldete sich sein Smartphone. Er fummelte es aus der Tasche, fürchtete, Kai würde seine Zusage zurücknehmen. Vor ihm tauchte die Kurve auf, die er niemals in seinem Leben vergessen würde. Er durchfuhr die Kurve mit dem Smartphone in der Hand und hielt dann an, wenige Meter vor dem Kinderwagen am Straßenrand.

      Eine Mitteilung von Sture Bengtson! Na also. Alles kam so langsam wieder in die richtigen Bahnen.

      Sture wollte sich mit ihm am Freitag um vierzehn Uhr treffen. Ort des Treffens war diesmal ein Lokal „Kottes Pizzeria“. Er googelte, fand das Lokal. Es lag etwas außerhalb von Arvika, direkt an der Route 175. Vermutlich beides kein Zufall.

      Aber sein BMW sollte erst am Montag fertig werden. Am Freitag hatte er noch kein Auto und er war hier in der Wildnis. Fünf verstreute Häuser, umgeben von Wald und mindestens hundert riesigen Seen, der nächste Ort lag zehn Kilometer entfernt. Ohne sein Auto saß er hier fest. Er schob den Gedanken beiseite, irgendwie musste das gehen.

      Zunächst aber ging gar nichts. Ohne Auto war er hier draußen an das Haus gebunden. Er strukturierte zum dritten oder vielleicht auch schon fünften Mal seinen Reportage-Entwurf, führte einige Internet-Recherchen durch und vereinbarte Gesprächstermine mit Vertretern von drei politischen Parteien.

      Am Ende kam er sich vor wie ein Rennpferd in der Startbox; er wollte endlich los.

      Und dann war Freitag. Mit den Informationen, die er sich von Sture Bengtson versprach, würde er endlich konkret arbeiten können. Außerdem ging er davon aus, über Sture an wichtige Personen heranzukommen, von denen er sich ergänzende Informationen erhoffte. Es konnte losgehen.

      Anneke lieh ihm den Rover mit der gleichen Leichtigkeit, mit dem sie ihm vermutlich einen Kugelschreiber oder einen Regenschirm geliehen hätte. Einzige Bedingung: ein opulentes Abendessen. Er würde alles Mögliche machen, Hauptsache er kam los.

      Kapitel 5

      In Arvika fuhr Erik zuerst zum Hospital, um Lotta zu besuchen.

      Die Schwester, die er auf dem Flur nach Lottas Zimmer fragte, sah ihn zunächst nur fragend an.

      „Ich bin derjenige, der Lotta angefahren hat. Ich möchte sehen, wie es ihr geht.“

      Lotta war mit einer anderen, älteren Frau in einem hellen Krankenzimmer untergebracht. Als er das Zimmer betrat, lag sie ganz still in ihrem Bett und sah einfach ins Nichts.

      „Die Arme liegt den ganzen Tag so da, wie jetzt.“ Die alte Frau wies mit ihrem Kinn hinüber zu Lotta. „Reden kann man nicht mit ihr.“

      „Das glaube ich gern. Aber, ich bin mir sicher, Sie würden es gar nicht hören wollen, was Lotta Ihnen erzählen könnte. Wissen Sie, was genau mit ihr ist?“

      „Ihr Becken ist gebrochen, deshalb kann sie sich nicht groß bewegen.“

      Er wandte sich Lotta zu, versuchte ihre Aufmerksamkeit zu erregen, ihren Blick zu erfassen. Lotta lag da in ihrem blauen Krankenhaus-Nachthemd, sah nur geradeaus an die Wand.

      Er blieb neben dem Bett stehen, beugte sich etwas vor, um Lotta ansehen zu können, und stützte sich dabei auf der Matratze ab.

      „Lotta, ich habe mit dir gesprochen, oben im Wald. Es hat sehr stark geregnet und du hattest dich unter einem Busch versteckt. Weißt du das noch?“

      Lotta sah unverändert ins Nichts, zwei, drei lange Atemzüge lang. Und dann geschah etwas, an das er sich später noch sehr genau erinnern sollte.

      Als wäre endlich durchgesickert, was er da gerade zu ihr gesagt hatte, drehte sie ihr Gesicht in seine Richtung, suchte seinen Blick und tastete gleichzeitig ganz vorsichtig nach seiner Hand. Er kam ihr entgegen, fühlte ihre Hand ganz leicht und mit einem vorsichtigen Druck. So lange er im Raum war, blieben sie so verbunden.

      Lotta hatte blaue Augen. Große, leere blaue Augen in einem kleinen, alten Gesicht. Und diese Augen waren unentwegt auf ihn gerichtet, still, ohne besonderen Ausdruck, so, als warteten sie auf etwas.

      „Lotta, ich wollte nur sehen, ob es dir gut geht. Vielleicht besuche ich dich noch einmal.“ Er spürte, wie sich der Druck ihrer Hand ganz leise etwas verstärkte, als wolle sie ihn halten. Er nahm seine Hand zurück und entfernte sich langsam von ihrem Bett. Ihre Augen blieben unverändert bei ihm, so als wüssten sie längst, dass er sie hier nicht noch einmal besuchen würde.

      Erik fühlte sich erleichtert, als er das Krankenhaus verließ und zum Auto ging. Lottas unmittelbare Nähe bedrückte ihn, er mochte nicht länger in dem Zimmer bleiben. Außerdem wusste er jetzt, dass er Lotta durch den Unfall nicht nachhaltig geschädigt hatte. Der Beckenbruch war nicht gefährlich, er würde ausheilen. Er konnte sich jetzt ganz auf Sture Bengtson konzentrieren.

      Vorsichtshalber schaltete er auf dem Weg zum Rover sein Smartphone aus. Das war etwas, was er nur selten tat, und es war ihm in der Nacht eingefallen. Er wollte während des Gesprächs mit Sture keinesfalls gestört werden. Aber vor allem wollte er unbedingt vermeiden, dass man ihn über sein Smartphone orten konnte. Er hatte sich in der Nacht vorgestellt, dass jemand Stures Bewegungen überwachte und dabei sein Smartphone in unmittelbarer Nähe zu Sture lokalisierte. Er hielt es für besser, wenn das nicht geschah.

      Vom Krankenhaus bis zur Pizzeria waren es nur drei Kilometer. Er hatte noch gut eine halbe Stunde Zeit und konnte deshalb ganz entspannt auf der Route 175 fahren, bis er schon von weitem die Werbefahnen im Wind flattern sah.

      Der Parkplatz vor der Pizzeria war ziemlich groß und um diese Uhrzeit eigentlich leer. Lediglich direkt vor dem Eingang des Lokals stand ein dunkler VW-Van mit laufendem Motor und einige Meter seitlich davon parkte ein schwarzer Volvo neuerer Bauart.

      Er