Lars Gelting

Tod eines Agenten


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lang Holz hacken.

      Erik lief über die Wiese zum See hinüber. Folgte dort, ohne besonderes Ziel, einem schmalen, unbefestigten Fußweg am Ufer entlang. Als der Weg nach zehn Minuten vom See abbog und in den Wald führte, lief er einfach weiter. Lief den buckeligen, von unzähligen Wurzeln durchzogenen Weg eine lange Steigung hinauf und dann ein ganzes Stück durch den Wald, bis er an die Straße kam. Es gab nur diese eine Straße, die hier durch den Wald führte, und er glaubte zu wissen, wo er sich gerade befand. Die Straße führte von hier aus in einem langen Bogen zum Haus zurück. Er wandte sich um, lief den Weg durch den Wald zurück.

      Als er die Wiese hinter dem Haus wieder erreichte, wurde er langsamer, stand endlich einen Augenblick vornübergebeugt und hungerte nach Luft.

      Der Schweiß lief ihm in Bächen über das Gesicht, sein Hemd war durchgeschwitzt, seine Schuhe und seine Hose nicht mehr vorzeigbar, aber seine Gedanken flossen wieder in geordneten Bahnen. Er konnte wieder klar denken.

      Er richtete sich auf, sah noch einmal über den glitzernden See hinweg zum anderen Ufer. Es war ein schöner Spätsommertag geworden, mit wenigen Wolken, einem schwachen Wind, der auf der Oberfläche des Sees nur hier und da das Wasser kräuselte, und es war warm.

      Er wandte sich dem Haus zu, begann damit, sein durchgeschwitztes Hemd auszuziehen.

      Die Angst war immer noch da, er fühlte das. Sie lauerte unter der Oberfläche, bereit, jederzeit über ihn herzufallen. Er musste hier fertig werden, Montag, und dann ganz schnell weg.

      Seine Gedanken stockten, er blieb stehen, wenige Schritte vom Haus entfernt. Etwas stimmte nicht. Er scannte seine Umgebung, zog dabei das Hemd ganz aus.

      Der große Range Rover. Ulrikes Range Rover stand vor dem Haus. Um diese Zeit am falschen Ort, es war gerade elf Uhr.

      Anneke. Nach dem, was Kai herausgefunden hat, konnte er sich durchaus vorstellen, dass sie ihm noch einmal auf den Zahn fühlen wollte.

      Er entschloss sich, die Hintertür zu benutzen.

      Behutsam näherte er sich dem Haus, alle Antennen ausgefahren. Öffnete vorsichtig die Tür, horchte. Im Haus war es still. Vielleicht kein gutes Zeichen. Er ließ die Tür leise ins Schloss gleiten, stand angestrengt lauschend im halbdunkeln Flur. Wenn beide Frauen im Hause waren, dann würden sie miteinander reden. Es blieb still. Entweder war nur eine Frau im Haus: Anneke. Oder es war etwas geschehen und niemand war im Haus.

      Er ging durch zur Wohnstube, schob die Tür auf. Niemand war im Raum.

      Hinter ihm schob jemand einen Stuhl über den Boden.

      Im Bad. Im Bad gab es einen schweren Holzhocker, der einem oft im Wege stand. Ulrike oder Anneke, eine von beiden war im Bad. Er würde es an der Kleidung oder an den Jagdstiefeln erkennen.

      Draußen vor der Tür standen Ulrikes Stiefel, bis oben hin voller schwarzem Morast, von innen durchnässt. Ihre Jagdhose lag daneben, im gleichen Zustand, schwarz und vollgesogen.

      Irgendwo war sie hineingerutscht oder hineingefallen. Er ging zurück, klopfte an die Tür zum Bad. Keine Antwort. Im Bad war niemand. Drei Minuten zuvor war Ulrike noch im Bad gewesen, ganz sicher. Sie musste ihn gehört haben. Er verstand das Spiel, sah den Flur hinunter. Die Tür zum Schlafraum der Frauen war nur angelehnt.

      Er könnte jetzt wie ein Pudel durch den Reifen springen. Das lag ihm nicht. Außerdem klebte noch der Schweiß an seinem Körper. Er hatte sich inzwischen abgekühlt und fühlte sein Hemd kalt auf seiner Haut.

      Für schwedische Verhältnisse war das Bad ziemlich groß und die Dusche mit einer zwei Meter langen Glas-Trennscheibe hell und modern. Es hing noch der Dampf vom Duschen in der Luft. Er schmunzelte.

      Der warme Duschstrahl tat ihm gut. Einen langen Augenblick stand er ganz still, genoss das herablaufende warme Wasser.

      Ulrike war schon eine Sünde wert. Sie war um einiges älter als er, aber eine begehrenswerte Frau mit der richtigen Genussreife. Dass sie diese fürchterliche Kehrseite, ihr Betonmischer-Wesen, wie ein Logo vor sich hertrug, musste eine Ursache haben. Eine Maske war das.

      Er wusch die Seife vom Körper, stellte das Wasser ab, verließ die Dusche und stellte fest, dass sein Badehandtuch nicht auf dem Hocker lag, wo er es abgelegt hatte.

      Sie stand im schmalen Türspalt, bekleidet nur mit einem weißen Slip.

      Die Arme vor dem Körper verschränkt, das Badehandtuch locker darüber hängend, betrachtete sie ihn ungeniert.

      „Ich denke, ich habe, was du brauchst.“

      „Das hast du unbedingt.“ Er streckte den Arm nach dem Handtuch aus.

      Sie schob die Tür mit dem Ellenbogen zu, ignorierte seine Hand und legte ihm das Handtuch über die Schulter. Als wäre er ein Kind, trocknete sie ihm behutsam die Schultern, den Rücken und überließ ihm das Handtuch für den Rest, während sie sich seitwärts von ihm auf den Hocker setzte. Lässig, die Beine übereinander geschlagen, saß sie leicht vorgebeugt da, ihr Kinn in der rechten Hand abgestützt, und sah ihm zu.

      Sah ihm aufmerksam zu, wie er seine Haare rubbelte und sie dabei betrachtete, wie er sein Gesicht, seine Arme, seinen Oberkörper trockenrieb, während er sie nicht aus seinem Blick ließ. Sah zu, wie sein Blick einen Atemzug lang auf ihren Brüsten verweilte, endlich zu ihrem Gesicht fand, wie er das Handtuch zur Seite legte.

      Nur einen Augenblick noch sah sie zu ihm hoch, offen, bereit. Dann stand sie auf, legte ihm den Arm um die Hüfte.

      „Komm!“

      Die nächsten Stunden verbrachten sie in ihrem Bett. Liebten sich zunächst mit einem Heißhunger, der dem eines Schmachtenden entsprach, der das erste Stück Brot, welches er in die Hände bekommt, zerreißt und verschlingt. Danach lag Ulrike in seinem Arm, ihr Kopf auf seiner Brust, ihre Finger spielten mit seinem krausen Brusthaar. Er fühlte sich wohlig gut, war rundum zufrieden – und doch irritiert.

      „Du verunsicherst mich, weißt du das?“

      „Nein. Glaube ich auch nicht. Tu ich das wirklich?“

      „Von Montag bis gestern gibst du mir den grollenden Eisberg, und dann erlebe ich dich hier als himmlische Femme fatale. Wie soll ich das jetzt verstehen?“

      Sie richtete sich etwas auf, stützte sich auf ihren Ellenbogen, zupfte mit ihren Lippen an seiner Brustwarze.

      „Warum willst du das überhaupt verstehen? Musst du doch gar nicht.“

      „Sag´s mir trotzdem.“

      „Warum? Weil wir so wirklich guten Sex miteinander hatten?“ Sie hatte ihren Oberkörper aufgerichtet, sah ihn mit ärgerlich gefurchter Stirn an. „Vielleicht habe ich ja nur eine Schutzhaltung eingenommen. Ist das so wichtig? Was immer es war, es ist Vergangenheit. Vergiss es, ja?“

      Sie schlang ihren Arm um seinen Körper, kam über ihn und begann eine sanfte Intensivbehandlung zur Wiederbelebung.

      Erik war eingeschlummert. Lag auf dem Rücken, genoss das Schweben unter der Oberfläche und kam zurück, als ihm die Sonne direkt ins Gesicht schien. Sie stand bereits sehr tief, und ihr warmes Licht strömte durch einen Spalt im Vorhangstoff ins Zimmer

      Neben sich hörte er Ulrike ruhig und tief atmen. Sie schlief abgewandt auf der Seite, etwas eingeknickt, ihr Po nahe bei ihm.

      Vorsichtig erhob er sich, verließ das Zimmer für einen Augenblick. Als er es ebenso leise wieder betrat, hielt es ihn an der Tür. Einen langen Augenblick genoss er das Bild, welches Ulrike ihm bot.

      Zwischen zusammengeknautschten Decken lag sie ihm jetzt zugewandt. Lag im Bett halb auf der Seite, so als habe sie mitten in der Drehbewegung innegehalten. Das untere Bein hatte sie angewinkelt, ebenso den Arm, auf dem ihr Kopf lag. Um den Kopf herum verteilte sich wirr die blonde Haarpracht. Ein betörendes Bild, dessen Wirkung durch das schräg einfallende Sonnenlicht auf erregende Weise verstärkt wurde. Eine Vorlage für den „Liegenden weiblichen Akt“ von Lovis Corinth.

      Behutsam zog er sein Smartphone