Daimon Legion

Deadman's Hostel


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      Dann lief sie zur Rezeption.

      An der eingefassten Scheibe hing eine feste Notiz mit geregelten Öffnungszeiten, die sie kurz überflog.

      MO 10 am - 8 pm

      TU - closed -

      WE 10 am - 8 pm

      TH 10 am - 8 pm

      FR 10 am - 6 pm

      SA 10 am - 10 pm

      SU 12 am - 6 pm

      Darunter befand sich ein zweites Schild aus Pappe. Es war von der Innenseite her grob mit Klebeband angebracht und zeigte die handschriftliche Forderung:

      Fresse halten! Ihr könnt warten! Ich muss schlafen!

       Was für ein freundlicher Kerl …

      Sie zögerte, ehe sie nach der Tür fasste. Vielleicht war abgeschlossen, oder der Typ war gar nicht hier zu finden, oder ein Alarm schrillte plötzlich los, der die Polizei benachrichtigte.

       Ach, ich komme nicht weiter, wenn ich hier nur rumstehe!, schüttelte Sheryl den Zweifel ab und drehte den silbernen Knauf. Die Pforte sprang mit einem Knarzen der Scharniere auf. Der Raum dahinter wirkte staubig und verlassen. Zumindest die Aktenschränke und Schlüsselbretter waren verschlossen, wenn der Herr Vermieter es schon mit der Haustür nicht so genau nahm. An der Decke über den Eingang sammelte sich eine Kolonie von dünnen Spinnen an, die gut von Motten und Mücken lebte.

       Der vermisste Rucksack lag geöffnet auf dem Sofa. Vom restlichen Besitz, den sie von zu Hause mitgenommen hatte, fehlte jedoch jede Spur. Was hat dieser schmierige Penner damit gemacht? Gut, es waren bloß Wechselsachen und ein paar Waschutensilien, aber dennoch ihres!

       Langsam ging das Mädchen um die Theke herum und warf einen verstohlenen Blick auf den Schreibtisch. Dort hatte sie gelegen und dieser … dieses ekelhafte Schwein! Er hatte sie wie eine billige Hure benutzt! Angewidert schüttelte sie die Erinnerung ab und atmete tief durch. Leider wurde ihr davon nur noch übler. Die muffige Luft in diesem heruntergekommenen Kabuff schmeckte nach kaltem Rauch und roch wie etwas, das sie nicht identifizieren wollte.

       Rechts vom Tresen befand sich eine unscheinbare Holztür. Privat verkündete sie und würde ganz sicher in den Wohnraum des Verwalters führen.

      Diesmal zögerte Sheryl nicht und klinkte gleich.

      Der Zigarettengestank wurde unerträglich und vermischte sich mit dem abscheulichen Dunst der Verwesung. Hustend trat sie in einen wahren Saustall. Im Groben und Ganzen war das Zimmer dem ihren nicht unähnlich. Eine Küche, Zugang zum Badezimmer, eine Essecke für zwei. Nur eine graue Falttür schien die Grenze zum Schlafzimmer zu markieren. Doch im Gegensatz zu ihren sauberen Wänden, herrschte der Mann über ein Chaos.

      Überall standen leere Glasflaschen – ehemals Whiskey – herum. Der Inhalt von Aschenbechern stapelte sich in die Höhe und im Abwasch sammelte sich schmutziges Geschirr. Fliegen summten über einer stehen gelassenen Mahlzeit, die irgendwann mal Ravioli gewesen sein musste, und deren Jungen genossen das Angebot an Abfällen. Krümel, Staub, Spinnweben … und eine Kakerlake huschte davon.

      Schnurstracks lief Sheryl zum Fenster über dem vermoderten Spülbecken und öffnete es. Sauerstoff füllte ihre Lunge und die Insekten schwärmten, zu einer schwarzen Wolke geformt, nach draußen. Den Teller und die Asche warf sie ihnen gleich hinterher.

      Angeekelt von der Unordnung, schüttelte sich das Mädchen und wandte sich dann dem Schlafzimmer zu. Irgendwie wollte sie gar nicht wissen, welche hygienischen Abgründe hinter der Schiebetür auf sie lauerten – doch es musste sein.

      Der abgestandene Gestank erregte auch hier drinnen Brechreiz. Tabak und Alkohol zählten bei dem Mann scheinbar zur Grundnahrung. Dazu lagen zig Kleidungsstücke kreuz und quer, sauber und dreckig über den ganzen Raum verteilt. Hier ein ausgelatschter Schuh, da eine muffige Socke, ein fleckiges Unterhemd und genug Dinge, über die sie sich sicher nicht den Kopf zerbrechen wollte. An der Längswand standen auf einem schwarzen, sehr staubigen Sideboard ein dunkler Flachbildfernseher und eine silberne Musikanlage. Mehrere CDs stapelten sich neben dem Gerät, das sogar für altmodische Kassetten ausgelegt war. Und – was sie wirklich sehr überraschte – es gab Bücher.

      Unter all dem Schmutz und Schund befanden sich zig Bücher. Romane. Nie hätte Sheryl den Kerl für eine Leseratte gehalten. Sie hob eine Taschenbuchausgabe an, die mit durchgebogenem Rücken auf der Kommode lag und las ein paar Zeilen. Der Text war auf Deutsch verfasst und es dauerte etwas, eh sie den Inhalt halbwegs übersetzen konnte.

      Es war ein Kinderbuch über märchenhafte Gestalten und fantastische Abenteuer. So etwas Feinfühliges – ja, nahezu Unschuldiges – hatte sie wirklich nicht von jemandem erwartet, der dermaßen abgebrüht und steinern war wie er.

       Und wenn schon, er hat mir Schreckliches angetan, reagierte sie grimmig und legte das Buch grob beiseite.

      Sheryl trat an das Doppelbett heran, welches den verkommenen Raum dominierte. In den zerwühlten Laken eingewickelt schlief dort der Mann, seitlich auf den Bauch gedreht und leise schnarchend. Neben ihm auf der Matratze lag eine leere Flasche Bourbon. Von der Anwesenheit des Mädchens hatte er gar nichts mitbekommen. Der Rausch musste ihn fest im Griff haben.

       Wenn es mal nur der Alkohol ist. Wer weiß, was der Typ sich sonst noch spritzt!, dachte sie abfällig, dann schloss Sheryl auch hier das Fenster auf, um klare Luft hereinzulassen. Sonnenlicht flutete die verhangene Räucherhöhle und schien dem Mann direkt auf den bunt tätowierten Rumpf. Hauptsächlich bestand das Motiv aus aufgemalten Knochen. Vom Hals abwärts war das Rückgrat nachgebildet, wobei die einzelnen Wirbel fast an kleine Schädel erinnerten. Schulterblätter, Rippen … statt von Muskeln oder Adern waren sie von Flammen überzogen. Im Schatten des Lendenbereichs wanden sich zwischen verrotteten Organen Würmer, Maden und Aaskäfer.

      Sheryls Unterfangen beeindruckte den Schläfer wenig. Er schnarchte weiter und schmatzte kurz im Schlaf.

      Wie der so die Ruhe weghaben konnte, war ihr schleierhaft. Während ihr diverse Sorgen und Schmerzen durch Geist und Körper fuhren, war für den alles in bester Ordnung.

      Neidisch auf seinen gesunden Schlaf, stieg sie wütend auf die Matratze und warf ihn kurzerhand – nicht ohne Anstrengung – von dieser runter. Polternd landete er mit einem gequälten Stöhnen am Boden, was ihr nur recht war. Er konnte auch mal ein bisschen leiden, er hatte es mehr als verdient! Am besten, man sperrte ihn gleich weg!

      Benommen zog sich der Mann mühsam etwas wieder an der Bettkante hoch. „Scheiße!“, fluchte er mit kratziger Stimme und kniff wegen der ungewohnten Helligkeit die Augen zusammen.

      „Du perverser Mistkerl!“, kreischte Sheryl ihn von oben herab an.

      Knurrend hielt er sich den Kopf und murmelte bloß: „Brüll nicht so, verdammt …“

      „Du Drecksack!“

      „So weit warste schon …“

      „Was hast du mir angetan?!“

      „Eh?“, verstand er offenbar nicht, was sie von ihm wollte. Seine Stirn legte sich in Falten.

      „Du hast mich vergewaltigt, du Arschloch!“

       Scheiße.

      In der Regel sollte Ace derjenige mit dem Filmriss sein. Der kleinen Ratte hatte er dem Anschein nach das Hirn rausgevögelt! Und wenn die nicht bald mit dem verfluchten Geplärre aufhörte und weiter die Luft an diesem frühen Morgen mit idiotischen Moralpredigten belastete, würde er ihr den dürren Hals umdrehen! Die Schuld konnte sie jemand anderem in die Schuhe schieben, aber doch nicht ihm! Wer wollte denn unbedingt bleiben?! Sie war ja nicht gefangen, oder so …

      „Halt dein dummes Maul!“, wurde er jetzt mal richtig laut, dass sein Gebrüll von den Wänden hallte und wahrscheinlich noch meilenweit in die Wüste hinaus zu hören war.

      Das hatte gesessen.

      Mit großen Augen