Aurelia Dukay

Heilige und Gesegnete


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Sie doch von den Zucchiniblüten”, sagte der Gemüsehändler dann reserviert, aber freundlich zu Caterina.

      „Ich nehme ein Kilo von den Tomaten.“

      „Aber wieso denn, mögen Sie die Zucchiniblüten etwa nicht, sagen die Ihnen nicht zu, sind sie nicht frisch genug?“

      „Doch, aber ich möchte ein Kilo Tomaten, bitte!“

      „Sie sind nicht von hier, was?“

      „Nein.“

      „Touristin? Aus dem Norden, wie. Das macht dann vier Euro.” Caterina protestierte nicht.

      „Sie kannten die Tote von der Via Garibaldi?“, fragte sie stattdessen forsch.

      Er nickte nur und gab ihr das Wechselgeld. Es war nicht leicht, die hiesigen Anwohner zum Reden zu bringen. Pierinos Blick wanderte zu einer Gruppe von Männern einige Stände weiter.

      „Das ist jemand, der weiß, wie man Probleme löst“, murmelte er. „Fremde, die verstehen uns nicht.“

      Leicht wie Federn flogen die schmeichelnden Worte des Pierino an Caterina vorbei, während ihr Blick die Männer in der Ferne fixierte, die in Anzügen und mit angespannten Gesichtern vor einem Obststand Halt machten. Sie beschloss, keine Limoni mehr zu kaufen und in Richtung der Männer zu gehen. Doch das vom heruntertropfenden Wasser der Fischverkäufer glitschige Kopfsteinpflaster war nicht der ideale Untergrund für die Ledersohlen ihrer hochhackigen Sergio-Rossi-Schuhe, sodass sie das Gleichgewicht verlor und mit aller Wucht auf ihrem Hintern landete.

      Die beiden Jungs, Del Piero und Buffon, unterbrachen schlagartig ihr Spiel, gefroren in einem Ausdruck des Erstaunens mit aufgerissenen Augen, um dann in schallendes Gelächter auszubrechen.

      Aus der Menschentraube brach ein junger Anzugträger mit schulterlangem schwarzem Haar aus, um der fluchenden Kommissarin aufzuhelfen.

      „Ist alles in Ordnung, brauchen Sie einen Arzt“, fragte der Mann, der um die zwanzig sein mochte.

      „Ja, vielen Dank, ich meine: nein“, sagte Caterina noch etwas

      benommen.

      Die gaffenden Menschen gingen wieder ihren Beschäftigungen nach, die sie aufgrund des Sturzes für einen Atemzug unterbrochen hatten, während eine peinlich berührte Kommissarin etwas wacklig vor ihrem Helfer stand.

      „Sie lassen ja die Heiligen vom Himmel plumpsen“, scherzte er.

      „Normalerweise fluche ich nicht so“, sagte sie verlegen.

      Er lächelte freundlich und vergewisserte sich erneut, ob ihr nichts fehlte. In seinen Augen las sie eine geduldige Gefügigkeit, die er stumm hinzunehmen schien.

      „Rico, kommst du, wir müssen gehen“, rief eine gereizte Stimme aus der Menge von Leibwächtern.

      „Ich muss los, Ihnen noch einen schönen Tag. Und achten Sie auf die Pflastersteine, die trocknen hier nie“, sagte der junge Mann und rannte eifrig zum Gemüsestand und der sich fortbewegenden Menschentraube zurück.

      Leise vor sich hin schimpfend humpelte Caterina zurück zu ihrem Auto, der beige Rock war hinüber und ein zunehmend pochender Schmerz erschwerte ihr das Denken. Sonst wäre ihr wahrscheinlich aufgefallen, dass es doch etwas seltsam war, dass sich ein hochrangiger Politiker samt schmieriger Eskorte in der Nähe des „Unfallorts“ befunden hatte. Nur ein Zufall? War er auf Stimmenfang angesichts der anstehenden Wahlen in zwei Monaten, oder gab es vielleicht doch einen verborgenen Zusammenhang? Der Schlüssel könnte in dem schwarzen Notizbuch liegen, aber weiter konnte ihr von Schmerz benebeltes Hirn nicht denken.

      Ächzend und stöhnend stieg sie ins Auto, als ein penetrantes Pfeifen sie davon abhielt loszufahren.

      „Halt“, brüllte eine Stimme und ein Mann in abgetragenen Kleidern näherte sich.

      „Das mach zwei Euro.“

      „Wofür?“

      „Dafür, dass ihr Wagen noch hier steht und ich Ihnen beim Ausparken helfe.“

      Diese selbsternannten Parkwächter waren zu einer Plage geworden.

      Caterina zückte das Portemonnaie aus der cremefarbenen Tasche und zeigte ihre Marke.

      „Commissario – aber für Sie mache ich doch eine Ausnahme.“ Wie ein geölter Blitz verschwand er in der Menge.

      In dem kleinen Cinquecento kämpfte sich Caterina ihren Weg durch den Mittagsverkehr: Gehupe, rasende Motorräder wirbelten den Sand auf dem heißen Asphalt auf, wütende Menschen empörten sich über die zügellose Missachtung der Regeln, die sie selbst nicht befolgten.

      Und dann die ewige Parkplatzsuche vor der Wohnung. Zum Weggelaufen war das hier! „Tu es für die Karriere“, hatte man ihr gesagt. „Du wirst die jüngste Kommissarin des Landes sein!“ Unsinn, man hatte sie nur aus dem Weg schaffen wollen, um … ah ein Parkplatz, endlich!

      Ihre Wohnung in einem Jugendstilhaus lag in einer Seitenstraße der zentralen Viale Federico II, die so prunkvoll wie sein Namensgeber war, sich aber nicht der gleichen edelmütigen Demut erfreute. Luxusgeschäfte reihten sich aneinander und verdrängten die charakteristischen Boutiquen, um der Stadt nach und nach das anonyme Antlitz einer typischen, vom Konsum gleichgeschalteten Metropole zu verleihen. Wieder war die Stadt erobert worden, diesmal von Weltkonzernen. Trotz der vermeintlichen Wirtschaftskrise, kauften die hiesigen Damen teure Taschen und Uhren, die sie stolz durch die heruntergekommenen Gassen trugen – und zwar mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie sich in der Kirche bekreuzigten.

      Am Abend, wenn die Rollläden heruntergelassen und die Lokale geöffnet waren, versammelten sich Scharen junger, modisch gekleideter Menschen, deren einziges Bestreben es war, aufzufallen. Einheitlich zuckten sie zu lauter Musik, wenn man so etwas überhaupt Musik nennen konnte. Neues Geld floss in Alkohol, Drogen und in den Traum, ins Fernsehen zu kommen.

      Endlich zu Hause, in ihrem zugegeben noblem Appartement, machte sich Caterina daran, die restlichen Kartons auszupacken. Ins Kommissariat würde sie heute nicht mehr gehen.

      Der Nachmittag verging sehr schnell und nach einem leichten Abendessen, die sonnengereiften Tomaten hatten ihr Versprechen gehalten, setzte sich Caterina mit einem Glas Rotwein auf den Balkon. Der Mond schien milchig hinter dem Sandvorhang und offenbarte eine funkelnde Stadt am dunklen Meer. Fischerboote balancierten wie kleine Glühwürmer auf den Wellen. Noch blieb die ganz große Hitze aus, aber der Scirocco sorgte dafür, dass man nicht vor Mitternacht ins Bett konnte, ohne sich - trotz Klimaanlage - in seinem schweißdurchtränkten Laken hin und her zu wälzen.

      Caterina öffnete das Notizbuch der Journalistin und begann darin zu lesen. Die Zeilen waren wie von einem Schulmädchen in einer klaren sauberen Schrift verfasst.

      10. Oktober

       Alles begann genau heute vor einem Jahr. An jenem Tag verspürte ich zum ersten Mal nach dem tragischen Tod meiner Mutter so etwas wie ein vages Glücksgefühl. Mein Herz machte einen Sprung, als hätte es gerade eben begonnen zu schlagen, als ich im Landeanflug die Küste und das tiefblaue unendlich weite Meer vor mir sah.

       Ich hätte diesen Moment vollends genießen können, wäre da nicht dieser dicke Mann auf dem Sitz neben mir gewesen, der sich mit einem weißen Stofftaschentuch die schweißbenetzte Stirn abtupfte und dabei wie ein Pferd schnaufte. Er hatte Panik in den Augen. Ich war auch nicht bereit zu sterben (schon gar nicht neben diesem Typen), aber wenigstens behielt ich die Fassung. Das Flugzeug hüpfte auf und ab wie eine furiose Tangotänzerin. Obwohl sich mir der Magen verdrehte, blätterte ich eifrig den Katalog der Fluggesellschaft, um krampfhaft einer Konversation zu entgehen. Vergeblich.

      „Leben Sie in Dänemark, werden Sie den Urlaub hier verbringen?“, fragte der Dicke und versuchte, durch Ablenkung die Panik zu überwinden.

      „Nein, kein Urlaub. Ich komme zurück, um wieder hier zu leben.“

       Diese Worte aus