Norbert Wibben

SPQR - Der Fluch der Mumie


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vermag. Er ist Tierarzt, der sich auf Vögel spezialisiert hat und zudem ein in der Fachwelt geschätzter Ornithologe. Auch wenn er unseren Freund nicht so gut wie wir kennt, wird er sein Verhalten möglicherweise erklären können. Er kann sicher abschätzen, ob Raben so etwas wie Langeweile kennen. Das wäre eine mögliche Erklärung für seine längere Abwesenheit.«

      Jetzt erläutert Emma doch noch, weshalb sie in der Pause mit den Gedanken woanders gewesen ist.

      »Sobald ich zuhause bin, werde ich diesen Anwarwenn anschreiben. Zuerst möchte ich seine Anschrift erfahren, um einen Täuschungsversuch ausschließen zu können. Wenn sich dadurch keine Person ermitteln lässt, sollten wir unsere Zeit nicht mit diesem Fall vergeuden. – Ich werde außerdem noch einmal meine Fotos von den Ausgrabungsstätten in Ägypten durchsehen. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dort unbewusst etwas mitbekommen zu haben.«

      »Worum geht es denn?«, versucht Britta herauszubekommen. »Du hattest uns nach der Rückkehr deine Aufnahmen gezeigt, ohne dabei ein besonderes Ereignis zu erwähnen.«

      »Das gab es auch nicht«, grübelt Emma. »Oder anders gesagt, es war mir da noch nicht bewusst. Trotzdem blitzte irgendetwas in meinem Kopf auf, als ich die E-Mail-Adresse sah und sofort an Tutanchamun dachte. Hm. Ich bekomme es aber nicht zu fassen.«

      »Versuche nicht, die Gedanken mit Gewalt aufzurufen«, rät Luke. »Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das selten hilft. Solltest du jedoch an etwas anderes denken, hast du urplötzlich das vor Augen, wonach du vorher verzweifelt gesucht hast.«

      »Das weiß ich auch«, begehrt das Mädchen auf. »Deshalb hoffe ich, schnell Kontakt zu diesem Anwarwenn aufnehmen zu können. Falls das ein echter Name ist, finde ich möglicherweise auch einen Hinweis bei der Suche im Internet. Womöglich löst sich dabei gleichzeitig der Knoten in meiner Erinnerung. – Wann sollen wir uns treffen?«

      »Es ist gut, dass wir heute schon nach der siebten Sunde frei haben«, beginnt Luke. »Könntet ihr gegen sechzehn Uhr bei mir sein? – Gut. Dann bis später.«

      Mit einem kurzen, forschenden Blick zum Himmel stellt er enttäuscht fest, dass Remus ihn nicht von der Schule abholt. Das ist früher manches Mal geschehen, doch er kann die schwarze Silhouette heute nirgends entdecken.

      Der Junge winkt zum Abschied. Er startet sein Mofa und fährt knatternd los. Britta und Emma gehen zu Fuß. Sie trennen sich nach dem Verlassen des Schulhofs, um zu ihren Wohnungen in der Speicherstraße und in der Wasserstraße zu gelangen. Die befinden sich von der Schule aus in unterschiedlichen Richtungen.

      Kriminalkommissarin Inge Husmann ist noch relativ jung. Durch die Zusammenarbeit mit Clas Hinnerk hat sie jedoch gelernt, welches Vorgehen in einem Kriminalfall erfolgversprechend ist. An vorderster Stelle steht, die Fakten unvoreingenommen zu sammeln. Das bedeutet, sie beim Feststellen nicht sofort auf ihre Wichtigkeit hin zu bewerten. Nach einer Tatortbesichtigung und Durchsicht aller Umstände, können sie im Gesamtbild eine völlig andere Wertigkeit erlangen. Das ist unabhängig davon, um welch ein Delikt es sich handelt. Dennoch erstaunt es die Beamtin, zu einem Fall wie diesem gerufen zu werden. Warum sollte die Kriminalpolizei zur Aufklärung eines einfachen Handtaschenraubs hinzugezogen werden? Zumal der offensichtliche Dieb bereits festgenommen werden konnte.

      Sie schaut kurz bei ihrem älteren Kollegen vorbei, doch dessen Büro ist leer. Könnte er auch zu dem »Tatort« gerufen worden sein? Dass gleich zwei Kriminalkommissare angefordert werden könnten, hält sie jedoch für mehr als unwahrscheinlich. Nein, Clas wird in einer anderen Angelegenheit unterwegs sein.

      Inge Husmann verlässt den ersten Stock und wendet sich im Erdgeschoss zum Ausgang in den Innenhof. Die dort stehenden Dienstfahrzeuge können, nach vorheriger Anmeldung, von den Beamten genutzt werden. Sie öffnet die doppelflügelige Tür und läuft Richtung Fahrradstand. Auch wenn sich der auf einem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Areal befindet, gibt es hier verschließbare Boxen, in denen die Räder optimal gegen Diebstahl geschützt sind. Es ist kaum zu glauben, aber bis zur Anschaffung dieser geschlossenen Unterstände kam es tatsächlich immer mal wieder vor, dass ein Zweirad gestohlen wurde. Und das direkt unter den Augen der Polizei! Das beeinflusste die Aufklärungsquote leider nicht. Sie war auch nicht besser als die für die gleichen Delikte im Bahnhofsbereich.

      Die Kriminalkommissarin kommt seit der verbesserten Sicherung des Fahrradunterstandes mit ihrem Sportrad zum Dienst. Da es ein superleichtes Rennrad ist, das jeden neuen Besitzer erfreuen würde, ist Inge Husmann über die Sicherungsmöglichkeit sehr froh. Sie öffnet mit einem Schlüssel das Sicherheitsschloss und setzt den farblich zum Erscheinungsbild des Rads passenden Fahrradhelm auf. Ihre dunklen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haare bilden dabei kein Hindernis. Sie schauen unter dem Helm hervor. Die junge und sportliche Frau hat sich vorgenommen, soweit möglich ihr Fahrrad zur Fortbewegung einzusetzen. Sie will die CO2-Belastung der Umwelt durch die Nutzung eines Dienstwagens vermeiden. Solange das Wetter mitspielt, ist dagegen nichts zu sagen, äußern sich manche Kollegen. Bei Regenwetter sieht das schon anders aus, da ist das kein Spaß mehr. In der Wismarer Bucht weht des Öfteren Wind über die Wasserfläche der Ostsee herein, wobei kurz andauernde Regenschauer durch die Straßen getrieben werden. Den Dienst mit nasser Kleidung anzutreten, kann schnell mit Krankheit enden, winken sie ab. Doch so denken nicht alle und Inge auch nicht. Dafür gibt es geeignete Regenkleidung, die sie in einem abschließbaren Koffer auf dem Gepäckträger verstaut oder im Büro für diesen Fall aufbewahrt hat. Sie verschließt ihre Fahrradbox und fährt los.

      Wenn Clas nicht zu diesem Fall gerufen wurde, und davon geht die Kommissarin aus, was wird sie dann gleich erwarten und wie ist vorzugehen? Sie tritt in die Pedale und sondiert die bereits erhaltenen Informationen. Ein fremdländisch aussehender junger Mann soll versucht haben, einer älteren Frau die Handtasche zu entreißen. Diese war unterwegs, um sich eine neue Sommerjacke für den Frühling zu kaufen und stöberte in den angebotenen Frühjahrsmodellen herum. Da sie dadurch abgelenkt war, hatte das nach ihren Worten verdächtige Subjekt die Gelegenheit genutzt, ihr die Tasche zu stehlen. Auf ihre beherzte Gegenwehr und ihr Geschrei hin, hatten einige Kunden eingegriffen und den verhinderten Dieb bis zum Eintreffen eines Polizisten festgehalten.

      Die herbeigerufene Streife hatte die Aussagen der Frau und des jungen Mannes aufgenommen. Der stellte das Ereignis abweichend von der aufgebrachten, älteren Kundin dar. Er erklärte, über deren Einkaufstrolley gestolpert zu sein, weil der völlig unerwartet in den Gang geschoben worden sei. Um seinen Sturz abzufangen, hatte er nach dem erstbesten Halt gegriffen und dabei den Arm und die Handtasche der Frau erwischt. Er beteuert, keinen Diebstahl beabsichtigt und sich sofort für den Griff entschuldigt zu haben. Doch die Kundin wollte davon nichts wissen und bestand darauf, einen Dieb auf frischer Tat ertappt zu haben.

      Inge schüttelt unwillkürlich den Kopf. Auch wenn sie zugibt, dass ein versuchter Handtaschendiebstahl durchaus denkbar ist, warum sollte der junge Mann das in einem gut besuchten Kaufhaus versuchen? Er musste damit rechnen, auf das Geschrei der Bestohlenen hin schnell an einer Flucht gehindert zu werden. Die Kommissarin schärft sich ein, unvoreingenommen an den Fall heranzugehen. Einen möglichen Täter schon vor Besichtigung des Tatortes freizusprechen passt keinesfalls dazu. Die zunehmende Verwendung von Einkaufstrolleys durch ältere Mitmenschen ist zwar nachvollziehbar, birgt aber durchaus auch Gefahren. Ihr ist es auf dem Wochenmarkt im Gedränge gelegentlich passiert, dass sie um Haaresbreite über ein derartiges Transportmittel gestolpert ist. Daher klingt die Beteuerung des jungen Mannes nicht aus der Luft gegriffen, könnte jedoch ebenso eine geschickte Behauptung sein. Sie schüttelt erneut den Kopf.

      »Du solltest erst vor Ort entscheiden, welche Aussage wahrscheinlicher erscheint. Außerdem gibt es womöglich Zeugen, die den Hergang mitbekommen haben. Da ist es besonders wichtig, deren Beobachtungen festzuhalten, solange sie frisch sind.«

      Sie blickt auf ihre Armbanduhr. Die Meldung erfolgte vor mehr als zwanzig Minuten. Daher scheint es fast unwahrscheinlich, im Kaufhaus noch einige Kunden anzutreffen, die zum Zeitpunkt des Geschehens anwesend waren. So lange wird kaum jemand …

      Urplötzlich dreht sich die Welt um Inge. Der Blick auf ihre Uhr hat sie abgelenkt. Die extrem schmalen Reifen ihres Rennrades sind