Kathrin Noreikat

Die Wohngemeinschaft


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zerknirscht: „Wie oft muss ich mich denn noch entschuldigen?“ Er legte die Zeitschrift zur Seite, die durch den Angriff mit dem Kissen in Mitleidenschaft gezogen worden war.

      „Ich habe die Kontrolle verloren. Es wird nicht wieder passieren“, versprach er.

      Josh stand auf. “Das hoffe ich für uns und vor allem für Kelly. Ich finde nämlich sie duftet erfrischend nach Lavendel und sieht ein wenig wie eine Fee aus, meinst du nicht auch?“

      Aidan verdrehte die Augen und schlug die zerknitterte Zeitschrift wieder auf.

      „Du wirst sicher keinen Hunger haben, aber ich wollte heute Abend für uns kochen. Damit Kelly einen guten Eindruck von uns beiden hat, wäre es klug, wenn du ebenso am Tisch sitzen würdest und wenigstens so tun könntest als ob du etwas essen würdest.“

      Ein Aufstöhnen: „Na gut. Wenn es unbedingt sein muss“.

      „Hier draußen auf der Terrasse“, ruft Kelly.

      Ihre Mitbewohner sind zeitgleich nach Hause gekommen, was selten geschieht.

      Josh hatte seine übliche „Ist jemand zu Hause“-Frage durch das Penthouse gebrüllt und die Wohnungstür geräuschvoll ins Schloss fallen lassen.

      Sein ungestürmtes und temperamentvolles Verhalten war manchmal störend, denn mit seinem Gebrüll hatte er Kelly schon mehrmals aus der Konzentration beim Lernen oder Schreiben gerissen. Wie auch jetzt, obgleich Kelly bei der Hitze nicht behaupten konnte, konzentriert zu sein.

      Sie tippte in ihr Notebook: „Der Künstler pflegte enge Beziehungen zu einigen seiner Auftraggeber. Er war nie verheiratet, hatte aber zu mehreren Frauen...“ als sie jemanden neben sich registrierte. Es war ihr Mitbewohner Aidan.

      Er bewegte sich lautlos und Kelly hatte sein Kommen wie so oft nicht bemerkt.

      Selbst das Betreten der hölzernen Treppe, das ihr untersagt war, war geräuschlos von ihm. Um so geräuschvoller waren Joshs Tritte. Er stampfte morgens um sechs Uhr die Treppe rauf und runter. Meistens ein paarmal hintereinander, denn dauernd vergaß er etwas.

      „Möchtest du Eistee? Die Karaffe steht im Kühlschrank“, bietet Kelly ihrem Mitbewohner an, der in seiner schwarzen Sonnenbrille ziemlich smart aussieht.

      „Nein danke“, leichtes Kopfschütteln.

      Über Aidans sonst ernst wirkenden Gesicht huscht ein Lächeln.

      „Ich vergaß“, erwidert sie „dann bleibt mehr für mich“, und sie kann das Grinsen nicht unterdrücken.

      Wenig später steht er abermals neben ihr und reicht einen Teller mit Stücken einer frisch geschnittenen Melone ihr entgegen.

      „Du solltest bei der Hitze viel Wasser zu dir nehmen“, bestimmt er.

      Kelly ist überrascht und nimmt dankend an. Die frische Melone schmeckt köstlich.

      Die Ess- und Trinkgewohnheiten ihrer Mitbewohner sind sehr unterschiedlich. Ihre Wunschvorstellung einer WG mit täglich gemeinsamen Mahlzeiten wurde nur am ersten Tag erfüllt. Meistens isst die Studentin alleine am langen Esstisch, der sich zwischen Küche und Wohnzimmer befindet. Durch den Schichtdienst von Aidan und aufgrund der zahlreichen Sportaktivitäten von Josh ist dies Alltag.

      Außerdem isst und trinkt Aidan nichts oder zumindest nicht in Anwesenheit anderer Personen. Ob er magersüchtig ist? Das würde jedoch nicht zu seiner Figur passen, da er nicht hager oder dürr ist, sondern eher muskulös.

      Josh hingegen isst für zwei, wobei er nicht übergewichtig ist. Sein Körper ist athletisch und durch das tägliche Joggen trainiert.

      Das bisher einzige gemeinsame Abendessen war an dem Abend als Kelly einzog.

      Sie hatte ihre wenigen Habseligkeiten aus dem youth hostel ins Penthouse gebracht. Das Einräumen in die vorhandenen Schränke war schnell geschehen.

      Anschießend half sie Josh bei der Vorbereitung des „Willkommen-Essens“ wie er es nannte.

      „Ich koche gerne“, erklärte er und goss die Nudeln in ein Sieb ab.

      Josh zauberte ein 3-Gänge-Menue, das Kelly nicht so schnell vergessen würde.

      Einmal, weil es sehr köstlich war. Dann, weil sie vergessen hatte ihren Mitbewohnern mitzuteilen, dass sie Vegetarierin sei.

      Daraufhin musste Josh die zehn Würstchen und fünf Holzfäller-Steaks alleine vertilgen, den Einwand, er könne sie doch morgen noch essen oder gar einfrieren, ließ er nicht gelten. Aidan saß währenddessen gelangweilt am Tisch und kostete weder das Gemüse noch die Mango-Mascarpone-Creme, die es als Nachspeise gab. Auf ihre Frage, ob er denn keinen Hunger hätte, antwortete er: „Ich habe schon in der Krankenhauskantine gegessen.“

      „Das tut er immer, wenn ich koche“, schmatzte Josh mit vollem Mund.

      Um von der Essensfrage abzulenken, wie Kelly vermutete, fragte Aidan sie interessiert:„Was studierst du eigentlich?“

      Kelly spießte ein Stück Tomate auf die Gabel: “Kunstgeschichte. Ich belege des weiteren Kurse in Malerei und Fotografie.“

      „Wie wirst du die Miete bezahlen?“ erkundigte sich Aidan.

      „Ich jobbe im MoMa“.

      Joshs Gesichtsausdruck war ein Fragezeichen.

      Kopfschüttelnd klärte der andere auf: „Das Museum of Modern Art.“

      „Ach so.“

      „Und ihr? Studiert ihr auch?“

      „Nein, wir studieren nicht. Er ist Mathematik- und Sportlehrer an einer Highschool“, Aidan zeigte auf seinen kauenden Mitbewohner.

      Josh schluckte und sagte: „Und Aidan ist ein Herzensbrecher“.

      Jetzt war Kellys Gesicht ein Fragezeichen.

      „Ich bin Kardiologe im St. Andrews Krankenhaus“.

      Nach dem Abendessen machten die drei Bewohner den Abwasch. Es war fast Mitternacht, als die neue Mitbewohnerin gähnend das Licht in der Küche löschte. Der Arzt öffnete die Wohnungstür und war gerade im Begriff, hinaus zu gehen.

      „Du gehst um diese Zeit noch weg?“ fragte Kelly erstaunt.

      Aidan erwiderte: „Ich habe noch eine Verabredung. Gute Nacht Kelly und willkommen in unserer Wohngemeinschaft“, und er zog die Tür lautlos hinter sich zu.

      Ihr fragender Blick zu ihrem anderen Mitbewohner wurde nur mit einem Schulterzucken beantwortet.

      Kellys Glas Eistee ist leer.

      Sie steht auf und will sich in der Küche nachschenken.

      Die Karaffe ist nicht mehr im Kühlschrank, sondern am Mund ihres Mitbewohners Josh. Der letzte braune Schluck Eistee verschwindet soeben darin. Ein Rülpsen folgt.

      „Ich hoffe, der Eistee hat geschmeckt“, ruft sie von der Küche zum Sofa hinüber, auf dem er liegt.

      „Ja, danke.“

      Vor Josh ist im Kühlschrank nichts sicher.

      Er blättert in einem Buch über Wölfe in Nordamerika. Josh liebt Fauna und Flora, denn er liest ständig Pflanzen- und Tierbestimmungsbücher, obgleich er nicht Biologielehrer ist.

      „Hast du gewusst, dass Wölfe meist direkt durch ihren Geruch ihre Beute finden?

      Und seltener durch die Verfolgung frischer Spuren? Sie versuchen sich den Beutetieren dann unbemerkt bis auf geringe Distanz zu nähern.“

      „Nein, wusste ich nicht“, antwortet Kelly beiläufig.

      Ihrem Zimmer gegenüber befindet sich das so genannte Fernsehzimmer. Die Tür steht offen, der breite Flachbildschirm ist schwarz.

      Wo ist Aidan? wundert sich Kelly. Sie kann ihn hier unten nirgends entdecken. Wahrscheinlich hat er sich in die obere Etage zurück