Lars Gelting

Tod eines Agenten


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im Schritttempo bewegte.

      Die Pizzeria, eine halbe Stunde zuvor noch ein einladendes Restaurant, war nur noch eine brennende Ruine. Auf ganzer Breite loderten die Flammen hoch aus dem Gebäude, trieben mit ihrer Hitze den dunklen Rauch in die Höhe.

      Am Rand des Parkplatzes, dort wo er zuvor den Rover geparkt hatte, parkten jetzt drei Polizeifahrzeuge. Mehrere Polizeibeamte standen neben dem schwarzen Volvo, der noch immer an der gleichen Stelle stand. Bei den Polizeibeamten stand die Frau im blau-weißen Kittel und lamentierte.

      Sture Bengtson! Er war die einzige logische Erklärung für diese Katastrophe. Und er musste sich noch dort aufgehalten haben, als das Inferno begann. Alles andere ergab keinen Sinn. Die hatten ihn einfach da drin gegrillt, diese beiden Typen, die er als letzte dort hatte herauskommen sehen. Sein Blick glitt kontrollierend über seine Rückspiegel.

      Der Verkehr lief wieder flüssiger und das Navi forderte ihn auf, im Kreisverkehr die nächste Ausfahrt zu nehmen.

      Wenn er da rein gegangen wäre… Erwogen hatte er das ja. Das war schon knapp gewesen. Er mochte nicht glauben, dass diese Muckitypen aus dem dunklen Van eine persönliche Rechnung mit Sture zu begleichen hatten. Das war nicht die Art der Rechten. Das hier war eine ganz andere Hausnummer.

      Sture war hier, um sich mit ihm, einem Journalisten, zu treffen. Er hatte also etwas zu verkaufen. Es war durchaus möglich, dass Sture etwas ziemlich Heißes auf der Pfanne gehabt hatte. Heiß genug, dass sich jemand daran gewaltig die Hände verbrannt hätte, wenn Sture seine Ware losgeworden wäre. Wenn.

      In den Abendnachrichten bestätigte sich Eriks Befürchtung: Sture Bengtson war in dem Lokal gewesen, als dieses in die Luft flog, Sture und der Besitzer der Pizzeria.

      Das Kind und die Frau hatten die Kerle zuvor gehen lassen. Anschließend hatten sie alle Gasflaschen geöffnet, vorhandene Zuführungen abgerissen, eine Zündquelle geschaffen und waren dann davongefahren. Die Hintergründe der Tat waren nicht erkennbar. Die Polizei fahndete nach einem dunklen Van, Kennzeichen unbekannt. Das war’s.

      Es würde nie etwas Verwertbares herauskommen, Erik war sich sicher. Nur, was steckte dann hinter dieser Aktion? Sture war erklärter Neonazi, viel weiter „rechts“ ging nicht. Aber Sture hatte die Verbindung zu ihm gesucht, weil er wusste, dass er für eine Reportage über das Abdriften des schwedischen Staates nach rechts recherchierte. So, wie er das verstand, erschien diese Aktion ziemlich unlogisch. Es musste da noch etwas anderes geben. Sture hatte etwas für ihn, das es ihm wert war, Kopf und Kragen dafür zu riskieren.

      „Du warst doch in Arvika. Hast du etwas davon mitbekommen?“ Anneke riss ihn aus seinen Gedanken. Sie saß im Sessel neben ihm und wies hinüber zum Fernseher.

      „Nein, gar nichts. Keine Feuerwehr, keine Polizei. Ich war wohl auf der anderen Seite von Arvika.“

      „Das Krankenhaus, in dem Lotta liegt, ist aber schon in der Nähe dieser Pizzeria. Ich weiß, wo das ist.“

      „Ja? Dann habe ich ja Glück gehabt und bin an dem ganzen Auflauf vorbei gekommen.“ Er schenkte Anneke ein kleines Lächeln. „Möglicherweise bin ich auch einfach nur ignorant und kriege nur mit, was mich gerade interessiert.“

      „Das wäre gut für dich.“ Anneke wandte sich wieder dem Fernseher zu.

      Erik hatte zwar gehört, was sie gesagt hatte, aber es war ihm gleichgültig, ihm war sein Smartphone eingefallen. Es war immer noch abgeschaltet, und das musste es auch zunächst noch bleiben. Aber das machte ihn unruhig. Vielleicht hatte Kai ihm eine Nachricht gesandt. Er würde später nachsehen.

      In der Nacht kam Sture Bengtson zu ihm.

      Der Traum begann damit, dass er Lotta besuchen wollte. Er sah sich selbst auf dem Flur des Krankenhauses, sah sich, wie er Lottas Zimmer betrat. Aber Lotta war nicht da. War nicht in ihrem Krankenzimmer. Überhaupt war das Zimmer vollkommen leer, keine Lotta, kein Bett, kein Schrank, nichts. Er verließ das Zimmer und lief hinüber zu dem Raum, in dem er die Schwestern wusste. Sah dort durch die große Scheibe in den Raum hinein. Aber dieser Raum war nicht mehr das Schwesternzimmer. Das Licht im Raum war eher dämmerig, die Schränke waren fort, es gab keine Tische mit Formularen, Stiften und Computer-Bildschirmen. Der Raum war vollkommen leer – bis auf Lotta und einer ungeheuren Menge Wasser.

      Lotta stand aufrecht mitten im Raum. Stand bis zum Bauch im Wasser. Regen in dicken Tropfen fiel von der Decke herab und ließ das Wasser unaufhörlich steigen.

      Lotta hielt den Kopf gesenkt, sah ihn aber von unten herauf mit leeren Augen an. Sie trug ihr weißes, langes Gewand, die grauen Haare fielen ihr nass und schwer eng am Kopf herunter bis weit über die Schultern.

      Er griff an die Tür. Verschlossen.

      Er sah sich an der Tür reißen und rütteln. Die Tür blieb verschlossen. Endlich rief er, schrie über den leeren Flur. Niemand schien ihn zu hören.

      Im Raum Lotta, die jetzt nah an die Scheibe gekommen war. Das Wasser war ihr schon über den Bauch hinaufgestiegen, stand ihr schon bis unter der Brust. Sie hatte den Kopf gehoben, blickte ihn direkt an. Unvermittelt hob sie ihren rechten Arm aus dem Wasser, streckte ihn gerade heraus zur trennenden Scheibe, hielt ihm die Hand offen entgegen.

      Er hielt das nicht aus, schrie wieder und wieder um Hilfe. Wandte sich entsetzt ab von der Scheibe, von Lotta und rannte los. Lief den breiten Krankenhausflur hinunter, der schier endlos auf eine gleißend helle Lichtquelle zuführte. Er rannte darauf zu, riss und rüttelte an Türen, suchte nach einem Ausgang wie die Ratte im Käfig.

      Abrupt blieb er stehen: Aus der Helligkeit kam ihm ein Mensch entgegen. Tauchte schemenhaft im gleißenden Licht auf, kam rasch auf ihn zu.

       Sture Bengtson!

      Und noch bevor sie sich begegneten, tauchte hinter ihm, im hellen Licht, ein weiterer Sture auf und bald darauf wieder einer. In bodenlangen steingrauen Gewändern schwebten ihm diese Gestalten entgegen. Und sie schwebten groß auf ihn zu, waren wesentlich größer als er. Waren dünn wie ausgehungert. Ihre Gesichter hager, fahl, mit großen, dunklen, aber ausdruckslosen Augen und einem zum Schrei geöffneten Mund.

      Unfähig, sich zu rühren, sah er ihnen entgegen. Sah zuerst noch einen nach dem anderen kommen, bald aber tauchten gleich mehrere zur gleichen Zeit auf. Aus der Helligkeit heraus kamen sie direkt auf ihn zu, als hätten sie nur auf ihn gewartet. Er wich ihnen aus, ließ sie ins Leere schweben, bevor sie ihn erreichen konnten, einmal und dann wieder und wieder. Lief endlich los, von Angst gejagt, zwischen ihnen hindurch. Aber es wurden mehr und mehr und immer mehr. Der Strom seelenloser Sture Bengtsons wurde dichter und dichter, drängte sich immer näher an ihn heran.

      Und dann packte ihn das Entsetzen, als er realisierte, dass er dabei war unterzugehen, von den Kreaturen aufgezehrt zu werden. Noch einige wenige kraftlose Schritte voran, ein letztes verzweifeltes Aufbegehren. Er kam nicht mehr weiter. War eingeschlossen, gefangen von einem Heer dämonischer Sture Bengtsons, die ihn ohne einen Laut anschrien.

      Er war verloren, fühlte es, wollte selber schreien und bekam keine Luft mehr.

      Das war das Ziel. Jetzt drängten sie hart an ihn heran. Drückten ihn, pressten ihn, so dass er nicht mehr atmen konnte. Er schlug um sich, keuchte, röchelte, gierte nach Luft, drohte zu ersticken…

      Erik wachte auf, fuhr hoch im Bett.

      Einen Augenblick lang saß er im Dunkeln auf der Bettkante, sog die Luft in sich hinein, schnaufte wie nach einer großen Anstrengung. Sein Hemd klebte an seinem Körper. Seine Bettdecke lag auf dem Boden vor dem Bett.

      Er musste raus. Griff nach seiner Hose, seinem Pulli. Raus aus dem Raum, raus aus dem Haus, hier bekam er keine Luft. Alles um ihn herum war plötzlich zu eng.

      Auf der Wiese hinter dem Haus zog er Hose und Pulli über seinen Pyjama und ging zum See hinüber. Mit verschränkten Armen stand er eine Weile nur da, sah auf das dunkel blinkende Wasser, den Kopf voller Bilder, aber ohne klaren Gedanken.

      Auf einmal war da etwas. Erik fühlte, dass er nicht alleine hier draußen war; jemand war in seiner Nähe. Angestrengt horchte