Karl Olsberg

Das Dorf Band 22: Verhext


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      Karl Olsberg

      Das Dorf

      Band 22: Verhext

      Copyright 2021 Karl Olsberg

      Published by Karl Olsberg

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      Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

      Alte Militärweisheit

      1. Der Feind

      Der Khan steht am hölzernen Geländer im Obergeschoss seines Turms und blickt hinab auf seine Truppen, die wie jeden Morgen unten auf der Sandfläche zum Appell angetreten sind. Es sind mehr als hundert Männer, jeder mit Armbrust und Schwert bewaffnet, außerdem zehn Reiter auf gewaltigen Kreaturen mit Hörnern – die größte Streitmacht, die er je befehligt hat. Auf jeden Bewohner des verhassten Dorfs am Rand der Schlucht kommen mindestens fünf seiner Leute.

      Und doch ist der Khan noch nicht zufrieden. Schon dreimal hat dieser verflixte Primo ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihn trotz seiner Übermacht geschlagen. Das darf, das wird nicht noch einmal passieren, das hat der Khan bei allen Göttern der Finsternis geschworen. Er wird kein zweites Mal den Fehler machen, seinen Gegner zu unterschätzen. Die Dorfbewohner mögen Schwächlinge sein und nur wenige, aber sie sind gerissen und hinterhältig. Außerdem haben sie einen Golem und diese verflixte Hexe mit ihren Zaubertricks. Zwar kann auch der Khan zaubern, aber bei der letzten Begegnung ist er dennoch überlistet und geschlagen worden.

      Mit Hilfe eines Zaubertranks hat Primo sich damals unsichtbar gemacht, den Khan bedroht und ihn dann mit einem Flugtrank übergossen, so dass er abhob und vom Wind davongeweht wurde. Es war eine Demütigung, die er so schnell nicht vergessen wird.

      Er wurde damals über das Meer hinausgetragen. Als die Wirkung des Flugtranks nachließ, stürzte er ins Wasser und wäre beinahe ertrunken. Doch er konnte sich an Land retten. Es dauerte nicht lange, bis er die Schwachköpfe fand, die damals seine Räubertruppe gewesen waren und ihn so schmachvoll im Stich gelassen hatten. Sie hatten allen Ernstes Häuser gebaut und versucht, als friedliche Dorfbewohner zu leben. Sie besaßen sogar die Unverschämtheit, ihn zu bedrohen, und wollten ihn fortjagen.

      Doch er brauchte nur ein paar Plagegeister zu beschwören, um ihnen klarzumachen, dass er immer noch der Khan war und sie immer noch seine Untergebenen. Er brachte sie dazu, ihr eigenes Dorf niederzubrennen und ihm zu folgen. Seitdem haben sie zahllose Dörfer überfallen, Dorfbewohner entführt und sie gezwungen, in der Armee des Khans zu dienen, die immer größer und mächtiger wurde.

      Doch ist sie schon groß und mächtig genug? Kann er es wagen, das Dorf am Rand der Schlucht erneut anzugreifen? Der Khan ist sich nicht sicher. Besser, er wartet noch etwas ab, überfällt noch ein paar weitere Dörfer, vergrößert seine Armee noch mehr, damit seine Feinde beim nächsten Mal garantiert keine Chance haben.

      Egal, wie lange es dauert, er wird seine Rache bekommen. Er wird dafür sorgen, dass dieser Primo und seine Freunde es bis ans Ende ihres Lebens bereuen, sich jemals dem Khan widersetzt zu haben. Er wird zusehen, wie ...

       Gogoack!

      Ein aufgeregtes Gackern reißt den Khan aus seinen Gedanken. Ein Huhn sitzt plötzlich auf dem Geländer neben ihm. Wie ist es hier hinaufgekommen?

      Genervt will er sich zu seinen Bediensteten umdrehen und ihnen befehlen, das blöde Vieh zu schlachten und zum Mittagessen zu braten. Doch da fällt ihm etwas Merkwürdiges auf: Das Huhn hat violett leuchtende Augen! Sie sehen fast aus wie die eines Endermans.

      Der Khan hasst Endermen. Sie sind unheimlich und stark und man kann sie nicht gefangen nehmen, weil sie sich einfach wegteleportieren können. Aber von einem Enderhuhn hat er noch nie etwas gehört.

      Gogoack!, macht das Huhn erneut und blickt den Khan an. Auf einmal verschwindet die Welt um ihn herum und das violette Leuchten umhüllt ihn.

      Eine heisere Stimme erklingt in seinem Kopf: „Na endlich! Ihr Sterblichen seid wirklich schwer von Begriff!“

      „Wer bist du und was willst du von mir?“, fragt der Khan.

      „Ich bin Artrax, ein mächtiger und unsterblicher Enderman.“

      „Aber du siehst aus wie ein Huhn.“

      „Seine Singularität hat mir die Gestalt eines Huhns aufgezwungen, weil er und seine Anhänger glauben, dass ich so hier in der Oberwelt keinen Schaden anrichten kann. Aber da täuschen sie sich.“

      „Und was willst du von mir? Nenn mir einen Grund, warum ich dich nicht zum Mittagessen braten lassen sollte!“

      „Du kannst mich nicht töten, Dummkopf!“

      Der Khan knurrt vor Wut und versucht, das Huhn zu packen, doch es verschwindet und erscheint im selben Moment oben auf dem Dach des Turms.

      Gogoack Gack Gogogack!, macht es empört. Dann teleportiert es sich zurück auf das Geländer und starrt den Khan mit seinen glühenden Augen an. Wieder versinkt die Welt in violettem Licht.

      „Nenn mich noch einmal Dummkopf und ich reiße dir jede Feder einzeln aus!“, schimpft der Khan.

      „Wie ich schon sagte, kannst du mir nichts tun, Sterblicher. Das solltest selbst du inzwischen kapiert haben. Also hör jetzt einfach mal zu!“

      Der Khan knurrt wütend, schluckt seinen Zorn jedoch herunter.

      „Na schön, was willst du von mir, Huhn?“

      „Ich heiße Artrax.“

      „Also gut, was willst du von mir, Artrax?“

      „Wir beide haben einen gemeinsamen Feind“, erklärt das Huhn. „Ich will, dass du ihn mit deiner Armee angreifst und vernichtest.“

      „Du hast mir gar nichts zu befehlen!“

      „Also hörst du jetzt endlich zu, Dummkopf, oder soll ich mir einen anderen Verbündeten suchen, um gemeinsam mit ihm das Dorf am Rand der Schlucht endgültig dem Erdboden gleich zu machen?“

      Der Khan erstarrt. „Das Dorf am Rand der Schlucht, sagst du? Etwa das mit diesem ekelhaften Primo und der niederträchtigen Hexe Ruuna?“

      „Genau das Dorf meine ich.“

      „Und was hast du mit denen zu tun?“

      „Sie sind schon lange meine Erzfeinde, seit sie mir das Ei des Enderdrachens gestohlen haben.“

      „Ein Enderdrachen-Ei? Was wolltest du denn damit?“

      „Einen Enderdrachen schlüpfen lassen natürlich“, antwortet das Huhn. „Und zwar hier in der Oberwelt, damit er sie vollständig zerstören kann.“

      „Was? Du willst die Oberwelt zerstören? Und dabei soll ich dir auch noch helfen?“

      „Nein, Dummkopf! Ich will nur das Dorf am Rand der Schlucht zerstören, und zwar mit deiner Hilfe. Die Bewohner haben immer wieder meine Pläne durchkreuzt. Ich will Rache, genau wie du. Leider habe ich die Gestalt eines Huhns und kann allein nicht viel bewirken. Deshalb brauche ich einen Verbündeten wie dich.“

      „Ich werde so oder so Rache an Primo und seinen Freunden nehmen“, verkündet der Khan. „Auf die Hilfe eines vorlauten Huhns kann ich dabei gut verzichten. Aber du kannst gern dabei zuschauen, wenn du willst, sofern du mit deinem Gegacker nicht die Dorfbewohner aufscheuchst.“

      „Kein Wunder, dass Primo dich immer wieder geschlagen hat, so überheblich, wie du bist“, gibt das Huhn zurück.

      „Ach ja?“, ruft der Khan zornig. „Und was ist mit dir? Anscheinend haben sie deine Pläne ja mindestens genauso oft durchkreuzt wie meine. Schau dich doch an! Ich wette, dass du jetzt ein Huhn bist, ist Primo zu verdanken!“

      Das violette