Daimon Legion

Deadman's Hostel


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zu verschlafen.

      Der Kugelschreiber tanzte über das Papier.

      Rauchend füllte Ace den Vertrag zusammen mit dem Kunden aus. Es war bereits das dritte Formular an diesem noch so frühen Arbeitstag. Auf dem Sofa saßen weitere vier Personen und warteten geduldig, bis sie an die Reihe kamen. Sie hatten ja alle Zeit der Welt …

      Er machte eine kurze Pause, atmete durch und wechselte gelassen beim Schreiben die führende Hand. Mit einem Lockern der Schultern setzte er von Links an und schrieb genauso gut wie vorher mit Rechts. Es war von Vorteil, in seinem Beruf beidhändig zu sein.

       Wo die Kleine wohl rumgeistert?, fragte er sich zum x-ten Mal.

       Stimmt etwas nicht?, fiel es scheinbar auf, dass er mit dem Kopf woanders war.

      „Schon okay“, versicherte er und arbeitete weiter.

       Na ja … solange sie mich nicht verfolgt, kann es mir doch wurscht sein, oder?

      Etwas über zwei Stunden döste Sheryl noch vor sich hin, dann weckte sie der Durst. Da sie noch nicht wusste, wo Ace die Reserven versteckt hatte, trank sie mit der Tasse Leitungswasser und erfrischte sich auch gleich das Gesicht. Im Zimmer staute sich die Wärme. Eine Klimaanlage suchte sie vergebens.

      Im Korridor wiederum war es kühl. Sheryl überlegte, ob sie einen Durchzug riskieren sollte, entschied sich aber dagegen. Sie hatte schlicht Angst um ihren neuen Besitz. Wer nichts hatte, konnte nichts verlieren.

      Ohne große Erwartungen verließ das Mädchen ihr Zimmer und ging den Flur entlang. Weil es nirgends eine Form der kleinsten Dekoration gab, die Zimmer aber gut beschriftet waren, konnte sie sich nur schwer verlaufen. Ihr Raum befand sich in der Mitte des Us und die beiden Seitenarmen wirkten exakt gespiegelt. Insgesamt gab es auf der zweiten Etage sechzig Türen, wovon bloß vier in ein Treppenhaus mündeten und zwei für das Reinigungspersonal bestimmt waren. Demnach gehörten die restlichen Zimmer den zeitweiligen Besuchern des Hostels. Die Zahl allein kam Sheryl reichlich groß vor.

      Noch größer wurde ihre Überraschung, als sie die Wohnetagen nach oben hin zählte. Sieben. Sieben volle Etagen für Gäste? Wenn ihre bescheidenen Kenntnisse in Mathe nicht völlig versagten, waren das gut dreihundertachtundsiebzig Räume. Ihren ausgenommen, dreihundertsiebenundsiebzig sehr stille Räume, denn kein einziger Mensch zeigte sich ihr. Niemand war im Flur oder im Treppenhaus, aus keinem Zimmer kamen Stimmen oder Bewegungsgeräusche. Ace und sie mussten die einzigen Bewohner des Gebäudes sein.

      Neugierig öffnete Sheryl die letzte Tür nach oben und fand sich auf dem Flachdach der Herberge wieder. Frischer Wind blies durch ihr Haar und zerzauste es. Vorsichtig schritt das Mädchen zum Rand der Plattform und lugte vorsichtig über das Geländer in den Hof hinunter. Die Höhe schlug ihr auf den Magen. Rasch zog sie sich zurück und schaute stattdessen in die Ferne.

      Um sie herum gestaltete sich die Wüste. Ein paar steinige Hügel im Norden, ja, doch sonst gab es augenscheinlich nur Sand, ein paar vertrocknete Büsche und blassgrüne Kakteen. Der Highway zog sich wie ein schwarzer Strich durch das gelbe Land. Am Horizont flimmerte die Hitze und Sheryl glaubte, eine Stadt zu erkennen. Zumindest Häuser. Oder es war eine Fata Morgana, sie wusste es leider nicht.

      Viele Gedanken schwirrten ihr durch den Kopf.

       Das Deadman’s Hostel war tatsächlich riesig. Es erschien ihr fast unmöglich, dass jemand, der auf der Straße unterwegs war, es nicht sehen konnte. Normalerweise würden diese hohen Mauern doch schon meilenweit ins Auge fallen. Wieso hatte auch sie vorher nichts gesehen? Der eigentümliche Name war ihr unbekannt. Im „Paradise“ oder sonst wo hätten Flyer und Visitenkarten ausgelegt sein können. Doch es gab keine Werbung! Und welche Hostel-Kette konnte schon auf diese verzichten?

      Dann diese Einöde. Entweder musste das Hostel gut besucht sein – als einzige Anlaufstelle in der Umgebung – oder aber es verirrte sich niemand hierher. Über dreihundert Zimmer konnten doch niemals alle ausgebucht sein? Eine Herberge von dieser schieren Größe in einer gottverlassen Gegend grenzte an wirtschaftlichen Irrsinn.

      Ihr war schleierhaft, wie Ace es hier aushalten konnte. Allein verantwortlich für all diese Räume und mit einer Arbeit beschäftigt, die eigentlich keine Früchte tragen konnte. Auf Dauer musste diese Situation einem Menschen ganz schön aufs Gemüt schlagen. Vom Verstand ganz zu schweigen. Vielleicht betrank er sich deshalb bereits am frühen Morgen.

      Würde Sheryl sein Schicksal teilen?

      Sie war schließlich mit ihm abgeschnitten vom Rest der Welt. Beide dienten sich nun als alleinige Gesellschaft. Im Grunde konnten sie tun und lassen, was sie wollten, solange jeder von ihnen seinen Willen bekam. Ace würde ihr auch kaum irgendwelche erzieherischen Grenzen setzen, dessen war sie sich bewusst. Es war ihre Entscheidung, ob sie das denn wollte.

      Im Hostel besaß Sheryl Zuflucht und Freiheit gleichermaßen, ohne irgendwelche Einschränkungen. Jedoch erschreckte sie eben das. Sie musste für sich selbst die Regeln festlegen, wenn sie nicht in dieser Weite den Kopf verlieren wollte. Eine Struktur musste her, ein bestimmter Ablauf. Eine Aufgabe. Egal wie sinnlos sie auch sein mochte …

      Ace wüsste möglicherweise etwas. Allerdings wollte sie ihn nicht stören, ehe seine Schicht rum war. Und wenn heute Samstag war, würde sein Tag spät werden.

      Sheryl verbrachte eine gute halbe Stunde damit, auf dem Dach zu stehen. Während sie in ihrer Fantasie Pläne fasste und Spekulationen verfolgte, betrachtete sie die Fernstraße. Gerade mal ein Auto fuhr in dieser Zeit am Hostel vorbei.

      Ansonsten war dort draußen keine Menschenseele.

      Die Sonne trieb das Mädchen wieder rein ins Haus.

      Nun stieg sie hinunter ins Erdgeschoss und sah sich dort in den Gängen aus Langeweile um.

      Anders als der Gästebereich, war dieser Teil des Hostels bloß zweckmäßig gehalten. Auf steinigem Boden waren die Wände nur notdürftig verputzt und die Deckenbeleuchtung eher spärlich, was dem Flur ein düsteres Erscheinungsbild verlieh. An den wenigen eisernen Feuerschutztüren konnte sie ablesen, wozu die dahinterliegenden Räume dienten, und wenn die Pforten nicht verschlossen waren, warf sie einen Blick hinein.

      Die zuständigen Sektionen für Wasserleitungen, Heizungsrohre und Elektronikversorgung waren vor ihren Übergriffen sicher. Teils aus Desinteresse, aber auch eben wegen des Schlosses.

      Im mittleren Areal traf sie auf eine große Halle, die scheinbar als Garage und gleichzeitig Werkstatt diente. Neben einer Werkbank, verschiedenen Werkzeugen, Benzinkanistern, zwei Mülltonnen, alten Ersatzreifen, einem metallischen Schrank, einem Bohrer und vielen anderen technischen Gerätschaften, von denen sie wenig Ahnung hatte, fand sie ein blaues Motorrad (laut Aufschrift eine Yamaha Super Sport), das unter einer Abdeckplane abgeschlossen stand.

      Dass die Maschine Ace gehörte, nahm sie stark an: Auf dem Tank klebte ein Pik-Sticker. Sie war im guten Zustand, ihr trunksüchtiger Besitzer musste sie erstaunlich gewissenhaft pflegen – was die Ölflecken von gestern erklärte. Bevor der aber später ihre Fingerabdrücke auf dem glänzenden Lack entdecken würde, lenkte Sheryl ein Geräusch ab.

      Am anderen Hallenende öffnete sich quietschend eine Tür.

      Verwundert ließ sie die Plane wieder über das Motorrad fallen und näherte sich dem Durchgang, der in einen weiteren, zwielichtig beleuchteten Abschnitt führte. Das Mädchen untersuchte kurz das Schloss und vermutete einen kleinen Defekt, gepaart mit einem Luftzug. Nach einem seichten Schulterzucken lief sie durch das Dunkel.

      Der Korridor brachte sie bald zum interessantesten Raum des ganzen Hostels: dem Lagerbereich.

      Mehrere hohe Regale standen dort herum und beinhalteten alles, was sie für ihre eigene Wohnung brauchte. Das meiste waren konservierte Lebensmittel in Dosen- und Glasform, aber auch abgepacktes Trockenfleisch. Teigwaren und Fertiggerichte konnte man schnell mit heißem Wasser in Essbares umwandeln. Aus einem Getränkedepot holte sie sich eine Flasche Limonade, deren Inhalt ein Segen war für ihre Kehle.

       Ein anderer Teil des Inventars bestand aus unterschiedlichen