Karl Olsberg

Das Dorf Band 22: Verhext


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erschrocken.

      Das Leuchten wird wieder schwächer.

      „Genau das ist der Grund, weshalb wir zusammenarbeiten sollten“, erklärt das Huhn. „Die Dorfbewohner haben dich und mich mehrmals besiegt. Aber wenn wir uns zusammentun, haben sie keine Chance.“

      „Wie könnte mir denn ein Huhn bei meiner Rache helfen?“, fragt der Khan.

      „Wie du vielleicht schon bemerkt hast, bin ich kein gewöhnliches Huhn. Ich kann mich an jeden beliebigen Ort teleportieren und unauffällig ausspionieren, was die Dorfbewohner gerade tun und insbesondere, wo sich Primo befindet. Es hat auch Vorteile, wenn man wie ein Huhn aussieht. Und ich kenne die Dorfbewohner besser als du. Primo mag schlau sein und auch seine Frau Golina und ihre Freunde Kolle und Margi sind nur schwer zu überlisten. Aber da gibt es andere, zum Beispiel den Bauern Kaus, den Fleischer Hakun und den Fischer Olum, die man gut hereinlegen kann. Vor allem der eitle und hochnäsige Dorfpriester Magolus ist leicht hinters Licht zu führen.“

      „Was ist mit der Hexe?“, fragt der Khan. „Sie ist unberechenbar. Denkst du, du kannst sie aus dem Weg räumen?“

      Das Huhn schweigt einen Moment.

      „Hm, das wäre vielleicht möglich“, sagt es nach einer Weile. „Ich glaube, ich habe da eine Idee ...“

      2. Willerts Sorgen

      „Und dann ist das wandelnde Haus losgerannt“, erzählt Primo. „Das war so schnell, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Viel schneller als alles, was es hier bei uns gibt.“

      „Sogar schneller als ein Pferd?“, fragt Nano, der seinem Vater begeistert zuhört, obwohl Primo schon zum hundertsten Mal dieselbe Geschichte erzählt.

      „Viel schneller als ein Pferd“, behauptet Primo. „Sogar noch schneller als ein Pfeil! Die wandelnden Häuser sind so schnell, dass manche wahrscheinlich fliegen können.“

      Golina, die dabei ist, das Geschirr vom Mittagessen abzuräumen, schüttelt den Kopf. Primos Geschichte wird bei jeder Erzählung unglaubwürdiger. Fliegende Häuser, also wirklich!

      „Ich will auch in die Kugelwelt!“, sagt Nano. „Können wir nicht zu Ruuna gehen, damit sie noch mal so einen Kugelwelttrank braut?“

      Das fehlte gerade noch! Golina denkt daran, was sie alles erdulden musste, um Primo wieder zurück in die Wirklichkeit zu holen: Durch riesige, finstere Höhlen irren, sich mit Monstern herumschlagen und mit einem schrecklichen blinden Wächter verstecken spielen, während Primo in der Kugelwelt seinen Spaß hatte.

      „So einfach ist das nicht“, erklärt Primo. „Das war ein Seelentauschtrank. Um damit in die Kugelwelt zu gelangen, musst du neben einem Fremden stehen, der ihn trinkt, so wie ich damals neben Lukas. Aber ich muss zugeben, ich würde auch gern noch einmal dorthin zurückkehren. Zu Anfang war es ziemlich unheimlich und verwirrend, aber auch sehr interessant. Und dann habe ich Lara kennengelernt, die war sehr nett und hat mir geholfen. Vielleicht könnte ich von ihr noch mehr über die Kugelwelt lernen. Zum Beispiel, was ein Komjuta ist und wie die Zauberbilder funktionieren, auf denen man unsere Welt sehen kann. Vielleicht frage ich Lukas das nächste Mal, ob er noch einmal die Seele mit mir tauscht. Dann könnte ich mit Lara ...“

      Golina platzt der Kragen. „Jetzt reicht es mir!“, schimpft sie. „Den ganzen Tag redest du nur von der Kugelwelt und von dieser Lara! Ist dir vielleicht schon mal aufgefallen, dass es auch noch eine richtige Welt gibt und dass du dort eine Frau namens Golina hast?“

      „Bist du etwa eifersüchtig auf Lara?“, fragt Primo.

      „Eifersüchtig? Ich?“ Golina starrt ihn wütend an. „Ich bin nicht eifersüchtig! Außerdem war Lukas auch ziemlich nett, als er in deinem Körper war. Er hat sich riesig gefreut, als ich ihm den Schwertkampf beigebracht habe. Und er hat mir sogar das Leben gerettet, als ein Nachtwandler mich fast erwischt hätte.“

      „Ach ja?“, ruft Primo zornig. „Und was ist mit mir? Dass ich dir schon oft das Leben gerettet habe, zählt wohl gar nicht, was?“

      „Du hast mich nicht öfter gerettet als ich dich“, behauptet Golina und wahrscheinlich ist das nicht mal übertrieben. „Der Unterschied ist nur, dass ich offensichtlich nicht so viel Spaß dabei hatte wie du.“

      „Ach ja? Wenn du eine so tolle Lebensretterin bist, dann kannst du ja die neue Dorfbeschützerin sein!“, ruft Primo.

      „Gerne, solange du dich dann um den Haushalt kümmerst“, gibt Golina schnippisch zurück.

      „Ähem. Komme ich ungelegen?“

      Erschrocken dreht sich Golina um. Willert steht in der Tür. Sie hat ihn gar nicht kommen hören.

      „Tut mir leid“, sagt er. „Ich habe mehrmals geklopft, aber ihr habt mich anscheinend nicht gehört. Deshalb bin ich einfach reingekommen. Ich will nicht stören, aber ...“

      „Du störst nicht“, sagt Golina schnell. „Wir waren sowieso gerade fertig mit unserer, äh, Unterhaltung.“

      „Das stimmt“, gibt ihr Primo recht.

      „Hallo, Onkel Willert!“, ruft Nano freudig. „Wo ist Tante Ruuna? Sie muss mir einen Seelentauschtrank brauen, damit ich in der Kugelwelt mit einem Haus herumfliegen und ganz viele tolle Abenteuer erleben kann.“

      „Deshalb bin ich hier“, erklärt Willert. „Ruuna ist schon eine ganze Weile fort und ich mache mir langsam Sorgen.“

      „Sie ist fort?“, fragt Golina. „Seit wann denn?“

      „Seit zehn Tagen.“

      „Du kennst doch Ruuna“, meint Primo. „Sie ist ein bisschen eigenwillig. Vielleicht hatte sie Heimweh nach dem Sumpf, in dem sie früher gelebt hat. Sie wird bestimmt bald zurückkommen.“

      „Nein, das ist es nicht“, widerspricht Willert. „Ruuna hat vor zehn Tagen Besuch bekommen. Sie hat gesagt, sie muss nur kurz mal weg und ist bald wieder da. Doch sie ist nicht zurückgekehrt.“

      „Besuch?“, fragt Golina. „Von wem denn?“

      „Von einer anderen Hexe“, erzählt Willert. „Sie kam über den Wald geflogen, ist vor unserer Hütte gelandet und die beiden haben eine Weile geredet. Dann hat Ruuna mir gesagt, dass sie nur mal kurz wegmuss, aber dass sie mir nicht sagen kann, wohin. ‚Geheime Hexensache‘, hat sie gesagt und gekichert. Dann hat sie einen Flugtrank getrunken und ist mit der anderen Hexe davongeschwebt. Erst hab’ ich mir nichts dabei gedacht, ich kenne Ruuna ja und weiß, dass sie gut auf sich selbst aufpassen kann. Aber jetzt mache ich mir doch allmählich Sorgen.“

      „Ich will auch einen Flugtrank!“, ruft Nano. „Wenn Birta dann mit mir schimpft, fliege ich einfach weg und strecke ihr die Zunge raus und sie kann mich nicht bestrafen, haha! Kannst du mir einen Flugtrank geben, Onkel Willert? Ich mache auch keinen Unsinn damit, versprochen!“

      „Sei still, Nano!“, schimpft Golina. Dann wendet sie sich an Willert. „Diese andere Hexe, kannte Ruuna die vielleicht von früher, aus der Zeit, bevor ihr euch kennenlerntet?“

      „Ich weiß es nicht“, antwortet er. „Aber es ist möglich.“

      „Soll ich mit dir kommen?“, fragt Primo. „Wir könnten Paul mitnehmen. Vielleicht findet er eine Spur von ihr.“

      „Ich fürchte, das wird nicht klappen“, meint Willert. „Ruuna ist doch mit der anderen Hexe davongeflogen. Solange Paul nicht fliegen kann, wird er wohl keine Spur von ihr finden.“

      „Vielleicht, wenn wir ihm einen Flugtrank geben ...“, überlegt Primo.

      Willert schüttelt den Kopf. „Ich fürchte, das würde nicht funktionieren. Außerdem habe ich keinen Flugtrank. Glaube ich jedenfalls. Es sind noch einige Tränke in Ruunas Zauberlabor, aber ich bin mir nicht sicher, was sie bewirken.“

      „Ich kann die Tränke ja alle mal ausprobieren“, schlägt Nano vor. „Vielleicht ist ja ein Flugtrank dabei.“

      „Das