Lars Gelting

Tod eines Agenten


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Snelting-Spur sofort auffällig. Pass auf:

      Der Kerl hat sich 1990, am 06. August, mit festem Wohnsitz in Kiel angemeldet. Abgemeldet hat der sich zuvor am 03. August in Berlin.“

      „Berlin. Kai, mein Vater hat nicht in Berlin gelebt. Nie!“

      „Der Snelting ja. Und zwar auf den Tag genau einen Monat.

      Der hat sich am 03. Juli mit Ostpapieren in Berlin angemeldet. Am 03. August hat der seine Westpapiere bekommen und – hat sich umgehend wieder in Berlin abgemeldet. Am 06. August taucht der dann in Kiel wieder auf. Also, mich macht das schon ein wenig skeptisch. Der Snelting hätte ja gleich nach Kiel durchfahren können – oder?“

      „Konntet ihr schon herausfinden, wo der Snelting gelebt hat, bevor der nach Berlin gekommen ist? Wo war der im Osten registriert?“

      „Das ist die Schlüsselfrage. Hier versandet die Spur. Aber Ulla versucht alles. Vielleicht findet sie ihn ja noch. Immerhin war im DDR-Regime ja jeder und alles peinlich genau registriert. Irgendeine Spur muss es von dem geben.“

      „Kai, tu mir einen Gefallen und schick mir mal diesen chronologischen Ablauf. Ich will mir den noch mal in Ruhe ansehen. Gibt es eigentlich keine Fotos von diesem Snelting? “

      „Das ist auch so eine Sache, Erik. Von dem gibt es aus der gesamten Zeit von 1990 bis 2016 kein einziges öffentliches Foto. Nirgendwo. Das ist doch mehr als ungewöhnlich, oder?

      Normalerweise wachsen diese Weißkittel an Größe und Wichtigkeit, wenn sie ein Presseobjektiv auf sich gerichtet sehen. Der Snelting muss sich richtig angestrengt haben, um nur ja nicht vor ein Objektiv zu laufen.

      Überleg mal: Der hat 2010 eine Privatklinik eröffnet. Alle Blätter haben mit Bild über diese Eröffnung berichtet. Ich meine: Die Klinik und das Team wurden in einem großen Foto vorgestellt. Aber den Snelting, den Besitzer und Leiter der Klinik, den suchst du auf diesem Foto vergebens. Der Kerl will einfach nicht, dass er gesehen wird. Also, kein Foto.“

      …

      „He, Erik? Bist du noch da?“

      „Bin ich, aber das musste ich gerade erst einmal verdauen: Der Kerl ist Klinikinhaber? Das ist ungeheuerlich, Kai.“

      „Langsam. Du weißt ja überhaupt noch nicht, ob dieser Dr. Snelting und der Stocher die gleiche Person ist.“

      „Zweifelst du wirklich daran? Dieses ganze Verwirr- und Versteckspiel von diesem Snelting passt doch zu all den anderen Puzzlesteinen, durch die ich überhaupt auf seine Spur gekommen bin.

      Aber es stimmt schon; das alles beweist noch gar nichts. Verdammter Kerl. Wir werden das schon noch rauskriegen. Übrigens habe ich Ulrike Teisch näher kennengelernt. Ich habe also schon damit begonnen, ihm etwas zu nehmen, falls...“

      „Vorausgesetzt, der merkt das vorerst nicht. Auch wenn der Kerl öffentlichkeitsscheu ist, der ist in Kiel und darüber hinaus sehr gut vernetzt. Seinen Namen findest du eigentlich bei allen Clubs und Organisationen mit Rang und Einfluss. Ärztegemeinschaften, Rotarier, Bruderschaft, Wirtschaftsclub, Segelclub und dann habe ich noch eine Gemeinschaft gefunden, deren Sinn und Zweck ich noch nicht ganz verstehe. Aber immerhin, er ist kein kleines, unbekanntes Tier. Bedenke das, bevor du dich noch einmal zu seiner Frau aufs Lager legst.

      So, mein Lieber, vergiss die Reportage nicht. Wir sehen uns nächsten Donnerstag beim Griechen, oder?“

      „Kai, ich danke dir. Wir sehen uns. Und sende mir bitte das Foto von der Klinikeröffnung mal mit.“

      Eine Viertelstunde später hatte Erik den zeitlichen Ablauf, in dem sich dieser Snelting in Berlin an- und abgemeldet und dann in Kiel wieder angemeldet hatte und das Foto auf seinem Smartphone. Er mochte sich das nicht ansehen während der Fahrt und bog bei Tessin ab auf einen Parkplatz. Rollte dort an mehreren polnischen LKWs vorbei und fürchtete schon, keine freie Parkbucht mehr zu finden. Schließlich parkte er seinen BMW fast in der Ausfahrt, stieg aus, schlenderte einige Schritte hinüber zu einer Sitzgruppe und lehnte sich dort gegen den Betontisch.

      Das Foto war Teil eines Berichts über eine Klinikeröffnung 2010 in Kiel. Es zeigte das Behandlungsteam der Klinik vor deren Eingang. Alle 17 Mitglieder dieses Teams trugen weiße Hosen und meerblaue Polohemden und im Gesicht ein gewinnendes Lächeln.

      Er zog das Foto ein wenig auseinander. Zoomte das Team nah heran, sah sich die Gesichter der einzelnen Personen genau an; der Stocher war tatsächlich nicht darunter.

      Erik sah hinüber zur Autobahn, auf der in rascher Abfolge die Fahrzeuge durch sein Blickfeld jagten, ohne dass er sie wahrnahm.

       Wenn der Klinikchef bei der Eröffnung seiner eigenen Klinik nicht sichtbar ist, und wenn der auch sonst jedes Fotoobjektiv meidet, dann hat der noch mehr zu verbergen als nur eine zurückgelassene Familie. Ich muss das herausbekommen.

      Er zoomte das Foto auf die Originalgröße zurück und fand sofort, was ihm zuvor, mit Focus auf den Stocher, entgangen war. Am linken Bildrand, neben dem aufgestellten Team, befand sich die Infotafel mit dem Namenszug der Klinik:

       Privatklinik Dr. med. Robert Snelting.

       Klinik für Psychiatrie / Psychotherapie

      Im Hintergrund war der Eingang der Klinik und ein Teil des Klinikgebäudes zu sehen, alles modern in Glas und Stahl gehalten.

       Wenn du dich dahinter verbirgst... Deine Angriffsfläche wird immer größer, deine Absturzhöhe immer höher. Das alles hätten wir auch gemeinsam machen können. Du hast uns als Ballast abgeworfen. Du verdammter Egoist.

      Erik schloss das Foto und ging zurück zum BMW.

      Um dreizehn Uhr fünfzig erreichte er Greifswald.

      Er hatte sein Kommen nicht angekündigt und Rudi war nicht zu Hause.

      „Er ist geflüchtet und sitzt wahrscheinlich mit seinem Freund Horst unten an der alten Hütte. Unten am Bodden. Das macht er immer, wenn ihm hier die Decke auf den Kopf fällt. Komm Erik, setz dich, trink einen Kaffee mit mir und erzähl mir ein bisschen was.“ Helga zog einen Stuhl unter dem großen, massiven Küchentisch hervor, an dem sie früher als Familie gemeinsam gegessen und an dem er während seiner Schulzeit täglich seine Hausaufgaben gemacht hatte.

      Helga war seine Oma und gerade in der Zeit, als alles um ihn herum zerfiel, war sie sein seelisches Wärmekissen. Oma Helga hatte immer Zeit, wusste immer Rat und hatte das feine Händchen, ihn auch in seinen schwierigen Zeiten immer sanft in der Richtung zu halten. Helga war eine kluge, ziemlich listige Frau, die ihre Gutherzigkeit und Sanftmut auch schon mal ganz bewusst als Waffe einsetzte, um ein angestrebtes Ziel zu erreichen. Wenn es sein musste, konnte Helga bretthart sein. Das war etwas, was er erst sehr spät erkannt hatte.

      Und auch jetzt spürte sie schon wieder, dass etwas in der Luft lag. Er sah das an ihren Augen, die dann immer betont sanft und gleichmütig dreinschauten, dahinter aber hellwach blitzten. Er kannte das.

      Helga schüttete Kaffee aus einer Thermoskanne in eine Tasse und stellte diese vor ihm auf den Tisch. „Ich habe ihn gerade erst gemacht. Du kannst ihn also ruhig trinken.“ Sie lächelte verschmitzt. Helga war leidenschaftliche, um nicht zu sagen süchtige Kaffeetrinkerin. Immer hatte sie eine Thermoskanne mit Kaffee auf dem Tisch stehen. Und es konnte schon einmal passieren, dass die dunkle, nicht mehr heiße Rest-Flüssigkeit, die sie einem in die Tasse goss, nicht mehr als Genussmittel durchging.

      „Wie geht es Kathrin, geht’s ihr gut?“ Er wollte ihrer Frage zuvorkommen. Sie würde alles aus ihm herauskitzeln, wenn sie nur Zeit genug hatte. Aber er wollte zuerst mit Rudi sprechen.

      „Ja, Kathrin geht es gut, es geht ihr sehr gut. Du hast schon länger nicht mehr mit ihr gesprochen?“ Helga strich sich eine weiße Haarsträhne aus dem Gesicht und stützte sich mit den Unterarmen auf dem Tisch ab.

      „Ich denke, es sind jetzt drei Wochen. Aber ich konnte nicht eher, ich saß in Schweden fest.“

      „In Schweden?“

      „Ich