Lars Gelting

Tod eines Agenten


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als ich mir selbst jemals klargemacht habe. Nein. Weil ich mich habe blenden lassen. Ich war jung und fühlte mich ungeheuer gut, als der Herr Chefarzt sich ausgerechnet für mich Assistenzärztin interessierte. Ich habe mich dann ein wenig in ihn verliebt und wir hatte damals eine wirklich gute Zeit: Verbotene Liebe hinterm Zaun. Wie in einem kitschigen Arztroman.“ Sie stieß die Luft durch die Nase aus, „Und jetzt beenden wir die Graberei in unseren Beziehungstiefen. Du weiß schon mehr über mich, als guttut.“ Sie stand auf und brachte ihren Teller hinüber zur Spülmaschine.

      „Du hast mir noch nicht gesagt, warum du hättest gewarnt sein können.“

      „Das werde ich dir auch nicht sagen.“ Sie stand mit dem Rücken zu ihm, hatte das ganz spontan gesagt und wandte sich nun um.

      „Erik, an dieser Stelle ist unbedingt Schluss. Wir haben nur noch einen gemeinsamen Tag. Ich möchte mich nur auf mich und auf dich konzentrieren, nur auf das, was zwischen uns passiert. Es ist kostbar. Lass die Schatten draußen.“

      „Okay. Ich werde mal kurz hinüber gehen zum See, und wenn ich wieder zurück bin, könnten wir doch ins Theater oder ins Kino gehen. Was meinst du?“

      „Sehr gute Idee. Hier draußen im Reservat gibt es das ultimative Angebot.“ Ulrike blickte an ihm herunter, tat irritiert. „Du solltest dir nur vorher noch etwas anziehen.“

      Der BMW sah wieder aus wie neu. Er stand auf dem Hof der Werkstatt und blinzelte ihm frisch gewaschen entgegen, so als wäre nie etwas gewesen. Damit war das erlebte Abenteuer endgültig beendet – dachte Erik.

      In den folgenden Tagen arbeitete er seine Termine ab, führte Gespräche mit Journalisten, mit Vertretern der wichtigsten Parteien und der Antifa-Bewegung. Am Freitagabend nahm er die Fähre von Göteborg nach Kiel.

      Was ihm die ganze Zeit nicht aus dem Kopf ging, war die „Verbotene Liebe hinterm Zaun“. Waldheim!

      Kapitel 7

      Freitag, 23.09. 10.00 Uhr. Kiel empfing ihn mit grau verhangenem Himmel, und als Erik aus dem Bauch der Fähre nach draußen rollte, klatschte der Regen gegen seine Windschutzscheibe. Es war, als begrüße ihn ein alter Feind. Kurz entschlossen änderte er Plan und Ziel.

      Er suchte nicht danach, wo Ulrike mit diesem „Clochard“ wohnte, er verließ Kiel und fuhr in dichtem Regen Richtung Greifswald. Er musste mit Rudi sprechen.

      Rudi war sein Großvater, aber nachdem sein Vater die Familie verlassen hatte, wurde Rudi so etwas wie sein Ersatzvater. Rudi erkannte damals, dass seine Tochter mit ihren Kindern nach Stochers Verschwinden unterzugehen drohte und holte sie in sein Haus nach Greifswald. Und ab diesem Zeitpunkt war sein Vater nur noch „der Stocher“. Bezeichnungen wie „mein Mann“ oder „mein Vater“ verschwanden bald vollkommen aus ihrem täglich benutzten Vokabular. In Großvaters Haus wurde „der Stocher“ zur Hassfigur schlechthin.

      Rudis Haus war sein Zuhause und er hatte eine ganz besondere Beziehung zu diesem alten Haus. So nah am Fluss, mit seinem dicken, weit überstehenden Reetdach, seinen niedrigen Räumen und seinen blanken Holzfußböden.

      Wenn früher im Herbst und Winter oft die Nebelschwaden vom Fluss hochzogen, war das für sie als Kinder etwas sehr Spannendes. Sie beobachteten dann, wie die Nebelgeister flach über den Boden ans Haus herankrochen. Wie sie um das Haus herumwaberten, bis sie es ganz eingeschlossen hatten. Sie waren dann von Geistern umgeben, aber in ihrem warmen Haus waren sie geschützt und für niemanden sichtbar.

      Im Sommer knarrten die Dielen an manchen Stellen, wodurch er immer früh genug wusste, wann Helga, seine Großmutter aus dem Garten ins Haus kam oder sich seinem Zimmer näherte.

      Damals war Rudi noch Meister im Bahn-Ausbesserungswerk Greifswald. Ein stattlicher Mann, dessen Wort etwas galt. Mit großer Geduld und Weitsicht übernahm Rudi ganz selbstverständlich die Vaterrolle. Und obwohl Rudi ziemlich unwirsch und aufbrausend sein konnte, er war ihm ein guter, verlässlicher Vater. Und es gab wohl niemanden, der mehr Hass für den Stocher empfand, als Rudi. Der zusehen musste, wie Kathrin, seine Tochter, nach dem brutalen Verschwinden ihres Mannes in einer schweren Depression versank, ohne dass er ihr helfen konnte. Und Rudi konnte auch seiner Enkelin Mona nicht helfen, als diese am Verlust ihres Vaters zerbrach. Gerade vierzehn Jahre alt geworden, sprang sie in Süderholz von der Autobahnbrücke vor einen LKW. Rudi musste auch das schlucken. Er setzte, wie gewohnt, einen Fuß vor den anderen, hielt sich an seine Prinzipien, und ging seinen Weg, immer einen Fuß vor den anderen. Aber alle diese Ereignisse hatten ihm zugesetzt, hatten ihn verändert. Rudi wurde bald achtzig und wirkte heute oft abwesend, in sich gekehrt, gleichzeitig aber auch unbeherrschter als früher.

      Aus all diesen Gründen musste Rudi erfahren, dass es diesen Stocher noch gab. Dass er sich heute vermutlich in Kiel aufhielt und dass er dort lebte wie die Made im Speck. Ihm zu allererst würde es ein Bedürfnis sein, dieser Made den Speck zu versalzen. Und damit waren sie schon zu zweit.

      Als er an Wismar vorbeifuhr, hörte es auf zu regnen. Die Straße war absolut trocken und die Bereiche neben der Straße hätten gut einen kräftigen Schauer gebrauchen können. Er blickte in den Rückspiegel, sah die dunklen Wolken hinter sich, im Westen.

      Sein Smartphone summte. Kai!

      „Hallo, bist du noch in Schweden?“

      „Ich bin auf dem Weg nach Greifswald und fahre gerade auf Rostock zu.“

      „Sieh an. Da kommst du ja ganz schön rum in der Welt. Hier wartet man übrigens auf deine Reportage. Verlier die nicht aus den Augen, bei deinen Familien-Projekten.“

      „Ich verliere nie etwas aus den Augen, aber ich musste den Artikel ziemlich aufpolieren. Ihr habt den Text morgen auf dem Server.“

      „Aufpolieren? – Hört sich nicht gut an.“

      „War auch nicht gut. War eine Katastrophe. Mir ist meine Primärquelle mitsamt einer Pizzeria um die Ohren geflogen. Wäre ich zum verabredeten Zeitpunkt im Lokal gewesen, würde ich dich jetzt vielleicht als Engelchen umkreisen.“

      „Interessante Vorstellung. Warst du vor Ort, als die Bude hochging?“

      „Ich habe davor gewartet, weil mir die Sache nicht koscher erschien. Und plötzlich ging das Ding hoch. Noch nie in meinem Leben habe ich solch eine Panik gespürt. Und: Nein. Ich habe diese Sache nicht konkret in meiner Reportage verwendet. Ich war zu hautnah dran.“

      „Sollten wir doch immer sein.“

      „Ich war aber noch näher dran, hautnah – Stichwort Anneke Berg. Du erinnerst dich vielleicht.“

      „Jaaa, das war die Frau, die dir erzählt hat, sie handelt mit Sexspielzeug, die aber in Wirklichkeit mit Handgranaten um sich wirft. Okay Erik. Wir reden noch mal darüber, wenn deine Reportage auf dem Tisch liegt. Vielleicht kann man diese Sache doch noch verwenden.“

      „Kai, das war keine Abrechnung unter Gangstern. Dahinter steckt eine ziemlich hohe Hausnummer. Haltet mich da aus der Schusslinie.“

      „Okay. Lassen wir das jetzt so stehen. Zu deinem ödipalen Drama: Vielleicht sind wir schon fündig geworden.“

      „Aha. Wer ist wir?“

      „Ich habe Ullas Hilfe in Anspruch genommen. Ist ja ihr Beruf, herauszufinden, wie solche Ganoven ticken. Hast du was dagegen?“

      „Wie sollte ich. Ich denke, das ist eine gute Idee.“

      „Also, die erste Erkenntnis: Ulrike Teisch lebt in fester Lebensgemeinschaft mit einem Dr. Robert Snelting in der Bismarckallee in Kiel. Nicht mit Werner Stocher.“

      „Klar. Wäre wohl auch zu einfach gewesen.“

      „Es ist einfach, Erik. Kein Mensch lebt und verschwindet hier spurlos.

      Ulla ist runtergetaucht in die Melderegister und hat sich da mal auf die Spur von diesem Snelting geklemmt.“

      „Wow. Was deine bezaubernde Ulla so alles kann.“