Norbert Wibben

SPQR - Der Fluch der Mumie


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doch die ist inzwischen fort. Wird die Krankenschwester den Tropf abgenommen haben? Davon habe ich nichts gemerkt!«

      Die Schwester hatte gesagt, dass sie sich nicht erschrecken solle, weil ihr Blutdruck und die Körpertemperatur alle paar Stunden kontrolliert werden würden. Und das auch während der Nacht. Das sollte sicherstellen, dass ihr Kreislauf stabil ist und sie durch die Gehirnerschütterung nicht doch noch einen größeren Schaden nimmt.

      Ihr Schlaf muss sehr tief gewesen sein, da sie davon bisher nichts mitbekommen hat. Das mit der Infusion erhaltene Schmerzmittel wird vermutlich seinen Teil dazu beigetragen haben. Darüber wurden ihrem Körper zusätzlich Wasser, Salze und Nährstoffe zugefügt, weshalb sie inzwischen dringend die Toilette aufsuchen möchte.

      Inge richtet sich vorsichtig auf und schiebt zuerst nur die Beine über die Bettkante. Sie wartet, ob ihr womöglich schwarz vor Augen wird. Das kann bei ihrem sonst niedrigen Blutdruck schnell passieren. In dem Fall hätte sie nach der Nachtschwester klingeln müssen. Da das nicht eintritt, wagt sie es, allein zum WC zu schlurfen.

      Trotzdem sinkt sie anschließend ermattet aufs Bett. Auch wenn sie nicht umgekippt ist, sie hat sich an dem zweiten Bettgestell und dem Türrahmen festgehalten, war die Aktion erstaunlich anstrengend. Ihr Atem geht flach und das Herz pocht heftig in ihren Ohren. Sie spürt kalten Schweiß auf den Handrücken und atmet langsam ein und aus. Das hilft und stabilisiert den Kreislauf, wie sie weiß. Sie hofft, trotz ihrer Schwäche nach der Visite am kommenden Morgen entlassen zu werden. Inge will durch einen Blick in das polizeiliche Intranet sicherstellen, dass die Frau aus dem Kaufhaus nicht doch noch auf dem Polizeirevier eine Anzeige gegen Murat Osakin erstattet hat. Falls das jedoch geschehen ist, möchte sie dem ausländischen Studenten raten, sich einen Anwalt zu nehmen. Seine Adresse im Studentenwohnheim ist ihr bekannt. Sie will verhindern, dass der junge Mann einen falschen Eindruck von den Bewohnern Wismars bekommt. Fremdenfeindlichkeit verabscheut sie zutiefst. Mit diesen Gedanken schläft sie traumlos ein.

      Inge Husmann wird heute aus dem Krankenhaus entlassen. Das geschieht allerdings nur auf ihren ausdrücklichen Wunsch. Der Stationsarzt hätte sie noch gerne einen weiteren Tag zur Beobachtung dortbehalten. Der plötzliche Zusammenbruch der Kommissarin und ihre Verwirrtheit geben ihm zu denken. Da auf den CT-Aufnahmen jedoch keine innere Verletzung und kein sonstiger körperlicher Schaden zu erkennen sind, will die willensstarke Frau so schnell wie möglich das Spital verlassen. Sie wartet voller Ungeduld auf ihren Kollegen, den sie vor einer halben Stunde angerufen hat.

      »Clas hat mir versprochen, mich abzuholen. Wo bleibt er dann jetzt so lange?« Inge befindet sich im Eingangsbereich der Klinik und schaut auf ihr Handy. Es ist inzwischen bereits Nachmittag, da sich die Untersuchung durch den Arzt länger als gehofft hingezogen hatte. Anschließend dauerte das Prozedere mit der Entlassung, weshalb sie kein Mittagessen mehr bekommen hat. Ihr Magen knurrt, was sie als Zeichen wertet, gesund zu sein, trotzdem sollte Clas hoffentlich bald hier eintreffen. Oder hat er ihr eine Nachricht geschickt und sein Versprechen widerrufen? Doch nichts dergleichen ist geschehen. Sie hält das Smartphone in der linken Hand und läuft unruhig hin und her. Hinsetzen möchte sie sich nicht. »Ob ich ihn noch einmal antelefoniere?«, überlegt sie nicht zum ersten Mal. Das macht sie dann jedoch nicht. Er hat in ihrem Telefonat zwar nur mit: »Ok, komme«, geantwortet, aber das schiebt sie darauf, dass er in einem Gespräch mit Kollegen gewesen sein wird.

      Plötzlich klatscht sie sich beinahe mit der Rechten vor die Stirn. Sie bremst zum Glück die Bewegung ihrer Hand. Mit dem geschienten, kleinen Finger wäre das nicht unmöglich, doch das Resultat wären vermutlich erneute Schmerzen. Und die möchte sie lieber vermeiden. Ihr ist abrupt bewusst, dass ihr Anruf zwar nach der üblichen Mittagspause erfolgte, dennoch konnte sich der Kollege in einer Lagebesprechung befinden.

      »Clas Hinnerk. Anstatt hier auf dich zu warten und dumm herumzustehen, hätte ich mir ein Taxi ruf…«

      Sie hat den Satz noch nicht vollendet, da hält ein Auto vor dem Eingang des Krankenhauses. Es ist ein Dienstfahrzeug der Kriminalpolizei. Kurz darauf eilt der soeben gedanklich Gescholtene durch die sich automatisch öffnende Glastür.

      »Es tut mir leid, Inge. Aber es ging wirklich nicht schneller. Es gibt möglicherweise einen neuen Fall, zu dem ich dich gern hinzuziehen würde, wenn du nicht verletzt wärst.«

      »Worum geht es? Und jetzt bitte keine Rücksichtnahme auf die läppischen Blessuren. Ich fühle mich voll einsatzfähig!«

      »Du magst das derart einschätzen, unser Chef ist dagegen anderer Ansicht. Du wirst krankgeschrieben und musst zuhause bleiben.«

      »Wie das?« Die Kommissarin blickt den Kollegen erstaunt an. »Das Krankenhaus stellt mir keine Dienstunfähigkeit aus. Wenn ich nicht zum Hausarzt gehe, der sich übrigens in Stralsund befindet, wer soll mich da krankschreiben? Außerdem wäre das ohnehin lediglich eine Empfehlung, der ich nicht folgen muss!«

      »Solltest du dir in Wismar noch keinen Arzt gesucht haben, wird es jetzt aber Zeit. Wegen einer Krankheit von hier bis kurz vor Rügen zu fahren, ist eher umständlich.«

      »Das ist ja wohl nicht deine Sache!« Inge zieht eine Schnute. »Zurück zu meiner Dienstfähigkeit. Wir sind im Kommissariat chronisch unterbesetzt. Da müsste unser Chef doch froh sein, falls ich trotz dieser Lappalie zum Dienst antrete. Nicht jeder ist dagegen, sich ohne Grund auf die faule Haut zu legen.« Ihre Stirn ist gekraust und dahinter ziehen offensichtlich dunkle Wolken auf.

      »Jetzt komm zuerst ins Auto«, versucht Clas ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen. »Dann reden wir in Ruhe darüber.« Er will ihr beim Einsteigen helfen und die Tür aufhalten. Doch das verhindert Inge mit einem bitterbösen Blick.

      »Ich schaffe das schon. Du musst mich nicht bemuttern!« Auf seinen erstaunten Gesichtsausdruck hin, schiebt sie schnell ein »Danke« hinterher, dass ihren schroffen Ausspruch herunterspielen soll.

      Sobald beide im Fahrzeug sitzen, startet Hauptkommissar Hinnerk den Motor und fährt ohne eine Erwiderung los.

      Die Fahrt vom Hanse-Klinikum zum Kommissariat dauert mit dem Auto etwa zehn Minuten. Die sind zur Hälfte vorbei, da lenkt die Kommissarin ein.

      »Clas, bitte entschuldige mein Verhalten. Ich war wegen unseres Chefs aufgebracht. Das hat mich derart geärgert, dass ich mit der Wut irgendwohin musste. – Ich kann mit dieser lächerlichen Schiene am kleinen Finger auf jeden Fall einen ordentlichen Dienst verrichten. Warum sollte das nicht zulässig sein?«

      Ihr Kollege nickt und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

      »Ich habe mir schon gedacht, dass du nicht auf mich sauer bist. Aber bedenke bitte dies: Du weißt, dass unser Chef große Stücke auf dich hält. Erst heute Morgen hat er, mit Bezug auf den Bericht über den vermeintlichen Handtaschenraub, dein analytisches und logisches Vorgehen lobend herausgestellt …«

      Inge unterbricht ihn. Janus terBeek, der Leiter des Kommissariats in Wismar, ist ein altgedienter Kriminalkommissar und seinen Kollegen stets ein fairer Vorgesetzter.

      »Trotzdem zieht er mich von meinen Aufgaben ab?«

      Sie wirft von der Seite wütende Blitze auf Clas. Der konzentriert sich auf den Verkehr und hebt eine Hand. Damit fordert er sie auf, ihm zuzuhören.

      »Das hat lediglich versicherungstechnische Gründe. Sollte dir bei der Ausübung einer Dienstaufgabe, oder auf dem Weg zur Dienstelle und zurück, ein körperlicher Schaden entstehen, könnte ihm die Dienstaufsicht daraus einen Strick drehen. Er hat noch zwei Dienstjahre vor sich, bevor er in Pension geht. Da will er es sich auf dieser letzten Etappe nicht mit seinen Vorgesetzten verscherzen. Er argumentiert zu recht damit, dass er eine Fürsorgepflicht uns allen gegenüber hat. – Aber jetzt etwas anderes.« Der Kommissar wirft einen aufmunternden Blick auf seine beharrlich wütend blickende Kollegin. »Da er weiß, dass unsere Zusammenarbeit bisher gut funktioniert, hat er mir im Anschluss an die Lagebesprechung in einem Vier-Augen-Gespräch gestattet, dich beratend in den neuen Fall einzubeziehen. Das soll derart erfolgen, dass wir uns telefonisch kurzschließen und Ermittlungsergebnisse über Videokonferenzen besprechen. – Da du einerseits von der Klinik in deine Wohnung