Lars Gelting

Tod eines Agenten


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entfernt und etwas seitlich stand sie dort, die Arme ebenfalls vor der Brust verschränkt, und beobachtete ihn. Er hatte sie nicht kommen hören.

      „Du hast laut gestöhnt, vorhin, im Haus. Laut gesprochen und gestöhnt. Geht es dir nicht gut?“

      „Ich habe schlecht geträumt. Es tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe.“

      „Hast du öfter solche Träume?“

      „Fragst du mich das jetzt als Neurologin?“

      „Träume können sehr aufschlussreich sein. Es interessiert mich halt.“

      „Eigentlich schlafe ich traumlos, glaube ich. Ich wache morgens auf, ohne mich an einen Traum zu erinnern. Heute, das war außergewöhnlich. Und es tut mir leid, Ulrike.“

      „Sagtest du schon. Vielleicht war dein Tag heute ja außergewöhnlich.“

      Erik sah sie nicht an, sah aufs Wasser hinaus, nickte leise mit dem Kopf.

      „Wohl wahr, das war er.“

      „Du bist als Journalist hier. Ich denke, du hast dich mit diesem Bengtson getroffen. Oder?“

      Augenblicklich war er hellwach. Annekes Äußerung schallte in seinem Kopf:

      „Das wäre gut für dich.“

      „Lassen wir das, Ulrike. Ich weiß nicht, wer dieser Bengtson war. Anneke hat mich am Abend auch schon damit genervt. Nur weil ich in Arvika war, während diese Geschichte passiert ist, muss ich doch nicht zwangsläufig daran beteiligt gewesen sein. Das ist doch naiv, das ist Unsinn – oder Wunschdenken.“

      „Gut, lassen wir das. Ich wollte dich nicht aushorchen. Ich hatte das Gefühl, dass dich etwas bedrückte, und ich habe nur versucht, mit dir darüber zu reden. Manchmal geht es einem danach ja besser. Also dann, ich gehe jetzt wieder rein. Kommst du mit?“

      „Nein. Einen Moment bleibe ich noch, sonst träume ich gleich noch die Fortsetzung. Es tut mir leid. Ich wollte nicht grob sein.“

      Erik blickte hinter Ulrike her, die über die Wiese zum Haus zurückging. Diese Frau war ihm ein Rätsel. Aber wie auch immer, sie wäre genau das, was ihn heute Nacht aus seinem Jammertal holen würde. Wäre.

      Er wandte sich wieder dem dunklen Wasser zu.

      Was war das heute für ein Scheißtag. Einer von der Sorte, an denen man noch lange herumkaute. Aber genau genommen war das ganze Unternehmen vom ersten Tag bis hierher einfach nur Bockmist. Hätte er sich nicht verfahren, wäre ihm dieser ganze Schiet erspart geblieben. Er hätte seine Story und wäre schon wieder zu Hause.

      Er ging bis an die Wasserkante, setzte sich dort auf einen großen Stein.

      Wie stand er jetzt da? Ohne Sture Bengtson. Sture hatte ihm einen Paukenschlag, eine politische Explosion versprochen.

      Und dann noch die Sache mit seinem Vater.

      Er musste diese Reportage zu Ende bringen. So gut, aber auch so schnell wie es ging. Und danach würde er sich mit diesem Kerl befassen.

      Kapitel 6

      Der folgende Samstagmorgen ließ noch nichts von dem Potential erahnen, welches er im Laufe des Tages noch entfalten sollte. Das begann schon mit dem Wetter, das sich diesig verhangen zeigte, als die Frauen in der Frühe das Haus verließen.

      Erik hatte versprochen, nach dem Frühstück ein wenig aufzuräumen. Ein leicht zu erfüllendes Versprechen. Lediglich der Windfang verlangte nach etwas mehr Zuwendung, da hier Schuhe und Stiefel abgestellt wurden und sich ein wenig Schmutz sammelte.

      Danach widmete er sich seinem Smartphone und schaltete es wieder ein. Eine notwendige Aktion, wie sich sofort zeigte. Kaum eingeschaltet, warnte es ihn mit Dringlichkeit, dass ihm die Energie ausginge und meldete sich sogleich wieder ab. Ohne Zögern nutzte er Ulrikes Ladekabel, das gleich neben ihm noch in der Steckdose steckte, rief das Smartphone zurück ins Leben und checkte die eingegangenen Mitteilungen.

      Es war nichts dabei, was seinen Adrenalinspiegel auch nur hätte beeinflussen können. Die Werkstatt in Arjäng ließ ihn wissen, dass sein BMW wie vereinbart am Montag abgeholt werden könne. Mehrere Verlagsnachrichten und Terminvorgaben zur laufenden und zu geplanten Reportagen. Sein Freund Sven, der IT-Könner in ihrer Clique, hatte seinen neuen iMac für das Netzwerk eingerichtet. Alles lief perfekt. Svens glänzenden Augen konnte er sich gut vorstellen. Enttäuscht wollte er sich abwenden, als neue Mitteilungen eintrafen. Kirsten sandte ihm ein Foto. Aufgenommen auf der Insel Madeira. Es schien ihr gut zu gehen. Löschen!

      Und endlich Kai!

       Keine Suchergebnisse zu „Dr. Werner Stocher“ aus der Zeit nach 1990. Auch aus der Zeit davor nur magere Ausbeute: Der Kerl war Stasi-Oberst in seiner Funktion als leitender Arzt der Psychiatrie. Merkwürdigerweise sind kaum weitere Angaben zu finden. Kann nur bedeuten, dass seine Schweinereien vergraben wurden. Jedenfalls ist der Kerl unter dem Namen „Stocher“ aktuell nicht existent.

       Zu Ulrike Teisch: Gut gehende neurologische Praxis in Kiel. War bis 1989 übrigens Ärztin im Krankenhaus in Waldheim. Ab 1991 niedergelassene Ärztin in Kiel. Lebt mit einem Dr. Snelting zusammen. Das war’s.

       Diese Anneke aber ist der Hammer. Die hat dir Nebelkerzen vor die Füße geworfen. Mitnichten handelt die mit Erotikspielzeug. Sie und ihr Mann sind Inhaber einer Sicherheitsfirma: „SE.Protect“ – vollkommen unerotisch. Das ist eine Riesen-firma, die im ganzen Land aktiv ist – auch für die Regierung. Ihr wird Rechtslastigkeit nachgesagt. Die Vita dieser Anneke ist übrigens nur geschlagener Schaum. Würde mich sehr wundern, wenn die nicht auch dem Land „der blühenden Landschaften“ entstammt. Annäherung also nur mit dem Elektroschocker – gibt’s vielleicht ja in Form von Erotikspielzeug.

       Mit dem „Stocher-Ergebnis“ bin ich auch nicht zufrieden. Wenn du ein Foto von ihm gesehen hast, muss es ihn ja auch geben – unter anderem Namen vielleicht. Mal sehen.

       Ich grüße dich. K.

      Anneke! Konnte das sein? Diese reizvolle, smarte Frau? Handel mit Sexspielzeug, das mochte er sich bei Anneke gut und gerne vorstellen. Aber das jetzt. Wow! Die Munition im Handschuhfach erschien so in einem ganz anderen Licht.

      Im gleichen Augenblick zog sich in seinem Bauch etwas zusammen:

       Das wäre gut für dich!

      Warum hatte Anneke das gesagt? Wäre es aus ihrer Sicht vielleicht schlecht für ihn, wenn sie wüsste, dass er an der Pizzeria war? Dass er das Geschehen als Zeuge hautnah miterlebt hatte?

      Verdammt! Er rutschte immer tiefer in diesen ganzen Mist. Wo war er hier hingeraten? Er würde sich vorsehen. Bis Montag noch.

      Im nächsten Augenblick drohte ihm der akute Herzstillstand: Eine Nachricht von Sture Bengtson!

      Die Nachricht war vom 16.09.2016 – 13:38 Uhr.

      „hau ab. komm nicht her.“

      Er ließ das Smartphone los. Ließ es auf den Tisch fallen, als wäre es plötzlich elektrisch geladen.

      Der arme Kerl hatte genau gewusst, was da auf ihn zukam. Der hatte ihm, quasi bevor die Kerle ihn in die Mangel nehmen konnten, noch eine Warnung gesandt. Etwa um diese Zeit war er schon auf dem Parkplatz gewesen.

       Sture, es tut mir leid! Und es tut mir leid für dich.

      Er riss das Ladekabel vom Gerät, schob das Smartphone in die Tasche. Alles war wieder da. Wie im Zeitraffer gestaucht geschah alles noch einmal, hatte er alles vor Augen: den dunklen Van, die rennende Frau mit Kind, das Dach, wie es mit ungeheurem Druck in die Luft flog, und diese Kerle, wie sie in den Van stiegen.

      Er musste raus, sofort. Raus an die Luft. Sein Körper reagierte, ließ sich nicht beherrschen, bebte und zitterte. Irgendetwas musste er jetzt tun. Irgendetwas ganz anderes. Bevor die Frauen zurückkamen, musste er sich selbst und die