Anne Wunderlich

Urlaub - jetzt komm ich!


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ganz blass im Gesicht, hielt eine Hand auf seinen Bauch und mit der Anderen den Mund. Ich blickte nervös zu ihm rüber. „Soll ich Ihnen die Kotztüte reichen?“, bot ich ihm meine Hilfe an. Mir ist bewusst, dass dies nicht die beste Ausdrucksweise war. Ich hätte auch zu Robert sagen können: „Soll ich Ihnen die braune Papiertüte aus der Sitztasche des Vordermanns reichen, falls sich Ihr Gemüts- und Gesundheitszustand verändert und Sie ein Gefühl der Übelkeit überkommt, welchem Sie nachgehen müssen?“. Diese Variante dauerte eindeutig zu lange. Bis ich die Frage beendet hätte, hätte Robert vermutlich schon auf seinen Schoss gebrochen.

      Er nickte. Ich handelte zügig. Somit zog ich aus der Tasche des Sitzes meines Vordermannes die braune Papiertüte und reichte sie meinem Nebenan. Zügig presste er sie auf seinen Mund und Nase und atmete in sie tief ein und wieder aus. Hans konnte die Situation logischerweise nicht übersehen, so nah, wie wir beieinandersaßen und erhob sich freundlicher Weise. Gut, es war mehr ein hochwuchten und herausquälen, aber immerhin. Nun war der Weg frei. Der junge Mann konnte von seinem Sitz aufstehen und schnurstracks zur Toilette eilen.

      Wenn Hans einmal stand, nutzte ich ebenfalls die Gelegenheit und erhob mich. Somit ersparten wir uns einmal mehr das Hochjagen des Schwergewichts.

      Vor Abflug kam meinem Toilettengang das Boarding in die Quere und mittlerweile drückte mein Hosenbund gewaltig auf meine nunmehr noch vollere Blase. Wenn ich es mir recht überlege, wählte ich keinen guten Zeitpunkt zum Austreten. Ich konnte nur erahnen, was Robert gerade in der Toilette machen würde und welche Gerüche seine Übelkeit mit sich brachten. Und als nächstes sollte ich nun den kleinen Raum ohne Fenster und ohne Raumspray betreten? Keine gute Idee, aber meine Blase sagte mir etwas anderes. Ich kam nicht drum herum. Bis der junge Mann die Tür öffnete, konnte ich mich seelisch und moralisch auf das Bevorstehende vorbereiten, was mich gleich erwarten würde. Warum hatte ich ihn nur vorgelassen? Ich hätte ja schon viel eher auf die Idee kommen können! Aber nein, da muss ich erst warten, bis es meinem Sitznachbar schlecht wird und dann ihm auch noch den Vortritt lassen! Augen zu und durch oder besser gesagt, tief Luft holen, eintreten und solange nicht mehr atmen, bis ich wieder auf dem Gang des Flugzeuges stand. Ja, das war eine gute Strategie. Nun musste ich nur noch geduldig warten, bis Robert die Örtlichkeiten verließ.

      Von hier eröffnete sich eine ganz andere Perspektive des Flugzeuginnenraums und ich fühlte mich für einen kurzen Augenblick als Flugbegleiterin. Regelrecht wichtig, denn nicht nur ich erspähte alles und jeden, auch die Mitfliegenden nahmen mich ins Visier. Erwartungsvolle Aufmerksamkeit sprang mir entgegen. Was war nur mit ihnen los? Was habe ich getan, dass mich Einige so seltsam ansahen? Haben alle denn nichts Besseres zu tun? Kommt gerade nichts Interessantes im Fernsehen? Auch die Bordzeitung kann gelesen werden! Aber nein, anstatt unsere Flugroute auf dem Bildschirm zu verfolgen, verfolgten die Blicke der Passagiere mich. Verschämt schauten die Neugierigen zu Boden oder aus dem Fenster, als sich die entsprechenden Blicke trafen. Gut so, warum nicht gleich so!

      Die Situation wurde von dem Klacken des Türschlosses der Bordtoilette unterbrochen. Der junge Mann kam kreidebleich heraus und schlich zurück zu seinem Sitzplatz. Nun war ich an der Reihe. Mittlerweile von Bauchkrämpfen geplagt, wünschte ich mir dennoch so sehr wie noch nie, nicht urinieren zu müssen. „Luft anhalten und durch“, sprach ich mir selbst zu und verrichtete schnellstmöglich mein Geschäft.

      Dabei überlegte ich folgendes: Es ist immer wieder komisch, wenn man die vermeidliche Spülung eines Zugs oder Flugzeugs betätigt. Ein kalter Luftzug durchströmt den kleinen Raum. Kurz durchatmen. Seit Klein auf stellt sich für mich die Frage: „Wo geht das nun hin?“. Was machen diejenigen, die „es trifft“, im wahrsten Sinne des Wortes? Ein widerlicher und absurder Gedanke. Das soll gerade nicht mein Problem sein, ich bin ja hier oben. Noch einmal Glück gehabt. Daher empfiehlt sich beim Kaffeetrinken auf der Terrasse immer einen Sonnenschirm aufgespannt zu haben! Liebe Leser und Leserinnen, denken Sie beim nächsten Mal an mich, wenn Sie die Gabel in ein leckeres Stück Erdbeerkuchen spießen und sich über Ihnen ein Flugzeug hoch am Himmel befindet.

      Zurück an meinem Platz konnte nun endlich Ruhe einkehren. Dabei schoss es mir plötzlich. Jetzt wurde mir bewusst, warum Robert und ich permanent beobachtet wurden. Unter Garantie dachten einige, dass der jüngere Mann neben mir, dem es so schlecht wurde und erneut seine Kotztüte in der Hand hielt, mein Freund sei und das ich bestimmt vor Sorge mit ihm Richtung Toilette gegangen war. Ja, so wird es sein. Tja, so ist das, wenn man als vermeidlicher Single verreist. Da wird einem gleich ein Partner zugewiesen. So schnell hatte ich noch nie einen Freund. Und so unbewusst, vor allem.

      Die Landung in Tunesien gestaltete sich sehr turbulent. Es rüttelte und schüttelte nur so, als der Pilot die Maschine auf den Boden aufsetzte und obwohl wir bereits den Asphalt unter den Rädern hatten, dachte ich immer zu: „Hilfe, wir stürzen ab!“ Warum auch immer, mir war einfach nicht wohl. Ich hatte pitschpatschnasse Hände und kam vor lauter Aufregung und Nervosität kaum hinterher, auf meinem Kaugummi herum zu kauen. Dabei vergaß ich glatt, mein zweites Bonbon von der Stewardess zu lutschen.

      Das Flugzeug wurde langsamer und kam nach wenigen Minuten endgültig zum Stehen. Einen kurzen Moment hielten alle inne. Wahrscheinlich prüften sie genauso wie ich, ob wir den Flug und die Landung überlebt hatten. Dann, wie aus dem Nichts heraus, fingen alle recht herzlich an, dem Piloten zu applaudieren und natürlich, dem Gruppenzwang sei Dank, klatschte ich ebenfalls fest in meine schweißgebadeten Hände. „Gott sei Dank ist alles gut gegangen! Wir leben noch! Danke Pilot. Danke, dass du uns am Leben gelassen hast.“ Oje, an den in einer Woche stattfindenden Heimflug wollte ich jetzt noch gar nicht denken.

      Jetzt hieß es erstmal Sommer, Sonne, Meer, abschalten, genießen, entspannen, Kraft tanken – einfach nur Urlaub!

      Die ersten Mitreisenden konnten es anscheinend kaum erwarten. Sie schnallten sich nach Erlöschen des Anschnallzeichens sofort ab, sprangen von ihren Sitzen auf und griffen nach ihren Gepäckstücken, die sie oben in den dafür vorgesehenen Ablagen verstaut hatten. Ich beobachtete das rege Treiben und fragte mich immer wieder, warum einige so eine Hektik verbreiteten. Egal, wie schnell oder langsam wir das Flugzeug verließen, an dem Gepäckband in der Flughalle mussten wir so oder so alle warten. Nur weil die Passagiere fluchtartig die Maschine verließen, hieß das nicht, dass deswegen die Koffer schneller ankamen. Diese mussten ebenfalls die Gepäckkontrolle passieren und unter Beachtung der Anzahl der Koffer pro Maschine dauerte das logischer Weise eine geraume Zeit.

      Von der Hektik ließ ich mich nicht anstecken. Das wollte ich auch nicht. Abgesehen davon, dass ich nicht aus meiner Sitzreihe herauskam, solange ich von dem Fenster und den beiden Männern eingepfercht war. Ich wartete geduldig und wischte mir meine feuchten Hände an der Hose trocken, während ich meinen Ausblick aus dem kleinen Guckloch neben mir genoss. Die Flughafenhalle ragte vor der Maschine empor, so beeindruckend und riesig. Ein Sonnenstrahl blitzte genau durch das Fenster auf mein Gesicht. Es war einfach nur herrlich! Herrlich warm. So, wie ich es im Urlaub erwartete.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit war es dann soweit, dass ich mich von meinem Platz erheben konnte, mir schnell mein Handgepäck schnappte und der Schlange im Flugzeug hinaus an die frische Luft folgte.

      Für einen kurzen Moment hielt ich inne, schloss die Augen, holte tief Luft und sagte zu mir selbst: „Urlaub - jetzt komm ich!“

      Der fluchtartige Strom riss mich mit, hinein in die Boardingbrücke, auf in die große Halle des Ankunftsterminals bis hin zum Gepäckband, an dem sich bereits eine große Menschentraube versammelte. Leicht schmunzelnd und mich selbst fragend, warum sich eigentlich immer alle am Anfang eines solchen Gepäckbandes anstellen, lief ich an ihnen vorbei und wartete weiter hinten. Hier konnte ich fast schon ungestört und entspannt nach meinen Koffer anstehen und den Blick immer wieder von dem Band zu meinen Mitreisenden schweifen lassen. Die der vorderen Traube, waren bereits so kurz nach der Ankunft von der Rempelei und dem Gedrängel frustriert. Kein Wunder! Wäre ich an ihrer Stelle auch, aber so übernahm ich die Rolle der relaxten Beobachterin und stellte dabei fest,

      dass sich bei fast neunzig Prozent, so tippte ich, folgendes Muster erkennen ließ: Die Männer standen unmittelbar und genervt am Band, sehnsüchtig nach den Gepäckstücken Ausschau haltend. Fast schon wie auf der Jagd; wenn Beute gesichtet, sofort zuschnappen! Die Frauen hingegen, das komplette Gegenteil. Sie kämpften währenddessen mit den quengeligen