Daimon Legion

Deadman's Hostel


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erhöhten Theke ab. Er beugte sich drohend, gleich einem angriffsbereiten Puma, zu ihr vor.

      Das erste Merkmal, was Sheryl an ihm auffiel, waren seine Augen. Graubraune Murmeln im rot geäderten Weiß. In ihnen lag weder Güte noch die geschäftliche Neutralität einem Kunden gegenüber. Sie waren hart. Kalt und stumpf. Der Mann hatte Augen aus Stein. Und darunter derart tiefviolette Schatten, als hätte er zig Nächte lang keine Ruhe gefunden. Sein Gesicht wirkte ausgezehrt durch die deutlich abgezeichneten Wangenknochen, dass es sich kaum von dem Totenkopf-Schild draußen unterschied. Hellbraune Barthaare zierten wild den scharf gezogenen Kiefer und umrandeten einen mürrisch zusammengepressten Mund.

      An zweiter Stelle bemerkte sie die vielen bunten Tätowierungen, die sich offensichtlich von der Kehle abwärts über jeden Zoll seiner bleichen Haut zogen. Sie sah einen täuschend echt wirkenden Skorpion auf seiner Hauptschlagader links am Hals pulsieren; einen widerlich grinsenden Zombie-Joker und ein Anzug tragendes Gentlemen-Skelett in Gesellschaft von Maden, Spinnen und Netzen auf den muskulösen Oberarmen prangern; Pokerspielkarten und Geld in Flammen; einen schwarzen, orange gefleckten Frosch mit finsteren Augen und Pistolenkugeln …

       Um Himmels willen.

      Er stank. Nach herben Männerduft, Alkohol und Zigarettenqualm. Das Unterhemd, welches er trug, musste vor Äonen mal weiß gewesen sein, und die verwaschene Jeans zeigte Spuren von ranzigem Kettenfett und Maschinenöl.

      Unwillkürlich wich Sheryl vor ihm zurück. Nicht bloß wegen dem beißenden Geruch und seinem abweisenden Verhalten, sondern auch, weil er über einen Kopf größer war als sie. Er erweckte den Eindruck, gerade erst aus einer langjährigen Haft entlassen worden zu sein. Irgendwie zweifelte das Mädchen nicht daran, dass dies durchaus der Fall sein konnte.

      „Am Leben, eh?“, raunte er mit einem Knurren und blies ihr dabei den erstickenden Rauch der Zigarette ins Gesicht, die er sich frisch zwischen die trockenen Lippen geklemmt hatte. „Und was zum Geier willste hier?“

      „Äh …“, suchte sie nach Worten und blickte dabei auf seine unruhig trommelnden Finger. Selbst die Handrücken waren bis hoch zu den Nägeln zerstochen mit stacheldrahtähnlichen Kerben, ekligen Krabbeltieren und … Sie erkannte jeweils vier Buchstaben auf den knochigen Gliedern, bevor das Trommeln noch schneller wurde.

      „Schätzchen, hast hier nichts verloren!“, fuhr er sie kalt an. „Verschwinde!“

      „D-das kann ich nicht!“, fand sie endlich die Sprache wieder, da ihr klar wurde, was er von ihr verlangte. Und wohin das führen würde.

      „Sicher kannste“, maulte er und wies auf die Tür.

      „Ich habe es gerade so hierher geschafft! Ich wäre fast gestorben!“

      Er schnaufte verächtlich und meinte: „Früher oder später passiert das allen Menschen.“

      Wegen seiner herzlosen Worte stiegen Sheryl brennend Tränen in die Augen und sie flehte verzweifelt: „Bitte! Bitte lassen Sie mich hier übernachten! Nur eine Nacht, ich bitte Sie! Auf dem Sofa! Und morgen bin ich weg, ich verspreche es! Ich mache Ihnen keine Umstände, wirklich! Ich möchte nur etwas Wasser und ein paar Stunden schlafen!“

      Sie sah, dass er abschätzig reagieren wollte und setzte noch ein ehrliches „Bitte!“ hinzu.

      Der Hausherr des Hostels zog tief an seiner Zigarette und zerdrückte die Kippe in einem bereits vollen Aschenbecher. Den Dampf stieß er schweigend durch die Nase aus. Mit einem Geräusch zwischen Seufzen und Knurren, ließ er sich wieder auf seinen Stuhl sinken und fuhr sich mit der rechten Hand durch seinen zottigen Irokesenschnitt. Der Ansatz war braun, doch die Haare schmutzig-blond gefärbt. Sauberes Wasser berührte sie wohl eher selten.

      „Bitte!“, sagte Sheryl abermals.

      Er griff nach einer Schachtel und zündete sich einen neuen Glimmstängel an. Immer wieder daran ziehend, sprach er boshaft: „Was biste für ’n Anfänger … Haste endlich gemerkt, dass das Leben hart ist und selten fair? Hätteste dir besser dreimal überlegen sollen, bevor du dein schickes Kleinstadtleben bei Mom und Daddy aufgibst … Wovor rennste weg? Vor den Problem’ in der Schule? Oder hat dich der Wichser, in den du verknallt warst, abserviert?

      Schätzchen, kleiner Tipp am Rande: Wenn du vorhast, abzuhauen, dann schnapp dir alle Knete, die du greifen kannst – egal woher – und begib dich auf gar kein’ gottverdammten Fall in irgend so ’n Scheiß-Gebiet wie ’ne verfickte Wüste!“

      Seine Schelte nahm sie geknickt hin.

      Schnaufend griff er mit der freien Hand nach einem Glas und trank daraus eine goldgelbe Flüssigkeit.

      Bourbon, wie Sheryl dem Etikett der dazugehörigen Flasche entnehmen konnte, die auf dem Schreibtisch hinter der Theke stand. Dort sah sie auch Stifte, Dokumente und Schreibhefte – zu oder offen – schwach lesbar liegen. In einem Regal hinter dem riesenhaften Vermieter standen dagegen vielfarbige Aktenordner, welche weggeschlossen werden konnten, sodass niemand Gelegenheit bekam, neugierig in den vertraulichen Daten zu schnüffeln.

      „Ich sag’s noch mal“, brummte der Mann leise: „Verzieh dich! Geh wieder zurück in dein hübsches kleines Ponyleben, iss Kuchen und spiel mit Puppen. Die Welt frisst dich sonst mit Haut und Haaren.“

      „Ich spiele schon lange nicht mehr mit Puppen“, antwortete Sheryl gequält und kaute auf ihrer Lippe herum, ehe sie mit aufkommender Wut den Satz weiterführte: „Und Kuchen gibt es zu Hause auch nicht!

      Mein Vater ist vor zwei Jahren gestorben. Er war Polizist und wurde im Dienst erschossen. Es hat meiner Mutter das Herz gebrochen! Und dann hat sie diesen Kerl kennengelernt! Er hat ihr Drogen gegeben, bis sie abhängig wurde und sich mehr und mehr verschulden musste! Mich hat er geschlagen! Meine Mutter liegt jetzt im Krankenhaus wegen einer verdammten Überdosis! Und der Mistkerl hat gesagt, dass ich jetzt das Geld verdienen soll! Er wollte mich verkaufen und vergewaltigen!“ Tränen liefen ihr über die Wangen. „Ich kann nicht nach Hause zurück! Und ich will auch nicht zurück! Ich musste dort weg, verstehen Sie das? Egal, wohin, Hauptsache weg! Ich bin kein kleines Kind mehr! Ich weiß, dass die Zukunft auf der Straße aussichtslos ist und mir nichts geschenkt wird!

      Sie haben doch keine Vorstellung, wie hart das Leben wirklich sein kann!“

      Er lachte freudlos auf und trank noch einen Schluck Bourbon.

      „Was weißte denn?“, spottete er grimmig. „Hast ja keine Ahnung, Krümel.

      Hast bisher ziemlich Glück gehabt, wie? Andernfalls hätteste dir das Bitten und Betteln gespart und wärst gleich zur Sache gekomm’. Solltest verdammt froh sein, dass du so lange verschont wurdest – sonst hätteste den Schaden längst weg.“

      Sheryl war nicht sicher, ob sie ihn richtig verstand. Sein Slang war grauenvoll. Wahrscheinlich war er schon sehr betrunken.

      „Wie alt biste?“, fragte er sie knapp und drückte seine Kippe in einem zweiten Aschenbecher in der Nähe aus. Dieser war auch übervoll. Unverkennbar rauchte er viel. Seine Zähne waren ganz gelb.

      Sie rechnete mit der Frage und versuchte, ihren Rücken durchzudrücken. „Neunzehn.“

      „Erzähl kein’ Scheiß!“, ließ er sich nicht täuschen.

      „Achtzehn.“

      Schweigend schüttelte er den Kopf und griff nach der Zigarettenschachtel.

      „Okay, siebzehn.“

      „Nope.“

      „… sechzehn …“

      „Wir komm’ der Sache näher“, feixte er und entzündete die Lunte.

      Genervt atmete Sheryl aus und gestand: „Ist ja gut! Ich bin fünfzehn, aber nicht weit von der sechzehn entfernt, verstanden?“

      „Klar“, griente er und stieß aufs Neue den blauen Rauch durch die Nase aus. Gemütlich lehnte er sich zurück und hob die langen Beine auf die Tischplatte. Durch die Stofflöcher im Kniebereich der Jeanshose sah sie ungenau weitere Tattoos. Seine Turnschuhe schienen