Norbert Wibben

SPQR - Der Fluch der Mumie


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versetzt. Szenen vergangener Tage blitzten auf. Er besuchte damals zusammen mit dem Vater die Ausgrabungsstätten im Tal der Könige. Er erinnert sich, dass er versuchte, einen Hügel hinaufzukommen. Das war wegen des rutschigen Untergrundes unmöglich.

      Er schüttelt unbewusst den Kopf. Dass diese Bilder die Ursache für seine schlechte Nachtruhe sein könnten, leuchtet ihm nicht ein. Das sind glückliche Jahre gewesen, warum sollten sie heute seinen Schlaf beeinträchtigen? Begann das nicht erst im Anschluss an einen Besuch in einem Museum in Berlin?

      Anwar runzelt die Stirn und versucht, sich an jedes Detail zu erinnern. Er hatte etwa vier Wochen nach Beginn des Wintersemesters an einer Exkursion dorthin teilgenommen. Sie war vom Studentenwerk besonders für die ausländischen Gaststudenten organisiert worden. Sie besuchten damals, es war Ende Februar, eine Ausstellung zu den Pharaonen Ägyptens. Obwohl er selbst von dort stammt, weckte das sofort sein Interesse. Das galt jedoch nicht so sehr der Historie, sondern vielmehr, was in einem anderen Land über die ehemaligen Herrscher berichtet wird. Er bewunderte die Büste der Nofretete, die offenbar der unangefochtene Star des Neuen Museums ist. Sie wurde um 1340 v. Chr. gefertigt und farbig bemalt.

      Aber sie kann nicht der Grund für seine Träume sein. Ob das möglicherweise mit dem Skarabäus zusammenhängt, den er auffing? Ein anderer Student war gegen eine Stele gestolpert, wodurch diese umkippte und eine Glasvitrine zerschlug. Das war sein ebenfalls aus Ägypten stammender Mitstudent Murat gewesen. Der Herzskarabäus wurde dadurch herausgeschleudert und wäre auf dem Steinfußboden vermutlich in viele Stücke zersprungen, wenn Anwar ihn nicht geschickt aufgefangen hätte. Er erinnert sich, dass er in dem Moment, als seine Finger in Kontakt mit dem Gegenstand kamen, ein heftiges Kribbeln spürte. Es wirkte fast so, als ob das Kunstwerk leben würde. Ob das daher rühren mag, dass das Artefakt dem Toten neben die Stelle seines natürlichen Herzens gelegt wurde, wie der Student weiß? In dem Fall ist auf der Unterseite ein Spruch aus dem Totenbuch verzeichnet. Der soll verhindern, dass das Organ den Verstorbenen vor dem Totengericht verrät. Doch das konnte er nicht überprüfen, da der ausgelöste Alarm sofort Wachen herbeigerufen hatte.

      Anwar schüttelt sich kurz und richtet seine dunklen Augen auf den Versuchsaufbau. Er ist durch eine Abdeckung aus Sicherheitsglas davon getrennt. Hat er jetzt den wichtigen Zeitpunkt versäumt, auf den er seit Tagen hingearbeitet hat? Er wollte die Entflammbarkeit des neuen Materials testen. Es ist eine Mischung aus Fasern von Braunalgen und Seegras. Er atmet erleichtert auf. Die Probe des neuentwickelten Dämmstoffes zeigt keine Brandspuren. Sollte dieser den Brennbarkeitstest wohlbehalten überstanden haben?

      Er richtet seinen Blick auf die Kamera, die den Versuchsablauf aufzuzeichnen und zu dokumentieren hatte. Er schaut auf den damit verbundenen Laptop. Ja, es stimmt, es wurde eine Sequenz von etwa dreißig Minuten Länge festgehalten. Jetzt ist er gespannt, was er in den Aufnahmen sehen wird. Der Versuch sollte zeigen, ob die Probe einer direkt auf sie gerichteten Flamme widerstehen kann. Das Feuer des Gasbrenners war von ihm gezündet worden, daran erinnert er sich noch genau. Anschließend hatte er den Feuerstrahl so justiert, dass er auf den Dämmstoff traf und ihn einhüllte. Kurz danach musste er eingeschlafen sein. Die Gaszufuhr wurde nach Ablauf der vorher eingestellten Brennzeit unterbrochen, oder konnte die Flamme durch einen technischen Fehler erloschen sein? Wenn Anwar auf den aufgezeichneten Bildern den Beweis sieht, dass die Materialprobe dem Feuer wie gefordert ausgesetzt gewesen ist, kann er den Versuch als erfolgreich abgeschlossen betrachten.

      Der Student jubelt innerlich. Ein Material mit derart günstigen Eigenschaften wird in der weltweiten Bauwirtschaft reißende Abnahme finden. Und er kann mit Stolz berichten, bei der Erprobung mitgeholfen zu haben. Voller Vorfreude schaut er zufrieden zu Murat Osakin hinüber, der einige Tische entfernt einen Test zur Feststellung der Reißfestigkeit des neunen Materials aufgebaut hat. Der sitzt grübelnd davor und wirkt leicht abwesend. Woran mag er denken? Ob er ebenfalls ein positives Resultat verzeichnet hat und die daraus resultierenden Möglichkeiten abwägt?

      Anwars Blick schweift zu den anwesenden Studenten, die Versuche an diesem oder weiteren neuen Materialien durchführen. Er bleibt an Gernot Schramm hängen, der gelangweilt aus dem Fenster schaut. Er ist dabei, seine Bachelorarbeit zu erstellen. Den anderen Studierenden gegenüber ist er hochnäsig und wenig hilfsbereit. Das betrifft besonders die ausländischen Gaststudenten. Er ist stolz darauf, im Anschluss an das Studium im Architekturbüro seines Onkels zu arbeiten. Er gibt sogar auf Partys an, sehnsüchtig von Albert Schramm Senior, wie er diesen mit herausgedrückter Brust nennt, erwartet zu werden. Sie werden nach seinen Worten angeblich den Häuserbau revolutionieren und Wohneinheiten für entsprechend zahlungskräftige Kunden anbieten.

      Anwar schüttelt den Kopf. Mit Ende dieses Semesters wird er in seine Heimat zurückkehren. Was kümmert ihn da das Verhalten eines offenbar verwöhnten Studenten? Viel wichtiger ist ihm, zu klären, ob er die Erfahrungen mit dem neuen Material möglicherweise auf andere Pflanzenfasern übertragen kann. Er nimmt sich vor, die notwendigen Aufbereitungsverfahren bei verschiedenen Gewächsen zu probieren. In Ägypten wächst Seegras nur an wenigen Küstenabschnitten. Er überlegt, ob die gesammelten Erkenntnisse nicht ebenso auf weitere Wasserpflanzen und Algenarten übertragbar sind. Darüber hat er mehrfach mit Murat diskutiert. Sie sind sich einig, dass es dazu bisher keine entsprechenden Untersuchungen gibt. In der Heimat wollen sie gemeinsam eine Firma gründen, um ihr Wissen nicht nur anzuwenden, sondern auch weiterzugeben.

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