Anita B.

Zwischen Knast und Alltag


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unserer Reise komplett aus meinem Leben ausgeschlossen? Vor vierzehn Jahren wäre es garantiert einfacher gewesen, gemeinsam eine Lösung zu finden. Doch jetzt bekomme ich quasi aus dem Nichts heraus meine zweite Chance und ich sollte sie verdammt noch mal nutzen!

      Noch am selben Abend setze ich mich hin und schreibe. Ich weiß zunächst nicht einmal wie ich anfangen soll. Schließlich wird es aber ein langer Brief, in welchem ich John meine wahren Gefühle und Reaktionen auf seine Zeilen mitteile. Anschließend schreibe ich ihm, was mir die letzten Jahre wiederfahren ist und wie es mir mit meinen Kindern heute ergeht. Zuletzt entschuldige ich mich bei ihm, dass ich mich nach unserer Reise von heute auf morgen nicht mehr bei ihm gemeldet habe. Ich dachte damals wirklich, es sei das Beste für uns beide.

      Beim Schreiben dieser Zeilen habe ich beinahe vergessen, wo John sich gerade befindet. Aber so ewig kann John ja nicht mehr sitzen müssen, er ist schließlich kein Schwerverbrecher! Zuletzt verspreche ich ihm, dass ich ihn nicht noch einmal hängenlassen werde und ich ihm helfen möchte, die verbleibende Zeit im Gefängnis gut zu überstehen.

      Oh je, mir fällt es schon schwer, dieses Wort »Gefängnis« überhaupt zu schreiben. Nie im Leben würde ich jemandem erzählen können, wo sich mein Freund, wenn er es denn werden sollte, befindet beziehungsweise befunden hat.

      Irgendwie schon bescheuert, da melde ich mich vierzehn Jahre nicht bei John und dann schreibe ich ihm diesen Brief. Egal, jetzt ist er weg und es gibt kein Zurück.

      Zumindest weiß John jetzt, was ich für ihn empfinde und dass ich ebenfalls all die Jahre an ihn gedacht habe. Ein ehrliches Schreiben war ich ihm nach so langer Zeit einfach schuldig.

      Die nächsten Nächte schlafe ich unruhig. Die Geschichte von damals lässt mich einfach nicht los. Was, wenn wir uns beide komplett verändert haben und bei einem baldigen Treffen total enttäuscht werden? Vierzehn Jahre sind eine lange Zeit. John hat seitdem ebenfalls einige unglückliche Beziehungen hinter sich. Damals waren wir jung und frei und unbekümmert. Heute hat er eine Tochter, die er nicht sehen darf und ich habe zwei Kleinkinder, die ich mehr oder weniger allein großziehe. Vor allem aber haben mich die letzten Jahre ziemlich gezeichnet, was mir am meisten Sorge bereitet. John hat damals schon großen Wert auf Aussehen gelegt.

      Jetzt bin ich erstmal gespannt, was John zu meinem Brief sagen wird. Wieder sitze ich wie auf Kohlen. Diese Warterei nervt mich jetzt schon!

      Zwei Jahre – Das schaff ich nicht!

      Drei Tage später, ich gehe die Post holen, bin mir aber sicher, dass ich noch keine Antwort haben kann. Weit gefehlt, es liegt tatsächlich ein Brief von John im Kasten. Mit einem lauten »Yippie!« reiße ich ihn bereits auf dem Weg nach drinnen auf.

      Die Gefühle und Gedanken, die in diesem Augenblick durch meinen Kopf und meinen Körper jagen, sind geradezu unbeschreiblich. Es fühlt sich fast so an, als würde das erste Wiedersehen nach vierzehn Jahren in wenigen Sekunden bevorstehen. Meine Hände sind plötzlich schweißnass. Ich bin total nervös und gespannt bis zum Anschlag. Dabei handelt es sich »nur« um einen Brief. Ich setze mich auf die Treppe und fange an zu lesen.

       Hallo Lara,

       zunächst erst einmal vielen Dank für deinen herzlichen Brief. Aufgrund meines momentanen Aufenthaltsortes habe ich ehrlich gesagt nicht mit Post von dir gerechnet. Umso mehr freue ich mich über deine so lieben und aufrichtigen Zeilen. Es ist zwar jetzt schon spät, da ich hier am Abend zusätzlich noch in der Redaktion des Gefangenen-Magazins arbeite, aber ich möchte dir unbedingt gleich antworten.

      Da ist es wieder: »GEFANGENEN-Magazin«! Sofort legt sich ein Schalter in meinem Kopf um und mir wird schlagartig bewusst, wo John sich befindet und was das für uns heißt.

       Ich werde daher heute nicht allzu viel schreiben können, aber morgen Nachmittag schicke ich dir dafür noch einen zweiten Brief. Da habe ich mehr Zeit und kann dir ausführlich berichten, wie ich in diese Situation geraten bin. Ich sitze seit einem knappen Jahr in Haft, um dir diese Frage gleich zu beantworten.

      So viel konnte ich mir inzwischen auch zusammenreimen. Aber ein Jahr ist doch eh schon ewig, dann sollte John es ja bald überstanden haben.

       Ach Lara, es ist so schön von dir zu hören, dass auch du unsere gemeinsame Zeit in L.A. nicht vergessen hast und du ebenfalls das eine oder andere Mal in den letzten Jahren an mich gedacht hast. Das bedeutet mir wirklich viel. Ich konnte all die Jahre einfach nicht glauben, dass ich mich so sehr in einem Menschen getäuscht habe. Ganz verstehen werde ich deine Entscheidung von damals zwar nie, aber vielleicht gibst du uns ja irgendwann die Möglichkeit, darüber zu sprechen. Im Moment bin ich einfach nur froh, dass du dich gemeldet hast.

       Da ich zum ersten Mal im sogenannten Regelvollzug bin,

      Schon dieses Wort: »REGELVOLLZUG«, das kenne ich sonst nur aus dem Fernsehen.

       habe ich sehr große Chancen auf eine vorzeitige Haftentlassung. Bis Juli übernächsten Jahres bin ich aber wohl auf jeden Fall noch hier.

      Wie bitte? Da muss er sich vertan haben. Das sind noch über zwei Jahre! Er hat doch geschrieben, dass er nichts Schlimmes gemacht hat. Das kann also gar nicht sein. Zwei Jahre, das geht nicht!

       In circa sieben Monaten bin ich dann lockerungsberechtigt. Ab diesem Zeitpunkt kann ich erstmals Ausgänge und später Hafturlaub (Freitag bis Sonntag) beantragen.

      Sieben Monate? Und wie stellt er sich das vor? Dass wir uns jetzt sieben Monate mit einer Brieffreundschaft vertrösten oder wie? Ich habe mir doch so sehr endlich eine intakte Familie gewünscht, mit einem liebevollen Partner, der für mich und die Kinder da ist. Zwei Jahre? Das ist die Hölle! Und was mache ich jetzt? Ich hatte John doch gerade erst im letzten Brief versprochen, dieses Mal für ihn da zu sein und ihn nicht wieder fallen zu lassen. Aber ich pack das einfach nicht! Auf der anderen Seite, was sind schon zwei Jahre im Gegensatz zu den letzten fünf mit meinem Ex? Ich lese weiter.

       Deine Frage, ob ich auch Kinder, die biologisch nicht von mir sind, wie meine eigenen lieben könnte, kann ich mit einem ganz klaren »JA!« beantworten. Ich hatte vor einiger Zeit eine Beziehung mit einer Frau, die sogar drei Kinder mitbrachte. Die drei sind heute noch wie meine leiblichen Kinder, wenn ich an sie denke. Für mich ist es einfach sehr wichtig, dass Kinder in einer glücklichen Familie aufwachsen.

       Klar kann ich mir durchaus noch weitere Kinder vorstellen. Was ist mit dir? Allerdings muss dann auch alles passen. Ich bin ein absoluter Familienmensch und wenn ich noch einmal Vater werde, dann möchte ich nie wieder ohne mein Kind leben müssen! Ach Lara, ich würde dir jetzt so gerne unter die Arme greifen, dir meine Schulter zum Anlehnen anbieten, dich einfach mal in den Arm nehmen und dir die Möglichkeit geben, zur Ruhe zu kommen und zu entspannen.

      John klingt genauso einfühlsam wie vor vierzehn Jahren.

       Ich gebe dir übrigens absolut recht, am meisten kann man das Leben mit den kleinen Rackern in einer harmonischen und glücklichen Familie genießen.

      Genau so stelle ich mir seit Jahren meinen Traummann vor. Nur allein der Gedanke an John lässt mein Herz schneller schlagen.

       So, nun habe ich doch mehr geschrieben als zunächst gedacht, aber ich wollte dir unbedingt heute noch antworten, damit die Post an dich gleich morgen früh rausgeht. Ich freue mich schon jetzt auf deinen nächsten Brief und wer weiß, vielleicht muss ich gar nicht lange darauf warten?! Bis dahin wünsche ich dir eine gute Zeit und du kannst ja ab und zu an mich denken. Ganz liebe Grüße, John

      Zwei Jahre! Das muss ich erst mal sacken lassen. Mit allem hätte ich gerechnet, aber bestimmt nicht mit zwei Jahren. Mehrere Monate wären schon der absolute Alptraum gewesen, aber zwei Jahre? Das schaff ich nicht. Nur, wie soll ich das John beibringen? Hat er es nicht schon schwer genug da drin? Außerdem ist er fest davon überzeugt, dass ich mich wieder bei ihm melde. Ich dagegen bin schon bei dem bloßen Gedanken an zwei Jahre kurz vor der Aufgabe. Ich brauche Zeit, um