Anne Wunderlich

Urlaub - jetzt komm ich!


Скачать книгу

soll das heißen?“, fragte ich mich selbst. Was soll ich von so einer Reaktion halten? Das kann ja noch spaßig werden! Ich wünschte mir jetzt schon Michael oder eine Freundin als seelische und moralische Unterstützung an meiner Seite. Dann hätte ich selbstbewusster den Mitreisenden die Stirn geboten und sämtliche Angriffsfläche zum Lästern meiden können. Naja, so sorgte ich wenigstens für Gesprächsstoff und Unterhaltung der Anderen. Bitte, gern geschehen, liebe Mitwartenden!

      Ich wandte mich der Sonnenbankliebhaberin und ihren Mann ab. Immerhin wussten sie jetzt, dass ich ihre Abneigung mir gegenüber bemerkt hatte. Meine Aufmerksamkeit lenkte ich auf mich und stellte fest, dass ich noch nicht einmal im Flugzeug saß, aber schon sehnsüchtig an Michael und Anna dachte. Nein, ich musste selbstbewusst und entschlossen sein! Immerhin freute ich mich so sehr auf meinen Urlaub, auf meine persönliche Auszeit und auf das Abschalten meiner Gedanken. Die Entscheidung hatte ich getroffen und dazu musste ich jetzt stehen, stark und motiviert. Komme, was wolle. „Nur bitte lass die Warteschlange zügig vorrücken, so dass ich schnell im Flugzeug sitze!“, betete ich zu Gott.

      Mein Flehen und Betteln wurde erhört. Die Schlange rückte mit einem Schlag einige Schritte vor und ich war endlich an der Reihe.

      Es gibt doch ein Wesen, ganz weit oben im Himmel, der gerade ein Erbarmen mit mir hatte und mich von meinem Leid der Blicke erlöste. Danke!

      Die Dame hinter dem Schalter schaute auf und lächelte mich freundlich an. „Reisen Sie alleine?“, erkundigte sie sich sicherheitshalber. Skeptisch prüfte ich, ob jemand unerlaubter Weise den Sicherheitsabstand nicht einhielt und sich direkt hinter mich geschmuggelt hatte, so dass die Dame davon ausging, dass ich in Begleitung war. Da war niemand, also nicht direkt hinter oder neben mir.

      Mit runzelnder Stirn blickte ich die Flughafenangestellte an und meinte in einem ruhigen Tonfall: „Ja, ich reise alleine“ und stellte meinen Koffer auf das Laufband links neben dem Schalter.

      In dieser Situation hätte ich auch anders reagieren können, denn ihre Frage fand ich sehr unangebracht. Sie nahm mich seit über eineinhalb Stunden wahr und konnte feststellen, dass ich ohne Begleitung reiste. Zu den abwertenden und kritischen Blicken kam nun so eine Frage. Ihr Glück, dass ich mich beherrschen konnte und ruhig geblieben bin. Anderenfalls wäre das Szenario bestimmt folgendermaßen abgelaufen:

      „Sie reisen alleine?“, fragte mich die nette Dame am Schalter. Ich überlegte, ob sie dies ernst meinte und brüllte mit rasenden Puls lautstark durch die Halle: „Naja, klar oder sehen Sie hier noch jemanden neben mir stehen?! Ist das denn so ungewöhnlich? Bin ich denn der einzige Mensch auf der Welt, der alleine reist? Und Ihr alle hinter mir in der Schlange und die, die bereits von der Warteschlange nebenan eingecheckt haben – was klotzt Ihr mich eigentlich so blöd an?“.

      Ich denke, mit dieser Variante hätte ich mich nicht nur bei der Check-in-Frau unbeliebt gemacht, auch bei den anderen Passagieren. Ein Anlass mehr zum Tuscheln, Mustern und mich wahrscheinlich für verrückt erklären zu lassen. Am liebsten hätte ich mir Luft gemacht und das, was mir die gesamte Zeit über auf der Zunge lag, von der Seele schreien wollen. Ich appellierte an meine Vernunft, kontrollierte meine zwiespältigen Gefühle und entschied mich für das erste und ruhigere Szenario.

      Die Dame scannte das Flugticket ein, überprüfte meinen Ausweis und klebte die Banderole um die Kofferschlaufe. Nun ging dieser auf Reisen und ich wusste, ich folgte ihm in ein paar Minuten. Das Handgepäck führte ich mit mir.

      „Einen guten Flug“, wünschte mir die Frau und händigte mir all meine Papiere mit einem freundlichen Grinsen wieder aus. Erlösung! Nun war der Weg frei zur Personenkontrolle, die ich mit Bravour bestand. Nachdem der Metalldedektor keinerlei Alarm schlug und der Rucksack nichts Auffälliges aufwies, winkten mich die Luftsicherheitsassistenten freundlich durch und wünschten mir ebenfalls einen angenehmen Flug.

      Der Blick auf die Uhr verriet mir, dass bis zum Boarding noch reichlich Zeit blieb. Daher nahm ich auf einen Sitz der Stuhlreihen in der Wartehalle Platz. Von hier aus konnte ich die zum Abflug bereitstehenden Flugzeuge betrachten. Auch das Rollfeld hatte ich im Visier. Hier saß ich wirklich gut. Ich machte es mir bequem und genoss die Aussicht. Das rege Treiben in und außerhalb der Halle beobachtete ich. Flugzeuge landeten und starteten, Passagiere gesellten sich zu mir und verschwanden wieder. Das reinste Durcheinander.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit schaute ich erneut auf meine Armbanduhr. Ich erschrak. Es waren erst sieben Minuten vergangen. Und nun? Immer noch viel zu viel Zeit bis zum Aufruf und bis der Flieger endlich starten konnte. Mein Blick ließ ich erneut durch den riesigen Bereich des Terminals schweifen, diesmal auf der Suche nach einer Beschäftigung, um die Wartezeit zu überbrücken. Mein im Rucksack mitgeführtes Buch wollte ich nicht herausholen und anfangen zu lesen. Dieses sollte erst auf meiner Liege am Strand zum Einsatz kommen.

      Apropos, weit hinter mir auf der rechten Seite erspähte ich einen Buchladen. Kurz entschlossen nahm ich mein Hab und Gut und steuerte das Geschäft zielstrebig an. Dort angekommen, durchblätterte ich diverse Zeitschriften, Bücher, betrachtete Postkarten und kleine Verkaufsartikel, die im Kassenbereich präsentiert wurden. Eigentlich interessierte mich das alles gar nicht, denn ich wollte nur die Zeit bis zum Abflug überbrücken, aber gebildet und intelligent sah ich bestimmt beim Stöbern aus und um einige Informationen und Neuigkeiten aus der Welt der Schönen und Reichen war ich ebenfalls schlauer. Ich schlug zwei Fliegen mit einer Klappe, wie es sprichwörtlich so schön heißt und nahm im Anschluss, bewandeter als vorher, in der Sitzreihe vor dem Buchladen Platz.

      Mittlerweile, das heißt nach weiteren zwanzig Minuten, war ich vom vielen Warten etwas gelangweilt und wenn eine Lena gelangweilt ist, dann überkommt sie schnell schlechte Laune. Da es aber in den Urlaub ging, war diese total fehl am Platz! Nun hieß es, ablenken. Nur womit? Mein Handy hatte ich bereits ausgeschaltet und ganz weit unten in meinem Rucksack verstaut. Den Buchladen hatte ich ja auch schon durchgestöbert. Etwas essen oder trinken? Ach nein, kein Bedarf. Auf Toilette gehen? Das geht als Frau immer! Mit langem Händewaschen hinterher und nochmal die eine oder andere Haarsträhne richten, ja, da kann ich auch noch ein paar Minuten Zeit schinden. Außerdem lag die Toilette am anderen Ende der Halle. Wenn ich ganz langsam hinlaufe, vergeht auch noch etwas Zeit. „Ja, das ist eine gute Idee“, bestätigte ich selbst meine Strategie und machte mich auf den Weg. Doch dann plötzlich, auf halber Strecke, ertönte durch die Lautsprecher ein Gong, gefolgt von dem Aufruf zum Boarding. Meine Flugnummer. Endlich, es konnte losgehen! Ich war total aufgeregt. Freudig aufgeregt. Endlich ging es aus dem verregneten Deutschland ins Warme. Dorthin, wo die Sonne immer lacht. Ach, war ich auf einmal mit Glückshormonen geflutet. Ausgerechnet jetzt hätte ich wirklich auf Toilette gemusst, aber man muss im Leben Prioritäten setzen und bei der Wahl zwischen einem Toilettengang oder das Flugzeug zu verpassen und somit den Urlaub des Jahrhunderts, da fiel die Entscheidung nicht schwer.

      Erneut stellte ich mich an. Diesmal am Boardingschalter. Hier rückte die Schlange deutlich schneller weiter. Die benötigten Unterlagen zeigte ich vor, welche der junge Mann in Uniform einscannte und freundlich meinte: „Guten Flug.“ Ich bedankte mich höflichst, verließ das Terminal über den Flugsteig und betrat die Gangway, welche deutlich zu kühl klimatisiert war. Zum Glück trug ich meine Jacke bei mir und zog sie schnell an.

      Voller Vorfreude lief ich die Fluggastbrücke entlang. Ein Blick nach draußen wurde leider allen Passagieren verwehrt, da diese eine der geschlossenen Variante war, also ohne Fenster. Der Vorteil daran, alle Flugreisenden mussten nach dem Verlauf des Boarding nicht mehr das Flugfeld betreten und gelangten direkt in die Maschine. Gerade bei schlechtem Wetter optimal, wie ich finde.

      Nun kam ich mich vor, als würde ich als Winzling durch eine Wasserrutsche gehen, nur ohne Wasser und ohne zu rutschen und dass die Wände eckig waren statt rund. Am Ende der Rutsche plumpste ich auch nicht in das kühle Nass, sondern wurde von zwei freundlich lächelnden Stewardessen begrüßt. Wie im jetzigen Moment, als ich den Flieger betrat. Eine der beiden Flugbegleiterinnen reichte einen Korb mit Bonbons. Natürlich griff ich zu, ich wollte schließlich nicht unhöflich sein. Außerdem erfüllte das süße Naschwerk einen nützlichen Zweck. Irgendwie musste ich den Druckunterschied auf meine Ohren beim Start und der Landung ausgleichen. Warum die eigenen Bonbons dafür verschwenden, wenn mir hier welche so freundlich angeboten worden und dann auch noch gratis? Zugreifen, hieß meine Devise.