Denise Remisberger

Der flüchtige Stern


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Problem“, meinte Beniamino.

      „Und mehr Feuerholz gibt’s auch draussen, an der hinteren Hauswand unter einem Vordach.“

      Alberto holte Wasser aus dem Bach, Giuditta rüstete Kartoffeln und Karotten, Beniamino stellte den Rost ins Feuer und den nunmehr vollen Suppentopf auf den Rost. Bis die Suppe gar war, tranken sie etwas Wein, bezogen die Betten, richteten sich ein. Am nächsten Morgen verabschiedete sich Alberto und liess zwei zwar immer noch ängstliche, doch schon etwas hoffnungsfrohere Menschen zurück.

      7

      Inzwischen war es Abend geworden, Anbert hatte alles fertig gekocht und sie begaben sich in die Stube hinüber, wo es keine Stühle, sondern nur dicke Teppiche gab.

      „Meine Güte“, meinte Merle, „ich bin fast etwas zu alt dafür, um im Schneidersitz auf dem Boden herumzuhocken.“

      „Hier“, hielt Anbert ihr ein niedriges Meditationskissen hin, das sie dankbar unter ihren Hintern legte.

      „Ich hab zuhause auch ein Meditationskissen. Das ist allerdings hoch und megaunbequem. Darum benutze ich es als Tischchen, um so ein Buch oder die Zeitung auf dem Sofa zu lesen“, erzählte Alberta.

      „Was?!“, war Mik nicht mehr so ganz klar im Kopf.

      „Ich platziere das Kissen auf meinen Oberschenkeln und stütze Hände und Buch oder Zeitung darauf ab. Dann bleibt der Rücken gerade und die Schultern entspannt.“

      „Ach so. Jetzt kann ich es mir vorstellen.“

      Nach und nach trudelten mehr Gäste ein und das Essen wurde serviert: Vollkornreis und rote Linsen mit Mango-Chutney.

      „Ich bin Anastasia“, stellte sich eine Gruftine vor und küsste Alberta auf die Wange. Dann setzte sie sich neben Mik, wobei sie ihr langes schwarzes Rüschenkleid um sich herum ausbreitete.

      „Und ich heisse Stefano“, küsste ein junger Mann mit langen dunklen Haaren und einem massgeschneiderten dunkelgrauen Anzug Alberta ebenfalls auf die Wange und schaute ihr dann verträumt in die Augen. Dann setzte er sich ihr gegenüber hin.

      „Ich bin Lora“, winkte eine Frau um die dreissig, die sich neben dem kleinen Schrein niedergelassen hatte, ihr Essen gezielt durchmischte und dann genüsslich löffelte.

      Der Einzige, der nicht alleine gekommen war, sondern mit seinen beiden Kindern, half Anbert, die restlichen Teller von der Küche in die Stube zu tragen und reihum zu verteilen.

      „Ich heisse Alberta“, lächelte die Frau mit den schwarzen Löckchen zu den Kindern hinüber, die sie nur gross anstarrten.

      „Ich bin Hans. Und das sind Lysander und Morgaine“, zeigte der Vater der Reihe nach auf sich und seine Kleinen. „Sagt mal Guten Tag.“ Natürlich löste das keinerlei Reaktion aus. „Die brauchen immer eine Weile, um sich an neue Leute zu akklimatisieren.“

      „Kein Problem“, lachte Alberta.

      „Was wollt ihr hören?“, hantierte Anbert an seinem Plattenspieler herum. Daneben lehnten tatsächlich richtige Langspielplatten an der Wand.

      „Roxy Music“, sagte Anastasia sofort. „Ich finde die Stimme so erotisch.“

      „Der ist auch nicht mehr der Jüngste“, zischelte Hans, der dringend eine neue Mutter für seine Kinder und möglicherweise auch für sich suchte und immer mal wieder die eine oder die andere dafür ins Auge fasste.

      „Der sieht aber immer noch gut aus“, nervte sich Anastasia. Hans hatte wohl nicht den ersehnten Ich-stehe-über-allem-und-jedem-Eindruck hinterlassen.

      „Guten Appetit“, rief Anbert, während im Hintergrund „Love Is The Drug“ lief.

      „Apropos Drogen“, sagte Mik zwischen zwei Bissen. „Ich hab auch noch Kekse dabei.“

      „Au ja!“, riefen Morgaine und Lysander unisono. Sie konnten augenscheinlich sprechen.

      „Ähm … Wisst ihr, das sind spezielle Kekse. Scherzkekse eigentlich. Da verwandeln sich die Leute in kleine Feen und Gnome, sozusagen“, misslang Mik haushoch der Versuch, die nun vollends begeisterten Kleinen von der Idee zum Konsum der schrägen Kekse abzubringen.

      „Ich hol andere Kekse. Drogenfreie. Sehn genau gleich aus“, flüsterte Anbert Hans in Ohr. Der nickte erleichtert.

      8

      Pfarrer Jacques, ehemaliger Leiter des Frauensingchors und nun zuständig für die Seniorengruppe, hatte sich aus seiner hingefläzten Position erhoben und starrte vorgebeugt auf seinen guten Freund, Prior Hans-Peter aus Sankt Gallen.

      „Ja, ja, du hast schon richtig gehört“, grinste der Mönch und faltete seine Hände vor dem mehr als runden Bauch.

      „Und wo hast du es?“, gierte Jacques, der, zusammen mit Hans-Peter, nebenamtlich sozusagen, als Dieb und Hehler von Reliquien aller Art tätig war.

      „Na hier“, zog der Prior ein altes Schriftstück aus seinem Aktenkoffer, ganz neu und superchic. Auf so etwas legte der nicht so Enthaltsame grossen Wert.

      „Zeig mal“, krallte sich der Pfarrer das Papier, auf dem ein Plan abgebildet war. Von einem Haus, um genau zu sein.

      „Im Bad? Hinter einer grossen Kachel? Die genau über dem WC an der Rückwand angebracht ist.“

      „Ja, fragt sich nur, in welchem Bad. Pro Wohnung gibt es nämlich zwei.“

      Jacques studierte den Plan genauer. „Ein zweites Bad, tatsächlich. Und dort hat es ebenfalls eine auf diesem Plan markierte Kachel. Auch über dem WC an der Rückwand. Doppelt. Tatsächlich!“

      „Es haben halt nicht alle eine Zwergwohnung. Es gibt Leute, die verfügen über zwei Bäder.“

      „Du hast auch nur ein kleines Bad in deiner Klosterzelle.“

      „Ja, ja, darum. Ich könnte mir durchaus etwas mehr Komfort bei uns daheim vorstellen.“

      „Noch mehr Komfort? Du bist der ungenügsamste Mönch, den ich kenne.“

      „So viele Mönche kennst du gar nicht.“

      „Stimmt auch wieder. Und in welcher Wohnung warten nun die beiden Bäder?“

      „Keine Ahnung.“

      „Wie viele Wohnungen hat denn das Haus?“

      „Im Parterre ist ein Geschäft. Also noch erster bis vierter Stock. Je eine Wohnung pro Stockwerk.“

      „Dann müssen wir maximal in vier Wohnungen einbrechen und acht Kacheln von der Wand klauben. Ich hoffe, die sind nicht fest in Mörtel gedrückt worden.“

      „Das weiss ich nun wirklich nicht. Ich war noch nie in diesem Haus drin. Ich hab’s mir nur von aussen angeguckt. Bevor ich zu dir gekommen bin. Aber wir müssen ja nicht alle acht Kacheln wegnehmen. Wir können klopfen. Dann hören wir, ob sich dahinter ein Hohlraum verbirgt.“

      „Und was ist, wenn das Versteck leer ist?“

      „I wo! Das Dingelchen befindet sich ganz bestimmt noch dort“, winkte Hans-Peter ab.

      „Wo befindet sich das Haus?“

      „Steht hinten drauf.“

      Der Pfarrer drehte das Dokument um und rief: „Im Kreis Eins.“

      „Ja, direkt an der Limmat.“

      „In der Nähe der Gemüsebrücke.“

      „Ja. Ich hab ein Foto gemacht“, zog der Prior das Bild unter seiner aus Seide und Wolle bestehenden Soutane hervor.

      „Das Haus kenn ich.“

      „Das hab ich angenommen. Schliesslich wohnst du hier in Zürich. Und bist sicher schon