Daimon Legion

Deadman's Hostel


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sein.

      Jungs.

      Sich mit Jungs verabreden.

      Sie dachte an Nick Johnson aus dem Mathekurs. Er sah so gut aus. Außerdem war er cool, witzig und klug. Alle Mädchen waren in ihn verknallt, auch sie. Und er hatte sogar mal mit ihr geredet! Sheryl mochte seine schwarzen Kräusellocken, seine kakaobraune Haut, sein strahlendes Lächeln.

       Wenn alles richtig gelaufen wäre …

      In ihrer Fantasie sah sie sich selbst mit Nick auf dem Abschlussball tanzen. Als Ballkönig und Königin. Ihre Mitschüler würden ausrasten und jubeln. Ob sie ihn geheiratet hätte? Klar. Warum auch nicht? Er war schließlich ein guter Fang! Gemeinsam hätten sie irgendwann einen guten Job bekommen, ein Haus gekauft, zehn Kinder in die Welt gesetzt und …

      … und alles hätte passieren können.

      Hätte anders sein können als jetzt.

      Sheryl wäre erwachsen geworden. Alt geworden.

      Umgeben von Freunden und Familie hätte sie ein schönes langes Leben haben können. Sie würde eine Mutter und Großmutter sein, die eines Tages mit über achtzig einschlief und friedlich starb.

      Eine wehmütige Träne tropfte auf die verbrannte Erde und verflüchtigte sich zischend zu einer kleinen Dampfwolke.

      Für sie kam dieses Ideal nicht infrage – auch nicht, wenn sie geblieben wäre.

      Der Tod klopfte an ihre Tür, immer und überall.

      Sie konnte vor diesem nur wegrennen und sich niemals nach ihrem alten Leben umdrehen. Es gab kein Zurück mehr. Bloß noch ein Vorwärts, in der Hoffnung auf ein Wunder.

      Der Highway hörte schließlich auch nicht einfach so auf.

      Und vielleicht …

      1

      Der letzte Schluck Wasser lag weit hinter ihr. Ebenso die nutzlose Flasche, die sie frustriert weggeworfen hatte. Wahrscheinlich schmolz die Sonne bereits das Plastik am Boden fest.

      Keuchend blickte Sheryl zurück gen Westen, wo die Sonne orangerot brannte. Es wurde bald Nacht. Die Wüste kühlte ab. Eine lang ersehnte Erfrischung konnte ebenso tödlich sein wie die sengende Hitze.

       Sterbe ich am Tag oder in der Nacht?

      Warum stellte sie sich die Frage?

      Ihr sollte jetzt eigentlich alles egal sein.

      Der Kopf schmerzte. Ihre Glieder waren bleischwer. Klatschnass klebten Stoff und Haut zusammen.

      Sie war müde. Am liebsten wollte sie sich hinlegen und einschlafen. Der Asphalt erschien ihr so weich wie ein Federbett. Bestimmt würde sie nie mehr aufwachen.

       Na ja, und wenn schon?, dachte sie und zuckte schlapp die Schultern.

      Matt fiel das Mädchen auf die Knie.

      Winzige Steinchen stachen in ihre Haut.

      „Tut mir leid. Aber ich kann nicht mehr.

      Bin bald bei dir.“

      Schuldgefühle quälten sie. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Hatte sie wahrhaftig geglaubt, ihrem Schicksal irgendwie davonlaufen zu können? Sie war doch nur ein dummes, kleines, hilfloses Ding …

      Traurig sah Sheryl auf in den grenzenlosen Himmel, der in der Dämmerung in vielen Rottönen brannte. Roch den klaren Duft der Wüste. Hörte die Grillen zirpen, den Kojoten heulen. Tiere der Wüste, denen ihr Körper Nahrung sein würde. Nichts wird in der Natur verschwendet. Sie hörte das Rauschen des Windes. Und mit ihm kam das Geräusch von -

      Sofort war die junge Frau wieder auf den Beinen und hörte mit gespannten Nerven genauer hin.

      Täuschte sie sich? Halluzinationen wären normal in ihrem Zustand.

       Ist das wirklich …

      Nach allen Richtungen lauschte Sheryl und – nein, sie hatte sich nicht geirrt: Sie hörte Musik!

      Und sie sah etwas! Vielleicht nur eine halbe Meile entfernt!

      Wieso war es ihr nicht schon eher aufgefallen? Sie schob es auf den Sonnenstich.

      Abseits der Straße stand ein Haus – ein riesiger Gebäudekomplex sogar! Mehrstöckig und wie ein liegendes U aufgebaut. In einigen der über hundert Fenster brannte Licht – es war demnach bewohnt. Obwohl Sheryl am Ende ihrer Kräfte war, fasste sie neuen Mut und stolperte halb im Trab auf das schemenhafte Gemäuer zu.

      Sie verfiel in hohes Gelächter, weil dieser rettende Bau wirklich keine irreführende Luftspiegelung war. Die Aussicht auf Essen, Trinken, eine Dusche und ein weiches Bett ließ sie übermütig werden. Ihr Lachen wurde immer lauter, geradezu hysterisch, je näher sie der Zuflucht kam.

       Mein Film ist noch nicht vorbei! Kann sein, dass er sogar den Oscar gewinnt!

      Ein hart gefahrener Sandpfad führte offiziell vom Highway fort und hinein in den Hof des recht klobig erscheinenden Hauses, welches aus schmucklosen Betonplatten zusammengesetzt war. Trotz der Schlichtheit schien das Gebäude in einem soliden Zustand zu sein, relativ sauber und gepflegt.

      Es war ein Hostel, wie Sheryl es beim Eintreffen auf einem gut sichtbaren, im Boden verankerten Kunststoffschild lesen konnte. Es zeigte einen grinsenden Totenschädel, auf dessen riesigen bleichen Zähnen deutlich der Name stand:

      DEADMAN´S HOSTEL

      Deadmans?, wunderte sich das Mädchen. Wird das nicht normalerweise anders geschrieben?

      Entweder hatte der Schreiber keine Ahnung, oder es war ein skurriler Eigenname. Wer hieß schon Totmann mit Nachnamen? Weil jedoch in diesem Land so manches möglich war, zuckte sie die Schultern und machte sich keine Gedanken diesbezüglich mehr.

      Ein Richtungspfeil wies ihr den sicheren Weg zum Empfang.

      Gut, dieser Wink wäre nicht nötig gewesen.

      Die Rezeption hatte ihren Sitz im rechten, unteren Ausläufer des Us. Von außen sah sie nur schief hängende, graue Plastikrollos in den Fenstern, hinter denen ein trübes Licht brannte.

       Aus der offenen Tür erreichten sie die Akkorde der Gitarrenmusik, welche in dieser nächtlichen Ruhe laut dröhnend wie ein Düsenjet klangen. Eigentlich war das Gejaule weniger schlimm.

      Sheryl wischte sich den Schweiß von der Stirn und folgte auf unsicheren Füßen den verzerrt gemischten Klängen aus Rock und Country. Ganz vorsichtig klopfte sie an den freien Holzrahmen und rief ins Rauminnere: „Hallo?“

      „Tot oder lebendig?“, hörte sie eine sehr gelangweilte, fast monotone Stimme hinter dem ihr gegenüberliegenden Tresen antworten.

      Auf diese unerwartete Gegenfrage, die sie bestimmt falsch verstanden hatte, reagierte das Mädchen verdutzt mit: „Wie bitte?“

      „Tod oder lebendig?“, fragte der Mann erneut. Sein Ton wurde zwar lauter, aktiver, aber auch rauer.

      Achtsam trat Sheryl in das anspruchslos gestaltete Büro und ging zögerlichen Schrittes näher auf die Geschäftstheke zu. Seitlich an der kahlen, mit nichtssagender Tapete verzierten Wand stand ein kleines, abgenutztes schwarzes Ledersofa, das sie zu gern benutzt hätte, um sich darauf niederzulegen. Schmerzlich sentimental dachte das Mädchen an den fehlenden Schlaf, dass es völlig vergaß, irgendwas zu erwidern.

      „Verdammt!“, fluchte der Mann derb und sein Kopf erhob sich etwas über die Holzkante, um einen zornigen Blick auf den Gast zu werfen, der da leise durch den Raum schlich.

      „Biste tot oder lebendig?!“

      „Ich“, stammelte Sheryl verschreckt, „ich lebe natürlich!“

      „Sicher?“, fragte der Fremde skeptisch.

      „Ja!“,