Anne Wunderlich

Urlaub - jetzt komm ich!


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in mein Bein bohren wollte. Ich beschloss zukünftig nicht an der Mitnahme meiner Sachen zu sparen, aber mir zu Weihnachten einen Hartschalenkoffer mit Rollen zu wünschen.

      An der Nummer sechsundachtzig angekommen, lächelte mich der Busfahrer freundlich an, verglich meinen Namen mit seiner Passagierliste, nickte und erlöste mich von meinem unhandlichen Koffer, indem er das Lederstück in den dafür vorgesehenen Raum verstaute. Endlich. Erwartungsvoll und um mindestens hundert Kilogramm leichter stieg ich in den Bus ein und suchte mir einen Fensterplatz. Die Klimaanlage war ausgeschalten und die Luft stand. Wie sollte es anders sein, dieser Bus startete als Letzter von allen Reisebussen. Der Grund war eine Zigeunerfrau.

      Sie fiel mir bereits vor ein paar Stunden am Flughafen in Berlin auf. Als ich in der Warteschleife am Check-in-Schalter stand, kreuzten sich unsere Blicke mehrmals. Sie reiste ebenfalls ohne Anhang und stach mir ins Auge, da sie nur aß. Permanent. Sie verschlang während des Wartens zwei Brötchen, ein Apfel, eine Banane, einen Schokoladenriegel, ein Paar kalte Wiener, ein großes Stück Gurke und lutschte ein paar Bonbons. Das war lediglich das, was ich sah. Gut, vielleicht war sie auch schwanger oder krank und ächzte nach vermehrter Nahrungszufuhr. Genauso wie ich es von anderen erwartete, stand es mir ebenfalls nicht zu, mir ein Urteil zu erlauben. Abgesehen von meinem Entsetzen des stetigen Verspeisens prägte ich mir ihr Gesicht aufgrund ihrer Kleidung ein und erkannte sie nun wieder. Sie hatte erst jetzt den Bus gesichtet, kam dennoch tiefenentspannt daher geschlendert und nahm irgendwann nach dem Einsteigen eine Reihe vor mir Platz. Nun konnte es losgehen und das Gefährt setzte sich endlich in Bewegung. Langsam fuhr er aus dem Flughafengelände. Gespannt sah ich aus dem Fenster. Das Fahrzeug bog nach rechts auf die Straße ab, fuhr ein kurzes Stück, bog links auf die gegenüberliegende Fahrspur ein und dann vernahm ich schon den Namen meines Hotels durch die Lautsprecher. Ich wusste, mein Hotel lag in Flughafennähe, aber dass es tatsächlich so nah lag, das hatte ich im Vorfeld nicht geahnt. Direkt gegenüber und wenn ich direkt schreibe, dann meine ich das auch so. Unmittelbar. Die beiden Gebäude trennten lediglich eine vierspurige Straße mit einer Ampelkreuzung und ein paar Grünflächen. Ich schmunzelte in mich hinein, denn als ich dies realisierte, fragte ich mich selbst, warum ich nicht gleich zu dem Hotel gelaufen bin und stattdessen über eine halbe Stunde lang in dem stickigen Bus auf die Abfahrt gewartet hatte. Wie heißt es sprichwörtlich so schön: Hinterher ist man immer schlauer.

      Den Fußmarsch sparte ich mir für den Rückreisetag auf.

      Ich sprang als Einzige von meinem Sitzplatz auf, griff nach dem Handgepäck und lief langsam und aufgeregt zugleich den schmalen Gang vor zur Tür. Ich war am Ziel meiner Anreise, während die anderen Passagiere noch mehr oder weniger lang den Transfer über sich ergehen lassen mussten.

      Der Busfahrer reichte mir meine Koffer und verabschiedete sich freundlich, bevor er erneut in sein Gefährt einstieg, sich hinter das Lenkrad quetschte und losfuhr.

      1. Tag – Endlich da!

      Da stand ich nun. Endlich da!

      Im cremefarbenen Marmor erstreckte sich das Eingangsportal des Hotels, in der Mitte ein schwarzes Schiebetor. Dessen Gitterstäbe versprühten den

      Charme eines Gefängnistores, welche meine Euphorie etwas einbremste. Ein Mann in Uniform erspähte mich und öffnete die Pforte. Langsam und quietschend fuhr das Tor von links nach rechts und hielt nach zwei Metern an. Ich trat mit meinem Gepäck ein. Den Eindruck einer Haftanstalt erweckend, schloss sich hinter mir das Schiebetor lautstark. Sofort wich die Unsicherheit, denn vor mir ragte, wie auf einem Postkartenmotiv, das weiß strahlende Hotel vor dem blauen, wolkenfreien Himmel empor, eingesäumt von Palmen, Kakteen und anderen Grünpflanzen. Ein großer Schriftzug auf dem Dach des Gebäudes wies mich darauf hin, dass ich tatsächlich richtig war. Es wäre schlecht gewesen, wenn sich der Busfahrer vertan oder ich mich verhört hätte, denn der Bus war bereits auf dem Weg zu den anderen Unterkünften und da hätte ich wirklich dumm dagestanden. Aufgrund der nicht zu übersehenden Druckbuchstaben konnte ich mir sicher sein, dass ich vor dem Hotel stand, welches ich gebucht hatte. Glück für mich und vielen Dank dem Ideenträger solcher Schriftzüge auf Hausdächern!

      Der erste und gleichzeitig irritierende Eindruck wandelte sich in einen sehr Positiven. Ich war gespannt, was mich alles erwarten würde und schleifte wieder einmal meinen viel zu unhandlichen und schweren Koffer hinter mir her Richtung des Haupteingangs des Hotels.

      Nach dem Überwinden von vier Stufen öffneten sich vor mir die beiden Glasschiebetüren und ich betrat die Hotelhalle. Meine Erwartungen wurden jetzt schon weit übertroffen. Ich wusste nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. Überwältigt von dem Anblick staunten meine Augen, meine Pupillen vergrößerten sich, der Mund stand mir auf. Es war, als würde ich in eine andere Welt eintauchen. Überall heller Marmor, mit braunen Türen abgesetzt. In der Mitte des Foyers befand sich ein kleiner Springbrunnen aus dunklem Marmor, aus dem kristallklares Wasser plätscherte und geradeaus erstreckten sich riesengroße Schiebetüren, die direkt zur Terrasse hinausführten und weiter zum Strand. Da konnten die Pensionen, die Michael und ich bislang für unsere Wochenendausflüge und Kurzurlaube gebucht hatten, keinesfalls mithalten. Im Vergleich waren sie eher minderwertige und heruntergekommene Absteigen.

      Ich war im Paradies! Während ich noch alles bewunderte und mein Glück gar nicht fassen konnte, kam ein Page auf mich zu und nahm mir mein Gepäck ab. „Where are you from?“, fragte er neugierig. Ich erwiderte ihm, in meinem schlecht sprechenden Englisch, dass ich aus Deutschland komme, alleine reise, aber auch in Ruhe gelassen werden möchte. Wozu lange herumreden? Fakten sind effektiver! Er nickte verständnisvoll und zeigte auf einen Sessel im Foyer, auf dem ich Platz nehmen sollte. Zweifelnd, warum ich dies machen sollte, befolgte ich dennoch seine Anweisung. Der Page verschwand für einen kurzen Moment hinter dem Rezeptionstresen und kam mit einem Begrüßungscocktail in der Hand lächelnd zurück. Er stellte diesen auf den Tisch ab und reichte mir gleichzeitig einige Unterlagen zu dem Haus sowie das Wichtigste, meinen Zimmerschlüssel. Ich las mir die Unterlagen durch, füllte die Angaben zu meiner Person aus und legte mir währenddessen den Cocktail auf den Genuss.

      Ja, das musste ich zugeben, das machte ich tatsächlich. Ich genoss regelrecht, hier in diesem Sessel zu sitzen, ein Mixgetränk zu schlürfen und mir einen ersten Eindruck von dem Hotelinneren zu verschaffen. Ich muss sagen, ich war sehr angetan. Es gefiel mir hier richtig gut. Den Geruch, den Klang, die Atmosphäre, dies alles ließ ich auf mich wirken. Im Gegensatz zu dem Beginn meiner Reise, der von merkwürdigen Blicken, Musterungen und des Tragens des schweren Koffers geprägt war, war nun der Empfang in diesem Hotel umso angenehmer und freundlicher. Es zog eine warme Brise von den Terrassentüren herein in die Lobby. Alle an mir vorbeigehenden Gäste sahen sehr zufrieden aus und es roch richtig nach mediterranem Flair, Erholung, Urlaub. Ach, herrlich!

      Der Page von vorhin kam erneut auf mich zu und unterbrach mich in meiner gedanklichen Schwärmerei. Der traute sich was, mich während meines Genießens zu stören! Im Normalfall hätte ich ihm das übel genommen, da ich aber gerade erst angereist war, wusste ich, ich hatte noch einige Tage vor mir und somit alle Zeit der Welt, die vielen Eindrücke auf mich wirken zu lassen und den Gebäudekomplex samt der kompletten Anlage zu erkunden und zu entdecken.

      Der freundliche Page nahm die von mir ausgefüllten Unterlagen, mein leeres Glas sowie mein Gepäck und begleitete mich auf mein Zimmer. Bis auf das letzt Genannte legte beziehungsweise stellte er alles auf den Rezeptionstresen beim Vorbeigehen ab. Die Fahrstuhltür öffnete sich und wir betraten den kleinen Raum. Der Laufbursche drückte den Knopf für die vierte Etage und bereits nach wenigen Minuten standen wir auch schon in diesem Stockwerk. Ich ließ meinem netten Gehilfen den Vortritt und folgte ihm wie ein braves Schoßhündchen bis vor die Tür meines neuen Quartiers für die nächsten acht Tage.

      Der Eintritt wurde gewehrt. Im ersten Moment konnte ich vor Dunkelheit nur Umrisse erkennen und das Aussehen des Zimmers erahnen. Erst als der Page die bleischweren und dunkel gemusterten Vorhänge aufzog, konnte ich mir ein Bild von den Räumlichkeiten verschaffen. Cremefarbene Fliesen schmückten den Fußboden des Zimmers. Ein Schreibtisch, ein Sessel, ein Sofa und zwei separat stehende Betten sowie ein Kleiderschrank mit dunkelbraunen Holz ergänzten das Gesamtbild. Generell war dies sehr dunkel und erdrückte mich, aber zum Schlafen oder kurz Verweilen genügte es.

      Der