Anne Wunderlich

Urlaub - jetzt komm ich!


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streichelte mir über die Wange. „Wie stellst du dir das vor, Lena? Ich weiß nicht, ob ich so kurzfristig Urlaub bekomme. Ich kann lediglich morgen meinen Vorgesetzten fragen, aber es wird schwierig.“

      Obwohl ich mit dieser Antwort gerechnet habe, war ich enttäuscht. Ein kurzer Lichtschein am Horizont strahlte mir entgegen, war zum Greifen nah und erlosch wieder. Vernichtet. Zerstört. Genauso wie mein Anstellungsverhältnis. Einfach so. Es machte Schnipp und weg war´s. Wo war der Magier, der das Verschwundene wieder herbeizaubern konnte? Wahrscheinlich, wie alle anderen auch, beruflich unterwegs und eingebunden. Wo auch immer, definitiv nicht hier.

      Der nächste Tag

      Der nächste Tag mit unveränderter Gefühlslage brach an. Michael erlangte definitiv die Kenntnis, dass er kein Frei bekam und somit bestand für mich lediglich die Alternative, den gewünschten Urlaub allein anzutreten.

      Mit dieser Gewissheit machte ich mich auf den Weg in das nächstgelegene Reisebüro.

      Freundlich wurde ich von einer netten Dame, von mir auf Mitte vierzig geschätzt, mit langen, dunkelbraunen Haaren und einer sehr schlanken Figur, empfangen und begrüßt. Nachdem ich ihr gegenüber Platz genommen hatte, bot sie mir einen Kaffee und ein Glas Wasser an. In ihrer Gastfreundlichkeit wollte ich sie natürlich nicht bremsen und meinte: „Sehr gerne. Vielen Dank.“ Prompt stand sie auch schon an dem Kaffeeautomaten und ließ das schwarze Heißgetränk in die Tasse ein. Das Gedeck vervollständigte sie mit einer dekorativen Serviette sowie einem runden Keks und präsentierte es mir anschließend auf einem kleinen Tablett. Dann nahm sie Platz und starrte voller Erwartungen von meiner Person auf ihren Bildschirm und wieder zurück zu mir. Nach einem kurzen Räuspern unterbrach ich den Moment des Schweigens und schilderte ihr mein Anliegen. „Ich möchte irgendwo hin in den Süden, Last Minute, für eine Woche. Der Flug sollte nicht länger als vier Stunden dauern. Das Land ist mir egal, Hauptsache es ist warm, das Hotel liegt direkt am Strand und am Meer. Das Hauptziel der Reise soll für mich Entspannung sein und das ich abschalten kann, aber trotzdem ab und an gut unterhalten werde.“

      Die nette Dame nickte verständnisvoll und meinte: „Sie haben klare Vorstellungen. Das gefällt mir. Ich werde nachschauen, was sich für Sie finden lässt.“

      Ich wartete geduldig und trank genüsslich meinen Kaffee. Schließlich hatte ich keinerlei Stress oder Termin- und Zeitdruck. Auf Arbeit musste ich nicht, Michael war zur Frühschicht und kam erst gegen fünfzehn Uhr nach Hause und somit lebte ich heute ganz unbeschwert in den Tag hinein. Leider auch ohne Ziel. Obwohl, im Grunde genommen hatte ich ein Ziel und zwar ein Reiseziel für mich herauszusuchen und zu buchen. Das war es aber auch schon. Melancholisch dachte ich zurück an gestern um die Zeit, als ich noch im Büro saß, an meinem Schreibtisch, links und rechts neben mir die Aktenstapel, vor mir ein großes weißes Blatt, auf dem ich skizzierte und die Daten anschließend in den Computer eingab. Immer wieder wurde ich von dem Klingeln des Telefons unterbrochen oder von Zwischenfragen und Absprachen mit den Kollegen.

      Bevor ich in Selbstzweifel und Frustration versank, riss mich die Reisekauffrau rechtzeitig aus meinen Gedanken.

      „Hier habe ich genau das Richtige für Sie“, meinte die Dame und drehte ihren Bildschirm in meine Richtung. „Können Sie die Bilder gut sehen?“, fragte sie sicherheitshalber nach.

      Ich blickte gespannt auf den rechteckigen Kasten und nickte.

      „Gut, also ...“, eröffnete sie ihre Erläuterungen und ich lauschte gespannt. Sie unterbreitete mir einige Vorschläge, die sich von meinen vorgegebenen Rahmenbedingungen sehr ähnelten. Meine Wahl fiel auf Tunesien, Monastir. Das Angebot sprach mich vom Preis-Leistungs-Verhältnis her am meisten an. Die einzige Bedingung war, morgen loszufliegen. Diese Prämisse stellte für mich kein Hindernis dar und ich schlug zu. Ich wäre ja schön blöd gewesen, mir den hoteleigenen Sandstrand und das türkisblaue Meer entgehen zu lassen!

      Überglücklich über meinen Entschluss kam ich zu Hause an. „Ich fliege in den Urlaub! Zwar alleine, aber ich fliege. Ab ins Warme! Keine Fragen. Keine Antworten. Kein Nichts. Nur ich und … Urlaub!“, posaunte ich hüpfend durchs Wohnzimmer. Ich freute mich wirklich. Nicht nur über die Tatsache, dass ich der Misere entfliehen konnte oder endlich Urlaub zu haben, sondern darüber, endlich Urlaub zu machen. Zu erleben. So skurril das für einen Workaholic klingen mag.

      Die Chance, in weiter Ferne abzuschalten und zu realisieren, stand im Vordergrund. Zu mir selbst sowie zu einer neuen Aufgabe zu finden, ebenfalls. Mein Plan stand. Nun hoffte ich nur noch, dass dieser glückte. Auf dem Gebiet des Verreisens und alles damit im Zusammenhang Stehende, bezeichnete ich mich eher als Laie. Kaum zu glauben, aber mein letzter Urlaub lag bereits ganze neun Jahre zurück. Abschlussfahrt der zehnten Klasse, wenn man dies überhaupt als Urlaub bezeichnen kann. Seitdem nie wieder. Abgesehen von verschiedenen Wochenendtrips mit Michael, aber diese verbuche ich unter den Begriff Kurztrip. Zugegeben, den Drang arbeiten zu müssen und zu wollen, hat mich oft von einer längeren Erholungsphase abgehalten. Bereits am Wochenende, egal, ob ich alleine oder mit Michael zusammen war, ob wir zu Hause oder in einem SPA-Hotel waren, mich überkam spätestens Sonntagnachmittag eine gewisse Unruhe. Unruhe, der Sucht der Arbeit nachzugehen. Wenn ich dieser Aufgabe nicht nachkommen konnte, stimmte mich das schlecht gelaunt. Missmutig. Ich war genervt und bereits nach kurzer Zeit auch mein Umfeld.

      Natürlich sprang ich nun in ein sehr riskantes Abenteuer. Eine Woche lang Nichtstun. Keine Verpflichtungen. Versuchen, den Gedanken freien Lauf zu lassen. Ein Wagnis für mich. Dennoch überwog die Freude und Lust, mich darauf einzulassen und dem, ich nenne es mal zwangsweißem Dahingammeln zu Hause zu entkommen. Das eine Woche nicht der unendlich lange Urlaub ist und die Welt verändern würde, dessen war ich mir bewusst, aber eine Woche ist länger als zwei oder drei Tage und für mich als Arbeitssüchtige eine halbe Ewigkeit. Und dann noch alleine? Auf einmal wurde ich unsicher. Traute ich mir dies tatsächlich selbst zu? In einem fremden Land, dessen Sprache ich nicht mächtig war? „Oh Gott, jetzt ist alles schon gebucht!“, sprach ich laut aus. „Lena, Du bist eine taffe und selbstbewusste Frau. Was soll denn schon schief gehen?“ Diese Frage konnte ich mir selbst mit „Nichts“ beantworten und zog ein Fazit meiner Zweifel der letzten Minuten: Es wird eine sehr amüsante Erfahrung, sich alleine auf eine Reise mit ungewissen Vorstellungen, Zielen und Kenntnissen zu begeben. Jedoch bin ich auch fest der Meinung, dass mir ausschließlich als Alleinreisende Dinge widerfahren, die ich sonst garantiert nicht erleben würde. Es beginnt bereits mit den Blicken am Flughafen, aber eins nach dem anderen.

      Leider weiß ich bereits jetzt, dass ich die schönen, aber auch negativen Erlebnisse und Momente mit niemanden teilen kann. Abgesehen von der lauernden Tücke des nicht Zurechtfindens. Dies könnte zu einer großen Herausforderung für mich werden.

      Liebe Leser und Leserinnen, sind Sie bereit, alleine zu verreisen und sich somit auf ein spannendes und unterhaltsames Abenteuer einzulassen? Der Gewohnheit zu trotzen und Neues auszuprobieren? Lohnenswerte Erfahrungen zu sammeln, um am Ende des Urlaubs garantiert ein positives Resümee zu ziehen? Ich schon!

      Das soll nicht heißen, dass ich meinen Freund nicht liebend gerne an meiner Seite gehabt hätte, aber selbstverständlich akzeptierte ich, dass er so kurzfristig kein Frei bekam. Abgesehen davon, war ich nur eine Woche weg und nicht Monate oder für immer. Außerdem war ich aus vorbenannten Gründen meiner Überlegungen froh darüber. Selbstfindung funktioniert einfach nicht, wenn ständig mich jemand nicht mich selbst sein lässt! Mit schlechter Laune hätte ich Michael vermutlich die komplette Urlaubsstimmung ruiniert. Genau deswegen ließ er mich alleine in den Urlaub ziehen. Er wusste, wenn er dagegen redet und ich mich ihm zuliebe umentscheide und hierbleibe, ich nur grüble, mich in meinem Bett tief unter die Decke verkrieche und Trübsal blase. Insgeheim hoffte Michael, dass seine Freundin nach einer Woche Distanz nach Hause kommt, die Welt mit anderen Augen sieht, gut gelaunt und motiviert ist. Seine Lena sollte wieder so hergestellt sein, wie er sich in sie verliebt hatte. Tief in meinem Inneren hoffte ich das auch von mir selbst. Somit war meine ganz persönliche Auszeit auch gleichzeitig ein Ansporn an mich selbst. Zeit für mich. Zeit zum Nachdenken, neue Pläne zu schmieden, zum Erholen und Entspannen und es war eine kleine Auszeit von Michael. In gewissermaßen unsere kleine Auszeit voneinander, welche meiner Meinung nach einer Beziehung nie schadet. Im Gegenteil, denn dann bemerkt der Andere, ob und was ihm fehlt