Norbert Wibben

SPQR - Der Fluch der Mumie


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auf, wie der Himmel nach einem kräftigen Gewitterschauer. Wenige Momente später strahlt sie, wie heller Sonnenschein.

      »Das hat unser Chef …? Er ist doch ein Guter!« Sie blickt versonnen zu Clas hinüber. »Aber jetzt zum Fall. Worum geht es und welche Erkenntnisse gibt es bisher? Dass wir nicht zum Kommissariat oder zu mir fahren, habe ich inzwischen gemerkt. Dann wärst du kaum am Hafen und dem Wassertor vorbeigefahren. Wo liegt das Ziel?«

      »Auf der Insel Poel. Ob das wirklich ein Fall ist, muss sich noch zeigen.«

      »Warum? Gibt es irgendwelche Zweifel?«

      »Dort wurde eine ältere, verwirrte Frau aufgefunden. Das wäre nicht unbedingt eine Aufgabe für uns. Das Seltsame dabei ist, dass ein Nachbar auf die Anwesenheit der Kripo bestanden hat. Das äußerte er dem Arzt gegenüber, der die vermutlich an Demenz Leidende behandelte. Er hatte gestern ein längeres Gespräch mit ihr, nachdem sie zuvor auf der Polizeistation in Kirchdorf gewesen ist. Das hatte sie sehr aufgeregt. Er wollte sich am folgenden Morgen überzeugen, ob es ihr gut ginge. Sie öffnete jedoch nicht auf sein Klingeln. Da er wusste, dass sie bereits am Vortag eingekauft hatte, wunderte er sich zwar, doch möglicherweise war sie trotzdem zum Bäcker gegangen. Um die Zeit, zu der sie ihren üblichen Mittagsschlaf beendet, schaute er erneut nach ihr. Du wirst es kaum glauben, aber das war so etwa gegen elf Uhr dreißig. Aber auch dieses Mal blieb die Haustür zu. Nun ging er um das Haus, um sie im Garten zu suchen. Dort hat er sie in dem kleinen Schuppen liegend gefunden. Sie war unterkühlt, völlig verwirrt und brabbelte wirres Zeug.«

      »Dass es auf Poel eine Dienststelle der Polizei gibt, war mir bisher nicht bekannt. – Das von dir Geschilderte klingt eher harmlos. Welchen Grund nannte der Mann denn, weshalb er auf unsere Anwesenheit bestand?«

      »Zu deiner Info: Die Polizeistation ist lediglich an zwei Tagen besetzt, am Dienstagvormittag und gestern, also Donnerstag nachmittags. – Es gibt in der Angelegenheit einen seltsamen Aspekt, den du gleich erkennen wirst. – Auf dem Weg zurück von Wismar, den die Frau in einem Bus des öffentlichen Nahverkehrs zurücklegte, fühlte sie sich verfolgt. Sie spürte in dem Fahrzeug einen stechenden Blick auf sich gerichtet, wie sie dem Nachbarn berichtete. Sie hatte einen versuchten Handtaschenraub überstanden und war der festen Überzeugung, der verhinderte Dieb würde ihr folgen. Sie vermutete, dieser ausländische, junge Mann, wartete nur auf eine günstige Gelegenheit für einen neuen Versuch, so drückte sie sich aus. Sie meinte, allein durch seine Anwesenheit im Bus bedroht zu werden. Sie hoffte, auf der Polizeistation, anders als von der im Kaufhaus zu Hilfe gerufenen Polizei, ernst genommen zu werden. Deshalb suchte sie die Dienststelle in Kirchdorf auf und erstattete dort eine Strafanzeige. Das habe ich in dem Telefonat mit dem Nachbarn herausbekommen.«

      Mit einem schnellen Seitenblick forscht er nach einer Reaktion in Inges Gesicht. Die bleibt nicht aus. Ungläubiges Erstaunen drückt sich auch in ihrer Frage aus.

      »Sie konnte es also nicht lassen? Dabei hatte ich ihr dringend abgeraten, eine Anzeige zu erstatten.«

      »Aha. Dann habe ich richtig vermutet. Diese Frau …«

      »Annegret Heil«, ergänzt Inge.

      »… genau, so heißt sie. Sie ist demnach diejenige, weshalb du zum Kaufhaus gerufen wurdest. Das hatte ich mir nach dem Durchlesen deines Berichtes gedacht. – Wie schätzt du es ein, könnte Murat Osakin ihr gefolgt sein? Welchen Eindruck hattest du von ihm, wäre das denkbar?«

      »Für seine Anwesenheit im Bus kann es verschiedenste Gründe geben, die nichts damit zu tun haben, was diese Frau vermutet. – Er studiert als ausländischer Student ein Semester im Austauschprogramm. Ich glaube ihm, dass er durch den Einkaufstrolley beinahe zu Fall gebracht worden ist. Das haben auch diverse Zeugen bestätigt. – Die gute Frau hat sich offenbar total in ihre Abneigung Fremden gegenüber verstiegen! Warum sollte er sie verfolgt haben? Dass er einen erneuten Raub versuchen wollte, halte ich für ausgeschlossen. Das kann ich mir nach meinem Eindruck von ihm nicht vorstellen. Ist es nicht eher wahrscheinlich, dass er einfach den gleichen Bus genommen hat? Annegret Heil hat sich vermutlich unnötig geängstigt.«

      »Das werden wir hoffentlich klären. – Was studiert dieser junge Mann denn? Und woher stammt er?«

      »Das ist doch unerheblich!«

      Inges Antwort klingt energischer als von ihr gewollt. Sie denkt kurz an die Aussage der Frau von gestern zurück, die offensichtlich ein Vorurteil gegen Fremde hat.

      »Ich bin heute wohl noch nicht so richtig auf dem Damm«, entschuldigt sie sich sofort. »Annegret Heil hat vermutlich ein Problem mit Ausländern, so sieht es für mich jedenfalls aus. Und das habe ich dir unbewusst auch unterstellt … Bitte vergiss das. Sie war wortwörtlich der Meinung, dass Täter von der Polizei geschützt würden, anstatt diese außer Landes zu verweisen. – Ich habe Murats Ausweis gesehen, er stammt aus Ägypten. Er studiert an der Hochschule Wismar ein Semester im Studiengang Verfahrens- und Umwelttechnik.«

      »Die betreiben auf Poel eine Außenstelle. Da wäre es doch denkbar, …«

      »… genau, dass er mit dem Bus auf die Insel fahren musste. Falls er kein Auto oder Fahrrad besitzt.«

      »Anwar! Wach auf!«

      Ein junger Student richtet seine zusammengesunkene Gestalt auf. Er reibt sich erschrocken die Augen und blinzelt in helle Sonnenstrahlen. Aus dieser Aura strahlenden Lichts tritt ein älterer Mann in weißem Kittel auf ihn zu. Der Laborleiter des Außeninstituts der Wismarer Hochschule, Arnulf Mirkow, grinst den aufgeschreckten Jüngling mit erhobenem Zeigefinger an.

      »Du hast vermutlich eine anstrengende Nacht hinter dir. Oder welchen Grund gibt es sonst dafür, dass du mitten in einem Versuch einschläfst?«

      Der Student sucht angestrengt nach einer Erklärung. Dass er einen durchzechten Abend verbracht haben könnte, wäre eine Möglichkeit. Doch das könnte er nicht mit seinem Glauben vereinbaren. Dem freundlichen Laborleiter die Wahrheit zu gestehen, und von der Ursache des schlechten Schlafs zu berichten, erscheint Anwar jedoch keine erstrebenswerte Alternative zu sein. Deshalb nickt er nur und stellt eine schuldbewusste Miene zur Schau.

      »Ich habe einfach nicht geschlafen«, antwortet er in recht gutem Deutsch. Arnulf Mirkow lächelt verstehend und schlendert weiter zu den anderen Versuchsaufbauten.

      Anwar studiert an der Hochschule Wismar ein Semester als ausländischer Student im Austauschprogramm. Er führt im Studiengang Verfahrens- und Umwelttechnik auf dem Gelände des Lehr- und Forschungsstandortes Malchow Versuche durch. Das befindet sich auf der Insel Poel. Hier sammelt und untersucht er zusammen mit anderen Studierenden Pflanzen des Strandbewuchses. Dazu gehören ebenso angespülte Algen, die getrocknet zu Dämmmaterial für Häuser verarbeitet werden sollen. Seegras konnte sich inzwischen zu einem zugelassenen und zertifizierten Dämmstoff mausern, warum nicht auch weitere Gewächse?

      Anwars Gedanken driften kurz ab. Es war in der ersten Woche nach seiner Ankunft in Wismar gewesen. Er hatte sich zu einer Sammelaktion gemeldet, obwohl noch Semesterferien waren. Er brannte darauf, schnellstmöglich mit seinen Forschungen zu beginnen. Um sich mit anderen Studenten austauschen zu können, beabsichtigte er, sein Deutsch zu verbessern. Die Alternative, sich über Englisch zu unterhalten, wäre zwar möglich, aber für seinen Aufenthalt in diesem Land vermutlich nur in der Hochschule oder dem Außeninstitut angebracht. Anwar wollte sich im täglichen Leben, bei Einkäufen und auch sonst in seiner Freizeit, in der Landessprache verständigen können. Weil sich sein Äußeres mit einer nur unwesentlich dunkleren Hautfarbe kaum von den Einheimischen unterscheidet, will er nicht durch seine Sprache auffallen. Er hatte in der Vergangenheit darüber berichten hören, dass es in manchen Landesteilen durchaus Fremdenfeindlichkeit gibt. Ihm ist das bisher nicht widerfahren. Er fühlt sich vielmehr in der Küstenstadt und nicht nur von den anderen Studenten, herzlich aufgenommen, zumindest von den meisten.

      Anwar richtet seine Gedanken zurück auf seine Ankunft. Der Winter war angeblich äußerst mild, doch ihm kam es so vor, als wäre er am Nord- oder Südpol gelandet. Jedenfalls stellte er sich die Temperaturen dort so ähnlich wie die zu diesem Zeitpunkt an der Küste der Ostsee