Anne Wunderlich

Urlaub - jetzt komm ich!


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noch leeren Gepäckwagen mit oder ohne den artigen Kindern in der imaginären zweiten Reihe. Frauen stärken den Rücken der Männer, heißt es. Hier der optische Beweis. Unglaublich dieses Einheitsbild!

      Warum am Anfang eines Urlaubs sich schon so stressen und die Stimmung gen Nullpunkt wandern zu lassen? Wozu? Der Koffer läuft doch die gesamte Bandschlaufe ab. Sprich, hier hinten kommt er genauso an, wie ganz vorn. Ja gut, wenn ich am Anfang inmitten des Gedrängels stehen würde, hätte ich natürlich meinen Koffer eher, als am Ende des Bandes. Dazwischen lag ein Unterschied von maximal einer Minute, wenn überhaupt. Verschmerzbar und ich hatte Zeit, immerhin befand ich mich im Urlaub und nicht auf der Flucht. Weiterhin ist zu bedenken, dass die Busse, die mich und auch alle anderen zu den jeweiligen Hotels bringen, sowieso warten, bis der Letzte eingestiegen ist, der noch mit muss. Also wozu die Eile? Natürlich möchten alle so schnell wie möglich in ihr ersehntes Hotel und sind bereits voller Erwartungen und ganz gespannt, aber wie schon beschrieben, der Bus und der letzte Passagier.

      Wie froh war ich an der Stelle, alleine gereist zu sein. Ich musste lediglich auf einen einzigen Koffer warten, brauchte niemanden einfangen und mir kein Gequengel anhören. Ich konnte mich lächelnd an meinen Gepäckwagen festhalten und die schöne Atmosphäre auf mich wirken lassen, die wahrscheinlich niemand anderes bemerkt hatte: Am anderen Ende der Halle bot die große Fensterfront Blick auf die angedockten Flugzeuge. Das Schönste daran war, dass die Sonnenstrahlen direkt durch diese Glaswand schienen und nicht nur die Halle so hell und freundlich wirken ließen, sondern auch mein Herz. Gleichzeitig flutete Serotonin meinen Körper. Ich genoss. Das Vorrücken des Zeigers an der Wanduhr wurde zwar von Kindergeschrei übertönt, dennoch nahm ich den Klang ganz leise in meinem Ohr wahr. Dieses Klacken flüsterte mir ein „Herzlich Willkommen Lena“ zu. Einfach wunderbar.

      Auf einmal trübte die Schönheit des Momentes, denn erneut überkam mich der Drang des Urinierens. Was war nur mit meinem Unterleib los? Lag es an zu vielem Kaffee, den Druckunterschied zwischen Himmel und Erde oder war es der Gedanke an Meeresrauschen? Aufregung? So oder so nervte es.

      Ich versuchte, diesen zu unterdrücken, aber ich glaube, jeder kennt das Gefühl, wenn man etwas bewusst verdrängen möchte, denkt man genau an das und spürt das zu Verdrängende umso deutlicher. So erging es mir gerade. Umso mehr ich versuchte, mich abzulenken, umso bewusster spürte ich meine volle Blase. Nur leider konnte ich mich von dem Gepäckband nicht entfernen, so lange mein Koffer nicht in Sichtweite und auf meinen Gepäckwagen war. Ich konnte auch niemanden damit beauftragen, nach meinem Lederrechteck Ausschau zu halten. Die anderen Passagiere waren alle mit sich selbst beschäftigt und gereizt. Abstand wahren und nicht ansprechen, war hier definitiv die bessere Strategie.

      Schon auf der Stelle auf- und abtretend, erspähte ich mein braunes Ungetüm. Die Erlösung! Natürlich kam er als vorletztes Gepäckstück. Ausgerechnet. Mit aller Kraft wuchtete ich den schweren Koffer auf den Wagen und steuerte zielorientiert und ganz eilig die Toiletten an. Ein großes und unerwartetes Problem trat auf. Der Gepäckwagen war viel zu groß für die winzige Toilettenkabine. Was nun? Ich konnte meine Gepäckstücke nicht unbeaufsichtigt draußen stehen lassen. Sie mussten mit rein! Im Umkehrschluss bedeutete dies für mich, den Koffer wieder von dem Wagen herunterhieven und mit diesem, meiner Jacke und dem Rucksack mich in die Kabine zwängen. Das war gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass die Tür noch auf- und wieder zugehen sollte. Die Jacke war das geringste Problem, gefolgt von dem Rucksack, aber mein großer Koffer, ich, die Toilettenschüssel an sich und dann eben die Tür. Der adipöse Mann aus dem Flugzeug, der in meiner Sitzreihe außen saß - ich war mir nicht sicher, ob er hier überhaupt reingepasst hätte. Selbst ohne Koffer war es bereits eine Herausforderung, in die wirklich winzige Kabine hinein zu kommen. Welcher Architekt konzipiert so etwas? Ich glaube nicht, dass derjenige jemals diese Örtlichkeit besucht hat und wenn, musste seine Statur entweder eine ganz Dürre sein oder spätestens da seine Fehlplanung bemerkt haben.

      Liebe Bauingenieure, Architekten oder alle anderen Planer, falls Sie dieses Buch jemals lesen sollten, bitte beziehen Sie diese Überlegungen bei der nächsten Planung mit ein: Alleinreisende, viel Gepäck, weit entfernt von Modelmaßen, Toilette! Mehr muss ich nicht sagen.

      Als ob das nicht schon genug war, wischte ausgerechnet jetzt die Putzfrau durch. Ich war mir nicht sicher, ob sie das Rot in der Türschlossverriegelung übersah, aber sie versuchte ernsthaft, mit ihrem Schrubber durch den Spalt unter der Tür Richtung meiner Füße zu wischen. Dabei eckte sie natürlich an mein Gepäck und an meinen Schuhen an. Ganz klar. Wohin, wenn kein Platz ist? Sie schien mich tatsächlich nicht zu bemerken. Zumindest hörte sie nicht auf. Immer wieder stieß sie an meine Füße. „Hallo?! Hier ist kein Platz und außerdem hätte ich gerne meine Ruhe!“, wollte ich am liebsten vor Empörung rufen. Ich geriet leicht ins Schwitzen. Was hatte ich nur getan, dass ich nicht einmal in Ruhe ein kleines Geschäft verrichten konnte? Zuerst das in die Toilette hineingequetschte, jetzt die nervige Putzfrau. Was sollte als nächstes kommen? Nun wünschte ich mir, ich wäre doch mit jemanden zusammen verreist. Derjenige könnte draußen auf mein Gepäck aufpassen, während ich hier ...

      „Nein, nein, nein. Ich bin alleine. So, wie ich es wollte.“ Gemäß dem Zitat: Besser alleine sein, aber nicht einsam, als einsam zu sein und nicht alleine.

      Da musste ich jetzt durch. Ein lautstarkes Räuspern und ein gequältes Husten verschreckte letztendlich die Putzfrau und mit Schweißperlen auf der Stirn quetschte ich mich wieder aus der winzigen Kabine raus. Achtung, Bauch einziehen und am besten alle anderen Körperteile ebenfalls! Menschen mit Platzangst hätten hier ihre Klaustrophobie definitiv überwunden oder sie wären an ihr zerbrochen.

      Nach nochmaligen Personen- und Gepäckkontrollen atmete ich endlich die tunesische Luft ein. Diesmal so richtig. Ich befand mich vor der Gepäckhalle, sprich hinter mir das Flughafengebäude. Es ist schwer zu beschreiben und dennoch können alle Reisenden diese einzigartige Atmosphäre und das damit geweckte Empfinden nachvollziehen. Ein herzerwärmendes, ausfüllendes, tief durchatmen lassendes, Sorgen vergessendes und wunderschönes Flair. Das mediterrane Klima schrie förmlich nach Urlaub. Selbst die Gerüche, die mir in die Nase stiegen, rochen anders. Irgendwie nach Sand, Salz, Meer, Jasmin, Wasserpfeifentabak. Warme und trockene Luft umgab mich. Palmblätter beugten sich im kaum spürbaren Wind ganz sanft hin und her. Ich genoss den Moment. Spürbar. Ich schloss meine Augen und lauschte. Von allen Seiten dudelte orientalisch klingende Musik aus den Autoradios, im Hintergrund des Öfteren lautstarkes Hupen von der viel befahrenen Straße. Dazu gesellte sich Gebrabbel zahlreicher Leute in allmöglichen Sprachen. All die Laute klangen wie eine Melodie in meinen Ohren. Mein Zuhören wurde jedoch prompt von einem Anrempeln gestört. Ein älterer Mann kollidierte mit seinem rechten Arm direkt in mein Kreuz. Ich erschrak. Schlagartig öffnete ich meine Augen. Er lief weiter, als wäre nichts gewesen. Als ob nicht genug Platz gewesen wäre, nein, musste er ausgerechnet bei mir entlanglaufen, mich stoßen und mich aus meinem akustischen Sinnesgenuss rausreißen. Mürrisch starrte ich ihm hinterher und überprüfte umgehend meinen Rucksack, ob alle meine Habseligkeiten an Ort und Stelle waren, wo sie hingehörten. Über die Methoden von Taschendiebe hört man ja so einige Gruselgeschichten. Ich hingegen konnte aufatmen. Die Mentalität des Landes trübte nicht; ein heimtückischer Trick passte nicht zu der überragenden Gastfreundlichkeit!

      Mit erhöhtem Puls bemerkte ich erst jetzt, was für ein hektisches Treiben auf dem Parkplatz herrschte. Es galt lebenswichtige Fragen zu stellen und diese beantworte zu bekommen. Zum Beispiel: Wer muss in welches Hotel und somit zu welchem Bus? Wer gehört zu wem, und manchmal fragte ich mich auch, warum? Aber das ist ein anderes Thema!

      Wo sind nur all die lächelnden Menschen, in der Hand die Schilder mit der Aufschrift „TUI“ oder ähnlichen Reiseanbietern? Sie würden jetzt Ordnung in das Chaos bringen. Und wo waren eigentlich die Mitreisenden abgeblieben, die mich seit Anfang des Fluges begleitet und mit ihren Blicken ausgezogen hatten? Fleischbeschauung beendet? Sie waren auf jeden Fall nicht hier und selbst wenn, konnte ich mir sicher sein, dass ich nicht mehr ihr Hauptaugenmerk war, sondern die Nummern an den zahlreichen Bussen. Sie standen in Reihe und Glied auf dem Parkplatz und die Busfahrer luden jeweils eifrig die Koffer ein. Auch ich erspähte weit hinten mein Gefährt. Nummer sechsundachtzig, das war Meiner. Mit meinem Rucksack auf dem Rücken und in der einen Hand meine Reisepapiere hechelte ich leicht schwitzend dem Bus entgegen. Ich bereute gerade erneut, so viele Sachen