Anita B.

Zwischen Knast und Alltag


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ist doch noch viel zu kalt!«, rufe ich entsetzt. »Aber wieso denn, Mami? Die Sonne scheint doch«, antwortet Nic unschuldig. Die beiden haben ihren Spaß und reagieren entsprechend sauer, als ich sie schließlich hinausscheuche: »Auf geht‘s Jungs, ab nach oben! Ich möchte nicht, dass ihr krank werdet.« Mit Gemaule ziehen sie los Richtung Badewanne, wo die zwei Wasserratten wenige Minuten später voller Freude weiterschwimmen.

      So werden die Nachmittage draußen länger, die Grillabende häufiger und die Zeit, die ich am Computer verbringe, wieder weniger. Schnell habe ich auch vergessen, dass ich mich ja eigentlich um eine eigene Wohnung für uns kümmern wollte. Nur ab und zu merke ich, wie sehr ich mich nach einem liebevollen Partner sehne.

      Und plötzlich, nach über sechs Wochen, kommt doch noch eine Antwort auf meine Annonce, dieses Mal per Post. Meine Freude darüber verfliegt allerdings schnell, denn der Brief ist von einer Partnervermittlungsagentur. »Schade«, sage ich enttäuscht. Wäre auch zu schön gewesen, wenn nach so langer Zeit noch etwas Brauchbares dabei gewesen wäre. Nein, so viel muss ich mir selbst eingestehen, die Anzeige hat nicht das gebracht, was ich mir erhofft hatte. Scheint halt leider doch nicht so zu sein, dass die Traummänner dieser Erde nur auf meine Anzeige gewartet haben.

      Eine Antwort per Brief

      Bereits am nächsten Tag bekomme ich ganz überraschend wieder einen Brief. Dieser ist nicht von einer Partnervermittlung, sondern von einem Mann aus Kaisheim. Er klingt sogar richtig nett, individuell und schreibt total natürlich. Garantiert ist das niemand, der diesen oder ähnlichen Brief jede Woche auf eine Annonce hin abschickt. Er ist von einem John Jackson. John Jackson? John? Der Name bringt Erinnerungen zurück. Okay, Jackson ist mir unbekannt, aber John. John J.?

      Schnell verwerfe ich den Gedanken und freue mich über diesen unerwarteten Brief von dem Mann mit der wunderschönen sauberen Handschrift, etwas, was mir als Allererstes ins Auge sticht. Wo wohnt dieser John eigentlich? Im Internet suche ich sein »momentan zeitlich begrenztes Domizil in Kaisheim«, wie John es in seinem Brief so nett beschreibt. Kaisheim? Das ist ein total kleines Nest, circa zweihundert Kilometer von uns entfernt.

      Okay, hier draußen auf dem Land wollte ich sowieso nicht auf Dauer bleiben. Aber Kaisheim oder der nächstgrößere Ort, Donauwörth, muss es ja nun auch nicht unbedingt sein. Was macht er überhaupt dort, wenn er eigentlich München seine Heimat nennt? Naja, zeitlich begrenzt heißt doch, dass John in Sachen Wohnort flexibel ist, oder? Zum gegenseitigen Kennenlernen werden wir die zweihundert Kilometer wohl in Kauf nehmen müssen.

      »Oh man, Lara, du hast sie ja nicht alle. Du denkst schon wieder viel zu weit. Das ist doch gerade mal ein erster Brief!«, rede ich laut vor mich hin. In Gedanken bin ich bereits bei einer glücklichen Familie mit John Jackson, einem einfühlsamen Partner für mich und einem liebevollen Papa für die Jungs.

      Ich nutze den freien Vormittag, um John zu antworten. Leider hat er mir weder eine E-Mail-Adresse noch eine Telefonnummer mitgeschickt. »Super, was ist das denn für ein Held?«, schüttle ich den Kopf. Wie soll ich ihn denn jetzt erreichen? Ich gebe seinen Namen bei Skype ein. Prima, sofort finde ich einen John Jackson. Ich schicke ihm eine Freundschaftsanfrage und schreibe eine kurze Nachricht dazu.

      Spätestens am zweiten Tag wundere ich mich, warum er mich nicht zu seinen Kontakten hinzufügt. Gefällt ihm etwa mein Foto nicht? Klar, das muss es sein. Warum sollte er mich dann noch adden? Oder nutzt er Skype vielleicht überhaupt nicht? Und es war ein ganz anderer John Jackson, dem ich die Nachricht geschickt habe.

      Also suche ich im Internet nach seiner Telefonnummer, aber der Name John Jackson ist in ganz Kaisheim nicht zu finden. Als ich Kaisheim bei meiner Suche weglasse, taucht ein John Jackson aus München samt Firmen-Homepage und Telefonnummer auf. Ich scrolle mich ein wenig durch seine Seite. Klingt interessant, er schreibt über »Sport-Neuheiten«. Trifft sich gut, da ich mein Leben vor den Kindern komplett dem Sport gewidmet hatte. Ich suche seine Nummer raus und schicke ihm folgende SMS:

       Hallo John. Habe mich sehr über deinen lieben Brief gefreut. Ich würde mich freuen wieder von dir zu hören. Meine Telefonnummer hast du ja jetzt und meine E-Mail über die Annonce sowieso. LG und ein schönes WE! Lara

      Voller Spannung warte ich, jedoch wieder vergebens. Und dann: Oh man, bin ich blöd! John Jackson! Das ist bestimmt kein Deutscher, klingt eher nach einem Amerikaner. Sofort springen meine Gedanken drei Schritte weiter. Genial, dann können unsere Kinder doch noch zweisprachig aufwachsen.

      Als Ami wird John definitiv auf Facebook vertreten sein. Ist ja heutzutage sowieso fast jeder. Ich gebe seinen Namen ein und drücke auf Search. Oh je, davon gibt es aber viele. Ich beschränke meine Suche auf Deutschland. Drei Treffer, schon besser! Jedoch kein John Jackson in Kaisheim. Einer, leider ohne Foto, wohnt in Freising. Das wäre wenigstens nicht weit von hier und zählt theoretisch fast noch zu München. Der Nächste lebt in Trier und ist über vierzig. Das kann er also nicht sein. Und dann ist da noch einer aus München. Der hat dieselbe Firmen-Adresse angegeben, die ich vor ein paar Tagen im Netz gefunden habe und er ist mein Jahrgang. Das muss er sein! Ich schreibe ihm eine Nachricht.

      Sein Profilbild kommt mir zwar irgendwie bekannt vor, aber ich lasse den Gedanken, der seit seinem Brief durch meinen Kopf schwirrt, gar nicht erst zu. Schließlich ist das Bild äußerst unscharf! Außerdem kann es gar nicht so viele Zufälle geben. Wie um alles in der Welt sollte gerade John J. von meiner Annonce erfahren haben? Und warum sollte ausgerechnet er darauf antworten, nach über sechs Wochen. Das ist schier unmöglich. Wenn es wirklich »mein John« von damals wäre, hätte er ja auch reinschreiben können, um wen es sich handelt. Warum dann diese Geheimnistuerei mit dem Brief? Trotzdem, passen würde es irgendwie schon. In seinem Brief steht schließlich: »Ich habe einige Zeit in den Staaten gelebt.«

      Plötzlich kommen alle Erinnerungen an diese Zeit vor – Mhm, wie lange ist das jetzt wohl her? – dreizehn, vierzehn Jahren zurück.

      Rückblick

      Das war in meinem zweiten Semester in Amerika, als ich mit Katti und unserem damaligen Coach, Brandon Short, nach Kalifornien geflogen bin. Wir waren die Einzigen aus unserer Mannschaft, die in diesem Jahr an den NCAA Tennis-Finals in L.A. teilnehmen durften.

      Im Turnier konnten wir leider nicht sehr lange überzeugen, zumindest nicht im Einzel. Ich gewann die erste Runde und verlor danach sang- und klanglos gegen die achtundsiebzigste der amerikanischen Uni-Rangliste, NCAA. Ich kam mit den Windverhältnissen überhaupt nicht zurecht, spielte bodenlos schlecht und war am Ende total frustriert. Unser Trainer hatte mir eine riesige Chance gegeben, indem ich überhaupt mitfahren durfte und ich musste ihn so früh enttäuschen. Aber Los Angeles war halt nicht Memphis. Das erste Mal vor Hunderten von Zuschauern spielen, der Wind blies kräftig und ich stand völlig neben mir.

      Ich erinnere mich an diese ganze Reise noch immer, als hätten wir sie erst gestern angetreten. Und wie oft habe ich danach versucht, gerade diese Reise komplett aus meinem Hirn zu verbannen. Nicht wegen des verlorenen Matches, sondern vielmehr wegen der darauffolgenden Tage…

      Katti hatte im Einzel ebenfalls gleich verloren, aber sie sah das alles ein wenig entspannter als ich. Selbst Stunden später war ich immer noch am Boden zerstört, wollte mich am liebsten im Zimmer einschließen und bis zum nächsten Morgen dort bleiben. Doch Katti ließ nicht locker: »Wir sind nur einmal in L.A., zumindest nur einmal auf Kosten der Uni«, lachte sie. »Und ich möchte mir jetzt nicht den ganzen Abend von deiner miesen Laune kaputtmachen lassen!« Ich murmelte ein: »Okay okay, ist ja schon gut«, hüpfte unter die Dusche und dann gingen wir gemeinsam mit Coach Brandon, den wir intern »unseren Häuptling« nannten, ins TGI Friday‘s mitten in L.A. zum Essen.

      Das Lokal war enorm voll, das Essen super lecker, die Portionen groß wie üblich in den Staaten, und spätestens nach meinem Gang zur Toilette war meine schlechte Laune wie weggeblasen.

      Er war mir zuvor schon aufgefallen, als er zwei Reihen vor uns zusammen mit seinen Freunden ebenfalls auf einen freien Tisch wartete. Immer wieder schaute er zurück. Er war vielleicht