Lars Gelting

Tod eines Agenten


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und zog sich wieder hinein in den trockenen und warmen Rover. Er saß noch nicht ganz, als sie schon energisch anfuhr und beschleunigte.

      Er spürte die Nässe, als er gegen die Lehne gedrückt wurde, musste dringend aus den Sachen heraus. Die nasse Kleidung klebte an seinem Körper und er schlotterte vor Kälte, trotz der Wärme im Wagen. Von der Seite betrachtete er sie, während sie ihren Range-Rover absolut souverän und mit einem Affentempo durch den Wald jagte.

      „Wieso kennen Sie sich hier so gut aus? Sie jagen hier durch, als wären sie hier zu Hause.“

      „Nein! Ich bin hier nicht zu Hause. Aber unten in Lenungshammar braucht jemand dringend Antibiotika, die ich aus Arjäng holen musste. Deshalb wollte ich eben nicht noch mehr Zeit verlieren.“ Sie warf ihm einen kurzen Seitenblick zu.

      „Keine Sorge. Ich bringe Sie sicher runter.“

      „Vielleicht bin ich ja ein ganz Schlimmer. Sie nehmen mich hier einfach so mit.“

      „Vergessen Sie’s. Keine Chance.“ Sie sah lächelnd zu ihm herüber. „Unser Waffenarsenal ist beachtlich! Und wir sind gut. Wir treffen auch Niederwild.“

      „Waffen!“ In seinem Hinterkopf blitzte Sture Bengtson auf. „Wofür braucht eine Frau wie Sie Waffen?“ Ihr zugewandt hatte sich sein Oberkörper leicht von der Lehne gelöst.

      „Eine Frau wie ich und Waffen!“ Sie nahm den Blick von der Straße, sah ihn an, lange, um ihren Mund spielte ein spöttischer Zug. Ihr Blick kehrte zur Straße zurück. Und er fühlte sich unbehaglich. Musterte ihr Profil und versuchte sie zu entschlüsseln.

      „Sorgen Sie sich nicht.“ Sie schenkte ihm einen schmunzelnden Seitenblick. „Wir sind jedes Jahr im September zur Elchjagd hier im Reservat. Seit fünfzehn Jahren. Also entspannen Sie ruhig.“

      Sie jagte den Rover eine ziemlich heftige Steigung hinauf und den matschigen Abhang auf der anderen Seite wieder hinunter. „Aber was hat Sie an solch einem Abend in diese gottverlassene Gegend verschlagen? Kein vernünftiger Mensch fährt hier durch die Wildnis, wenn er das nicht muss. Und im Dunkeln schon gar nicht.“ Sie warf ihm wieder einen Seitenblick zu.

      „Mein Navi, Leichtsinn, Naivität oder alles zusammen. Vielleicht war ich es leid, auf diesen wunderbaren, aber fürchterlich langweiligen Landstraßen durch dieses Land zu fahren. „Glaskogen Naturreservat“. Hört sich doch irgendwie spannend an.“

      „Und da wollten Sie mal einfach so quer durch den Wald fahren.“

      Er glaubte, wieder das spöttische Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen. „Ihnen scheint die Idee eher abwegig zu sein.“

      „Abwegig! Wie passend.“ Sie zog die Augenbrauen ein wenig hoch. „Schon am Tage, wenn Sie bei solch einem Wetter diese Straße befahren, werden Sie wahnsinnig auf dieser Schlammpiste. Sie nehmen sehenden Auges ein nicht enden wollendes Schlammbad. Und am Ende wissen Sie nicht, wie Sie den Dreck wieder runter und aus dem Auto heraus bekommen sollen. Aber immerhin haben Sie ja Ihr Abenteuer erlebt.“

      Ohne die Geschwindigkeit zu verringern, bügelte sie durch eine riesige Pfütze und durchfuhr die nächste Kurve, sah wieder zu ihm herüber. „Wir haben ein großes Sommerhaus hier gemietet. Um diese Zeit sind hier keine Feriengäste, da ist das Haus frei. Wir sind sofort da.“

      Sie nahm die Geschwindigkeit etwas zurück und bog von der Straße ab. Flüchtig erkannte er im Scheinwerferlicht mehrere Schilder, erfasste das Wort „Glaskogen“, bevor alles wieder im Dunkeln verschwand.

      „Ich muss vorher erst noch zu Johan.“ Sie ließ den Wagen rollen, wurde allmählich langsamer. „Das ist der Mann, der sich verletzt hat und jetzt die Antibiotika braucht. Sie müssen sich leider solange im Wagen gedulden.“

      Die Scheinwerfer glitten von der Straße in eine schmale Zufahrt. Vor ihnen und etwas erhöht erschien im Licht ein großes Holzhaus. Im gleichen Augenblick hörte er das wütende Bellen großer Hunde. Das Auto hielt vor dem Haus. Im Dunkeln erkannte er den Zwingerdraht direkt neben seiner Tür. Dahinter, in Fensterhöhe, die belfernden Mäuler von zwei Akita-Inus. Zwei imponierende Hunde, denen er ganz offensichtlich nicht gefiel. Die Fahrertür fiel zu. Er sah ihr nach, wie sie ihre Kapuze wieder hochschlug und rasch zum Haus hinüberlief. Ein Amazonentyp mit langen, blonden Haaren. Und sie trug Stiefel, eng anliegende Jagdstiefel. War ihm bisher nicht aufgefallen.

      Der Motor brummelte leise vor sich hin, sie würde nicht lange bleiben. Aber das wütende Bellen direkt neben seiner Tür machte ihn nervös.

      Vor ihm, im Armaturenbrett, die Klappe, das Handschuhfach. Achtlos hineingeworfen enthielt es oft ziemlich persönliche Dinge. Aber diese Amazone konnte jeden Augenblick zurückkommen, und vielleicht ließ sie ihn dann hier neben dem Zwinger aussteigen. Er beugte sich vor, tastete in der Vertiefung am Armaturenbrett, das Fach sprang elastisch auf. Es enthielt aber nur das Übliche, Papiertücher, einen kleinen Block mit Stift, ein Fährenticket vom 04. September, eine Kunststoffdose mit dänischen Lakritzpastillen, Visitenkarten. Er zog eine der Karten aus dem kleinen Ledermäppchen. Im gleichen Augenblick brach das Licht aus dem Haus auf den durchweichten Boden, und sie stürzte in den Regen hinaus auf das Auto zu.

      Er hatte keine Chance, noch irgendetwas zu ordnen. Es reichte gerade noch, um die Klappe zuzudrücken, bevor sie die Fahrertür öffnete und schon wieder neben ihm saß.

      „So, das war´s. Jetzt wollen wir doch mal sehen, was meine Freundin Anneke sagt, wenn ich einen ordentlich durchgeweichten Mann mit nach Hause bringe.“ Sie setzte rückwärts und rollte dann die Auffahrt zur Straße hinunter.

      „Anneke ist ein Kumpel-Typ. Das wird ihr ganz sicher gefallen.“ Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, verschmitzt.

      Das Haus, das im Licht der Scheinwerfer auftauchte, war ein typisches Schwedenhaus, rot mit weißen Rahmenhölzern. Und der Kumpel-Typ öffnete die Tür, kaum dass sie vor dem Haus angekommen waren.

      „Aah, na sowas! Du solltest öfter mal in die Stadt fahren.“

      Anneke war geschätzt ebenfalls Mitte vierzig, mittelgroß, hatte dunkle, fransig geschnittene, schulterlange Haare und musterte Erik aufmerksam aus klaren, blauen Augen.

      „Bekommt man so etwas in der Apotheke?“ Sie war in der Tür stehen geblieben, gab ihm die Hand und zog ihn leicht mit ins Haus.

      „Im Wald, neben der Straße. Er hat sein Auto oben vor Lasses Haus an einen Baum gefahren.“

      „Oh, wie unpraktisch, noch dazu bei dem Wetter.“ Nur eine Armlänge stand sie von ihm entfernt, in ihren Augen blitzte der Schalk. „Der arme Kerl ist ja vollkommen durchgeweicht.“ Sie sah zu, wie er seine Schuhe von den Füßen zerrte. „Sie können wählen zwischen Wäschetrockner oder Sauna.“ In dem kleinen Windfang wurde es eng und sie schob ihn weiter ins Haus, „Schläft der Arme in dem kleineren Zimmer, oder hast du schon etwas Anderes geplant?“

      „Mal sehen, was sich ergibt.“

      Das kleinere Zimmer als klein zu bezeichnen, durfte als ziemliche Übertreibung durchgehen, es war winzig. Ein schmales Kiefernbett, ein einfacher Schrank am Fußende des Bettes und ein Stuhl ließen gerade noch genug Platz zum Aus- und Ankleiden; eine normale Gefängniszelle war inzwischen größer.

      Der eigentliche Wohnraum nahm dagegen über die Hälfte des Hauses ein. Blickfang und Mittelpunkt des Raumes war ein gusseiserner Ofen, vor einem breiten, freistehenden Kamin. Ein Ofen, der eher einer alten, filigran gestalteten Kommode glich, hinter deren Glasscheiben ein Kaminfeuer brannte. In gemütlichen Sesseln vor diesem Ofen verbrachten sie den Rest des Abends, das lebendige Feuer im Blick und einen guten Rotwein im Glas. Es war ziemlich genau das, was Erik an diesem Abend brauchte: viel Wärme, einen guten Rotwein und den angenehmen Duft von Kiefernholz.

      Er erfuhr, dass seine Fahrerin Ulrike Teisch hieß. Sie war Ärztin und praktizierte als Neurologin in Kiel.

      Der Kumpeltyp war Anneke Berg. Zusammen mit ihrem Mann betrieb sie in Göteborg einen erfolgreichen Onlinehandel mit Antiquitäten und mit Sexspielzeug. Eine sehr lukrative Kombination, wie sie sagte.

      „Ich