Anita B.

Zwischen Knast und Alltag


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      John hat recht, ich muss sie unbedingt anrufen.

       Wie letztens schon in meinem Brief erwähnt, die Sache mit dem Buch, welches ich gerade schreibe, das ist zum einen ein gutes Mittel alles zu verarbeiten und zum anderen ein perfektes PR-Tool, um zurück in die Medienbranche zu kommen. Wenn auch du dein Buch noch immer schreiben möchtest, hast du meine volle Unterstützung dafür.

      Nein, mein Buch von damals, über »Das einsame Leben eines Tennisprofis«, werde ich nicht wieder aufnehmen. Dafür bin ich schon viel zu lang raus aus diesem Geschäft. Aber wenn ich es mir recht überlege, kommen mir gerade ganz andere Ideen für ein Buch.

       Ja Süße, unser Strafrecht ist schon etwas ganz Besonderes, vor allem in Bayern! Aber da kann man leider nichts machen.

       Ach Sonnenschein, ich wäre jetzt so gern bei euch. Ich würde mich um die zwei Racker kümmern und du könntest dich ein bisschen ausruhen und verwöhnen lassen. So weit kommt es noch, dass du dich um alles selber kümmern müsstest in deiner Schwangerschaft. Konnte ich kaum glauben, als ich das gerade gelesen habe. So etwas verstehe ich wirklich nicht. Es macht mir als Mann doch Freude, wenn ich meine Frau verwöhnen kann, erst recht während der Schwangerschaft!

      Tja, da ticken einige Männer wohl ein wenig anders als John.

       Das mit den Ausgängen läuft in der Regel so ab, dass man drei Ausgänge à acht Stunden bekommt und dann ist man urlaubsberechtigt. Das heißt, man darf Freitagmittag gehen und muss Sonntagnachmittag zurück in der Anstalt sein. Etwa neun Monate vor der voraussichtlichen Entlassung kann man den sogenannten Freigänger-Status beantragen. Dann ist man fast jedes Wochenende draußen. Wie du siehst, gibt es einige Ziele, auf die wir hinarbeiten können.

      Nur, dass es bis dahin noch eine halbe Ewigkeit dauert und mir jetzt schon die Tage zu lang sind, während ich allein bin und kein anderes Ziel habe, als auf den nächsten Brief zu warten.

       Warum konntest du denn noch nicht schlafen, abgesehen natürlich von unserem kleinen Nachtgespenst?

      Weil du mir den ganzen Tag im Kopf herumgeisterst und diese Gedanken vor allem abends und nachts nicht enden wollen.

       Ich wünschte, ich könnte dir im Moment eine größere Hilfe sein.

      John hilft mir schon mehr als er denkt. Mein Leben bekommt das erste Mal seit Monaten wieder einen Sinn und eine Perspektive.

       So, nun ist es gleich halb zwei und ich werde dir (und deinem Foto) gute Nacht sagen und schlafen gehen. Ich wäre jetzt so gerne bei dir, mein Sonnenschein! Liebe Grüße, dein John

      Mit diesem Brief unter dem Kopfkissen, nachdem ich ihn zuvor noch mindestens drei Mal gelesen habe, schlafe ich ein.

      Johns Briefe tun mir gut

      Da bekomme ich also Briefe von einem Mann, der genau das zum Ausdruck bringt, was mir in einer Partnerschaft enorm wichtig ist. John klingt genauso liebevoll, wie ich es mir jahrelang vom Vater meiner Kinder gewünscht hatte. Doch von dem bekam ich leider immer wieder zu hören: »Das ist doch nur ein Film. Das ist doch nur ein Lied. Kein Mann tickt so. Lindas Mann und dein Opa sind da absolute Ausnahmen.« Irgendwann habe ich es selbst geglaubt und schließlich versucht mich damit abzufinden. Den Spaß am Leben und den Glauben an die Liebe hatte ich jedoch grundlegend verloren.

      Auf einmal ist der Mann meiner Träume wieder da. Selbst in dieser momentanen Ausnahmesituation macht er mich bereits glücklich. Er erweckt eine längst verloren geglaubte Lebensfreude in mir. Schon jetzt denke ich nur noch von Brief zu Brief. Und wenn ich heute am Briefkasten enttäuscht werde, freue ich mich zwei Stunden später schon wieder auf die Post von morgen.

      Elf Uhr dreißig, es klingelt. Hans bekommt ein Paket und ich einen Brief. Es ist wirklich erstaunlich, wie ein einziger Brief über meine Stimmung entscheidet und mein Herz schneller schlagen lässt.

       Hallo schöne Frau!

      Diesen Ausdruck kenne ich irgendwoher. Ob John sich auch noch an seine Worte bei unserer ersten Begegnung erinnert?

       So fängt die Woche gleich super an. Ich komme von der Arbeit und vor mir liegt ein Liebesbrief von dir.

      Na, na, na! So verliebt schreibe ich nun auch wieder nicht!

       Schöner wäre der Montag nur gewesen, wenn ich dich in Natura hier bei mir hätte.

      Das stimmt allerdings. Wann melden die sich jetzt endlich wegen dieser blöden Besucherzulassung?

       Ich komme gerade aus der Redaktion und bin ziemlich fertig, weil ich heute den ganzen Tag in der Arbeit schon sehr viel zu tun hatte. Schreiben möchte ich dir aber auf jeden Fall noch, damit du nicht so lange auf meine Antwort warten musst. Da mir die Augen bereits zufallen, schreibe ich dir heute nur kurz. Dafür bekommst du morgen gleich noch einen Brief von mir, okay?

      Was für ein Schatz. Ist doch klar, dass ich mich umso mehr freue, wenn ich zwei Tage hintereinander Post bekomme.

       Warum quälen dich denn momentan so viele Gedanken, meine Süße?

      Weil ich es nicht glauben kann, dass wir uns auch nach unserem Treffen weiterhin schreiben werden. Weil ich Angst davor habe, John nicht mehr zu gefallen. Weil ich Schiss habe, dass wir uns beide etwas vormachen und nur aus der Not heraus an unsere alte Liebe glauben. Weil ich deswegen nachts nicht schlafen kann. Ich könnte die Liste noch ewig fortsetzen, aber ich möchte weiterlesen.

       Bestimmt gibt es die eine oder andere »Dame«, die Interesse an meiner Person hätte, aber das beruht nicht auf Gegenseitigkeit!

      Klingt zwar gut, aber dass John schreiben und mich damit um den Finger wickeln kann, das weiß ich inzwischen. Ich bin gespannt, wie seine Zeilen NACH unserem Treffen klingen werden.

       Übrigens schreibe ich dir nicht, was du hören möchtest, sondern was ich denke und fühle. Und keine Sorge, mein Engel, solche Sätze wie: »Och, jetzt schau ich erst mal was mich hier draußen so erwartet«, musst du von mir nach meiner Entlassung definitiv nicht befürchten! Wie du weißt, bin ich in den letzten Jahren selbst oft hintergangen worden und allein schon deswegen würde ich so etwas niemanden antun. Erst recht nicht, wenn mir jemand bereits nach so kurzer Zeit schon so wichtig geworden ist!

      Diese Worte tun mir gut, verdammt gut sogar. Schön, dass John mir meine Bedenken und Sorgen sofort nehmen kann. Er geht echt auf alles ein, was ich ihm schreibe.

       Doch jetzt freue ich mich erst einmal riesig auf unser Date. Nein, wir müssen uns nicht durch eine Glasscheibe unterhalten, sondern sitzen gemeinsam an einem Tisch. Also für die Umstände, unter denen wir uns befinden, relativ normal. Es gibt solche Glasscheiben zwar, aber nur für Gefangene, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen haben. Wir haben einen sogenannten Cafeteria-Besuch.

      Ach, das ist ja nett, da können wir uns also ganz entspannt in einer Cafeteria treffen. Scheint letztlich doch lockerer zu sein, als ich das zunächst erwartet hatte. Kein Wunder, dass die Besucher und deren Hintergründe erst so lange untersucht werden müssen.

       So mein Schatz, jetzt krabble ich mal unter meine Decke und komm dich gleich im Traum besuchen. Schlaf du auch schön und träum was Süßes! Liebe Grüße, dein John

      Ich packe den Brief weg und hole die Kinder ab. Die werden sich freuen, wenn ich sie schon gleich nach dem Mittagessen abhole. Ich lade sie ins Auto und als Überraschung fahren wir ins Schwimmbad. Nic springt das erste Mal allein ins Wasser. Zunächst ist das Geschrei groß. Doch nach meiner Bestätigung, dass er jetzt »ein ganz Großer« ist und sogar schon »tauchen« kann, ist er furchtbar stolz. Da sieht er mich mit großen Augen an: »Schau mal, Mami!«, hält sein Gesicht zwei Millimeter ins Wasser und schreit: »Ich habe getaucht, ich habe getaucht!« Selbstverständlich lobe ich seine Heldentat gebührend, woraufhin Felix ihn ohne zu zögern