Anita B.

Zwischen Knast und Alltag


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Eindruck verfliegt allerdings fluchtartig, als ich ihn frage, warum so ein gutaussehender Mann wie er keine Freundin hat? Darauf antwortet er unter anderem: »Außerdem habe ich sehr hohe Ansprüche an mich selbst und eben auch an die Frau an meiner Seite. Ich möchte nicht nur eine Frau haben, um nicht allein zu sein. Insbesondere ist mir Sexualität sehr wichtig, ich bin kein Typ für nullachtfünfzehn!« Auf diese Ansage hin antworte ich nicht mehr.

      Total klasse finde ich Harry aus Tutzing am Starnberger See. Wir chatten viele Stunden, Tage und Nächte auf Skype. Er ist super lustig, spontan, schlagfertig, kinderlieb, sieht gut aus und bringt mich selbst schriftlich ständig zum Lachen. Irgendwann fragt er mich, wann er uns kennenlernen darf. Ich könnte doch mit den Kindern einen Tag oder gerne ein ganzes Wochenende raus an den See kommen. Ich zögere… Da fragt Harry: »Oder schreckt dich etwa mein Alter ab?« Bisher hatte ich ihn nie nach seinem Alter gefragt. Dem Foto nach zu urteilen, welches nach eigenen Worten ganz aktuell sei, konnte er maximal Ende dreißig sein. »Wieso, wie alt bist du denn?« »Siebenundvierzig«, antwortet Harry. Ich kann es kaum glauben.

      In dem Moment macht es bei mir Klick und ich bin ihm gegenüber wie verwandelt, nicht mehr locker flirtend, sondern von einer Sekunde auf die andere total verkrampft. Plötzlich möchte ich ihn auch nicht mehr treffen. Und das, obwohl er nur zehn Kilometer von meiner besten Freundin entfernt wohnt. Wann sollte ich so jemand noch mal finden? Wie schön es doch wäre, wenn unsere Kinder zusammen aufwachsen und so wie wir damals nach der Schule die Nachmittage gemeinsam verbringen könnten.

      Trotzdem lasse ich unsere Chats langsam auslaufen, bin immer seltener online, habe jeweils schnell wieder etwas zu tun und Harry merkt sehr zeitnah, dass aus uns nichts werden soll. Er schreibt mir noch wie sehr er es bedauert, dass ich uns keine Chance gebe. Ich antworte ihm, dass es mir leid tut und fühle schon in diesem Moment, einen Riesenfehler zu machen. Bis aufs Alter stimmte bei ihm eigentlich alles.

      Aber ich habe ja noch Franz aus Wien. Er verfasst liebevolle E-Mails, wir chatten wochenlang auf Facebook, verstehen uns prima und er ist sehr charmant – genauso, wie ich mir meinen Traummann zuvor ausgemalt hatte. Für ein erstes Date will er mich sogar zu den Salzburger Festspielen in ein Wellness-Hotel einladen. Ich freue mich tierisch und bin aufgeregt wie ein Teenager. Nach eigener Aussage hat er die Karten zu den Festspielen bereits besorgt und das Hotel gebucht. Daraufhin bitte ich meine Mom, am kommenden Wochenende als Babysitter für die Jungs einzuspringen.

      Doch plötzlich, nur wenige Tage vorher, fängt Franz plötzlich an rumzudrucksen. Ihm geht das alles viel zu schnell, er braucht noch etwas Zeit und ich möchte bitte erst einmal für ein Wochenende nach Wien kommen. Ich bin schockiert. Wieso ich? Sollte er nicht eigentlich mir entgegenkommen?

      Ich mache ihm klar, dass ich mit zwei Kleinkindern daheim unmöglich mal schnell für ein Date nach Wien fahren kann. Was denkt der sich eigentlich? Ziemlich kurzfristige Absage wie ich finde. Und woher kommt eigentlich diese abrupte Planänderung?

      Langsam macht sich Ernüchterung breit. Vielleicht war die Annonce ja doch nicht so erfolgreich wie zunächst angenommen.

      Die einzig willkommene Abwechslung in diesen Tagen ist eine liebe Nachricht von Katti. Und hey, die kommt schon fünf Wochen nach unserem Treffen. Ich freue mich sehr, dass sie sich erkundigt, wie es mir geht und ob ich auf die Anzeige hin meinen Traumprinzen gefunden habe. Kurz und knapp antworte ich, dass der Richtige leider nicht dabei war.

      Somit stehe ich nach einigen recht emotionalen Wochen wieder da, wo ich schon am Frühlingsanfang stand – allein mit zwei Kindern in einer Wohngemeinschaft in Niederbayern.

      Ein seltsamer Brief

      Wir haben heute den neunten Mai. Fünf Monate ist John nun schon hier, davor sieben Monate Stadelheim und nicht abzusehen, wie lange er hier noch ausharren muss. John geht zwar von einer Zwei-Drittel-Strafe aus, aber verlassen kann er sich darauf natürlich nicht.

      Jeden Tag der gleiche Spaß: Fünf Uhr morgens aufstehen, mit kaltem Wasser in der Zelle waschen, duschen darf man nur nachmittags im Bad auf dem Gang, Aufgusskaffee trinken und um viertel vor sieben geht John in die Arbeit. Danach bekommt er heute zur Abwechslung mal wieder einen Brief. Für John ist es jedes Mal aufs Neue ein schönes Gefühl, wenn da draußen noch jemand an ihn denkt. Meist ist es zwar nur ein Brief von seinem Anwalt, aber dieser Brief kommt von keiner ihm bekannten Person und Werbung ist es auch nicht. Er ist von einer Katarina Brunner. Diesen Namen hat John noch nie gehört. Trotzdem scheint sie ihn zu kennen. In dem Briefumschlag findet John jedoch nicht mehr als einen Seite aus der Süddeutschen Zeitung mit einer markierten Annonce unter SIE SUCHT IHN.

      Zunächst denkt John: »Was will die denn, hat die 'nen Knall? Wer ist das überhaupt und warum meint die, dass ich mir eine Freundin aus der Zeitung suchen soll?«

      Jedenfalls liegt vor ihm dieser Zeitungsausschnitt, der offensichtlich auch noch uralt ist, vom dreißigsten März. Doch von der markierten Anzeige fühlt John sich in der Tat angesprochen. Schon immer wollte er eine große Familie haben.

      »Aber warum schickt mir eine unbekannte Person eine Anzeige von vor fast sechs Wochen?«, wundert sich John. Sei's drum, noch am selben Abend setzt er sich hin und antwortet auf diese Annonce.

       Hallo liebe Unbekannte!

       Zunächst wünsche ich dir einen wundervollen Wochenbeginn. Es ist bereits sechs Wochen her, dass du diese bezaubernde Anzeige in die Zeitung gesetzt hast und sicherlich wurdest du daraufhin mit Antworten nur so überhäuft. Vielleicht hast du deinen Traumprinz ja bereits gefunden? Vielleicht gibst du uns aber auch die Möglichkeit, dass wir unser gemeinsames Glück in Zukunft teilen dürfen.

       Dafür sollst du aber zunächst etwas mehr über mich erfahren und ich hoffe, dass dir gefällt, was es zu berichten gibt. Mein Name ist John, ich bin genau wie du sechsunddreißig Jahre alt, ein Meter vierundachtzig groß und ich wiege fünfundachtzig Kilogramm. Meine Augenfarbe ist blau, ich habe dunkelblonde kurze Haare. So viel zu meinem Äußeren. Was gibt es sonst noch über mich zu sagen? Ich bin treu, kinderlieb, einfühlsam, spontan, sportlich, eigentlich auch romantisch, optimistisch, aber auch sehr realistisch.

       Geboren bin ich in Berlin, habe einige Zeit in den Staaten gelebt und seit circa dreizehn Jahren, nenne ich München meine Heimat. Momentan bewohne ich zeitlich begrenzt ein Domizil in Kaisheim. Beruflich bin ich erfolgreich in der Medienbranche tätig und bereits seit Jahren selbständig. Somit kann ich mir meine Zeit frei einteilen.

       Ich liebe es zu kochen und die Frau an meiner Seite zu verwöhnen…

      Mehrere Stunden sitzt John an diesem Brief. Nur eine Sache lässt John nicht los: Wer ist diese Katarina und woher weiß sie überhaupt, dass er sich momentan hier befindet? John schreibt ihr ebenfalls einen Brief zurück, bedankt sich für ihren Tipp und fragt sie, woher sie seinen derzeitigen Aufenthaltsort kennt. Er hört allerdings so schnell nichts mehr von ihr. Auch von der Unbekannten kommt erst einmal NICHTS.

      Aber das war ihm eigentlich von vornherein schon klar. Welcher normale Mensch antwortet schon einem Knacki? Das hat die Unbekannte bestimmt sofort herausgefunden, nicht zuletzt von dieser Katarina. Trotzdem geht John täglich in freudiger Erwartung zum Briefkasten, um leider doch nichts vorzufinden.

      Annonce abgehakt

      Zurück in meiner alten Routine dreht sich mein ganzes Leben wieder einzig und allein um meine Kinder. Morgens aufstehen, die Jungs fertig machen, in die Kita fahren, laufen gehen und dann von zu Hause aus am Rechner arbeiten, bevor ich um vierzehn Uhr wieder am Kindergarten sein muss. Jetzt, bei schönstem Wetter, mit Temperaturen seit Tagen über zwanzig Grad, sieht alles gleich wieder viel freundlicher aus.

      Die Jungs sind begeistert, heute Nachmittag stellen wir das erste Mal das Planschbecken auf. Während ich kurz in der Küche war, um einen Snack vorzubereiten, ist es schon passiert. Die beiden haben nicht nur das Planschbecken mit dem Wasserschlauch gefüllt, sondern sich zusätzlich gegenseitig