Daimon Legion

Deadman's Hostel


Скачать книгу

– ob nun mit Schnaps oder Wahnvorstellungen. Die Abgeschiedenheit des Hostels hatte ihren Tribut gefordert.

       Was denkt er sich wohl noch alles aus?

      Jemand musste ihm helfen. Ein Arzt oder ein Seelenklempner. Vielleicht brauchte er Medikamente. Auf jeden Fall war sein Verhalten nicht normal.

       Es wurden schon Leute für weniger weggesperrt.

      Sollte sie Hilfe holen? Die Fata Morgana der Stadt am Horizont gestern … war sie real? Würde es dort ein Krankenhaus geben? Kannte man den verdrehten Vermieter dort schon und sah ein, dass gegen seinen Irrsinn nichts half? Warum sonst versteckte er sich in diesem Kasten, so weit ab von allen Menschen, mit sinnloser Arbeit beschäftigt, die niemand ihm auftrug?

       Ein Abstellgleis für Spinner?

      Auch wenn die Fakten eindeutig waren, wollte Sheryl mit ihren Vermutungen nichts überstürzen. Der Grat von spleenig und absonderlich zu gefährlich und geisteskrank war doch breiter, als man vermuten würde. Zwar kannte sie Ace noch nicht lange, jedoch war er kein voller Idiot. Er hüpfte nicht quer im Dreieck, seine Gefühle (wenn denn vorhanden) waren kontrolliert und er drückte sich (meistens) gut überlegt aus. Bevor sie irgendwelche voreiligen Schlüsse zog und den Krankenwagen rief, sollte sie ihn vielleicht erst einmal fragen?

      Aber vorher ging es unter die Dusche.

      Und dann …

      „Ace?“, hörte er ihr zartes Stimmchen aus dem Büro rufen.

       Was will die denn noch?, nörgelte er still und zog sich das frische rote T-Shirt über.

      Die getragene Klamotte warf er gestresst in einen der zwei Kleiderbeutel, die er ebenfalls mit Schmutz- und Bettwäsche vollgestopft hatte. Die Öffnung derer zurrte er grob zusammen, trug sie aus dem Schlafzimmer und ging ins Bad, um dort die Tücher abzunehmen. Sack auf, rein, Sack zu.

      Um das Auflesen seiner benutzten Hosen und Hemden kümmerte er sich lieber selber, als dass er jemanden von der Putzkolonne zu sich in die Wohnung ließ. Zu blöd nur, dass er verschlafen hatte.

      „Ace?“, fragte die Göre ein zweites Mal nach ihm.

      „Ja!“, knurrte er entnervt und zog die beigefarbenen Taschen hinter sich her ins Büro. Die Tür zu seinen Privaträumen schloss er vorsorglich ab. Er hasste es wirklich, wenn andere sein Chaos unter die Lupe nahmen und meinten, sinnlose Ratschläge in Sachen Sauberkeit zu geben. Es hatte ihm schon gereicht, dass Sheryl seine nicht vorhandene Ordnung gesehen und darin herumgestochert hatte.

       Ich habe nun mal eine andere Vorstellung von Gemütlichkeit, und wenn die darin besteht, sich mit den Fliegen zu duzen, dann …

      Die Kleine stand jetzt an der Theke und sah ihn mit ihren grünen Augen an. So betrachtet waren die sehr hübsch. Wie trübe Seen …

       Falscher Zeitpunkt.

      „Was?“, brummte Ace patzig.

      Wegen seiner derben Art zuckte sie zusammen und murmelte verhalten: „Ich … wollte wissen, ob alles bei dir in Ordnung ist.“

      „Alles perfekt! Was geht’s dich an?“, blieb er unnahbar und griff nach seinen Zigaretten.

      Das Mädchen hob nichtssagend die Schultern.

       Was denn jetzt schon wieder? Was will die? Den Punkt „Fernhalten“ hat die noch nicht kapiert, oder?

      „Mach dir lieber um dich Sorgen, Kurze!“, war er der Meinung und wandte sich kalt von ihr ab, um seinen Arbeitsplatz einzunehmen. Offiziell war er noch gar nicht dran, aber er hatte es vor Jahren bereits aufgegeben, seine Überstunden zu sammeln. Im Hostel gab es immer etwas zu tun und das richtete sich nicht nach Öffnungszeiten. Statt „Vermieter“ sollte seine Berufsbezeichnung „Depp für alles“ sein.

      Auf dem Schreibtisch lag eine Mitteilung. Eine Liste vom Lager.

       Ach ja, ich erinnere mich …

      Kurz sah er noch mal zu Sheryl hin, die wahrscheinlich eine gewisse Reaktion erwartete. Doch ehe er etwas Passendes sagen konnte, fuhr draußen ein weißer Transporter vor.

       Ungehalten blickte er auf die Uhr. Die Weiber sind leider so verdammt pünktlich.

      „Du sagst nichts!“, befahl Ace der Göre barsch und wies sie an, sich auf das Sofa zu setzen.

      Aus dem Wagen stiegen fünf Frauen unterschiedlichen Alters. Von zwanzig bis fünfzig, von dünn zu dick, schwarz und weiß, schien alles vertreten zu sein. Sie trugen einheitliche weiß-graue Uniformen und die Damen mit langen Haaren hatten diese zum Zopf oder Dutt gebunden. Im straffen Laufschritt hielt die Gruppe auf den Empfang zu und ohne anzuklopfen, unter Führung der Ältesten, durchdrang sie die Tür. Bei Sheryls Anblick aber erstarrte das Kommando.

       Die Anführerin zählte rasch eins und eins zusammen und stapfte unbeeindruckt weiter. Vor Aces Thesen tretend, stemmte sie die runden Fäuste in die Taille.

      „Sieh einer an“, sagte die korpulente Frau mit den grau-braunen Locken brüsk, „hast du mal so was wie Kundschaft, Livingston?“

       „Das ist ’n Hostel, Gladys“, erklärte er der Raumpflegerin grimmig. „Ohne Kundschaft würd ich nicht hier sitzen, oder?“

      „Aber das du überhaupt Kundschaft hast, ist ein Wunder! In diese mittelmäßige Absteige verirrt sich sonst niemand!“, spottete Gladys und sah über die breite Schulter zu Sheryl hin. Das Mädchen versuchte, sich an die geforderte Weisung zu halten, und sagte nichts weiter als ein höfliches „Guten Morgen.“

      „Die Kleine scheint mir noch recht jung zu sein, Livingston“, sprach die ältere Frau mit Ace, ohne die Augen von dem fremden Teenager zu lassen. „Zu jung, um allein zu reisen.“

      „Ist nicht allein“, hörte Sheryl den Vermieter überzeugend lügen. „Ist mit ihren Eltern vor zwei Tagen eingezogen. Die Typen sind Naturforscher und wollten die Flora und Fauna der Wüste beobachten. Und solang sie weg sind, soll ich auf die Kurze aufpassen.“

      „Dann ist sie so gut wie verloren!“, lachte Gladys auf und fügte biestig hinzu: „Du kannst doch von keiner Frau die Finger lassen, egal, ob sie noch ein halbes Kind ist oder nicht.“

       „Also bitte“, redete sich Ace mit einem diebischen Grinsen heraus, „’n bisschen Stolz hab ich schon noch. Dich verbrauchtes Leder würd ich auch nicht mehr anfassen wollen.“

      Gladys lief vor Zorn knallrot an.

       Der Mann genoss seinen verbalen Triumph sichtlich und wies süffisant mit seiner Zigarette auf die Kleidersäcke an der Wand. „Genug geschwatzt, alte Lady!“, zog Ace sie bestimmend auf. „Sollteste nicht mit dein’ Mädchen besser anfang’? Das dort ist bis Mittwoch sauber zu machen und dann ab mit euch ins Haus. Mein Boss bezahlt deine Truppe nicht so großzügig fürs Rumstehen.“

      „Wo liegt der Unterschied zu dir?“, stichelte Gladys garstig zurück, kehrte sich aber um. Den anderen Putzfrauen gab sie direkte Anweisungen: „Nicole und Careen, ihr fangt in Stock eins an. Valerie und Bridget, ihr schafft die Wäsche in den Wagen und dann geht ihr in den zweiten Stock. Und dich“, sagte sie ausdrücklich zu Ace, „will ich vor Mittag nicht im Gebäude haben, klar?“

      „Klar, bin ja auch noch nicht im Dienst“, nahm er ihr Drohung locker und drückte die Kippe aus.

      Die Reinigungskräfte verließen das Büro, mitsamt den Säcken.

      Sheryl schaute ihnen verstohlen nach.

      Das Feuerzeug klickte laut in der entstandenen Stille.

      „Komm mal rüber, Schätzchen“, hörte sie Ace sagen.

       Mal sehen, was er jetzt will, dachte sie und folgte seinem Wink wortlos. Bisher verhielt er sich nicht groß verrückt. Nur wie ein exzentrisches Arschloch – aber das kannte sie ja schon von ihm. Sie würde weiter beobachten müssen.

      Hinter