George Sand

Geschichte meines Lebens


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stattfindet? sie besteht ebenso gewiß, wie die Antipathie und die unüberwindliche Angst, die uns einige ganz unschädliche Thiere einflößen. Mir ist die Sympathie der Thiere so zugewendet, daß meine Freunde davon oft, wie von einem Wunder überrascht sind. Ich habe in dieser Weise die außerordentlichsten Erziehungen vollendet, aber besonders bei Vögeln. Sie sind die einzigen Geschöpfe, auf die ich jemals eine Art Zauber geübt habe — und wenn es eitel ist, mich dessen zu rühmen, muß ich bei ihnen um Verzeihung bitten.

      Ich habe diese Gabe von meiner Mutter, der sie in noch höherem Grade eigen war, als mir, so daß sie in unserm Garten immer von kecken Sperlingen, beweglichen Grasmücken und muntern Finken begleitet wurde, die in Freiheit auf den Bäumen lebten, aber zutraulich die Hände pickten, die sie fütterten. Ich möchte wetten, daß sie diesen Einfluß von ihrem Vater geerbt hatte, und daß dieser nicht durch einen Zufall der Verhältnisse veranlaßt war, Vogelhändler zu werden, sondern durch den natürlichen Hang, sich den Wesen zu nähern, mit denen er durch Instinkt verbunden war. Niemand hat Martin, Carter und van Amburgh eine besondere Macht über die Natur der wilden Thiere abgesprochen, und ich hoffe, daß man auch mir mein savoir-faire und savoir-vivre mit den geflügelten Zweifüßlern nicht abstreiten wird, die vielleicht in meinem frühern Dasein eine wichtige Rolle spielten.

      Doch Scherz bei Seite; es ist gewiß, daß jeder von uns ein bestimmtes, oft sogar leidenschaftliches Vorurtheil für oder gegen gewisse Thiere empfindet. Der Hund spielt eine außerordentliche Rolle im Menschenleben und das beruht auf einem Geheimnisse, das noch nicht vollständig ergründet ist. Ich habe eine Magd gehabt, die von der Leidenschaft für Schweine erfüllt war und vor Schmerz ohnmächtig wurde, wenn sie dieselben in die Hände des Schlächters übergehen sah; ich dagegen, obwohl ich auf dem Lande fast bäuerisch erzogen bin, wo ich mich an den Anblick dieser Thiere gewöhnt haben sollte, die bei uns in Menge gehalten wurden, habe immer eine kindische, unüberwindliche Furcht davor gehabt, so daß ich den Kopf verliere, wenn ich mich von diesen unsaubern Geschöpfen umgeben sehe; ich möchte mich hundertmal lieber zwischen Löwen und Tigern befinden.

      Vielleicht kommt es daher, weil alle die Typen, die einzeln den verschiedenen Thier-Geschlechtern zugetheilt sind, sich im Menschen wiederfinden. Die Physiognomiker haben körperliche Aehnlichkeiten nachgewiesen — wer vermöchte die geistigen zu leugnen? Giebt es nicht unter uns Füchse, Wölfe, Löwen, Adler, Maikäfer und Fliegen? Die menschliche Rohheit ist oft niedrig und wild, wie die Gier des Schweines, und auch im Menschen erfüllt mich dies am meisten mit Schrecken und Ekel. Ich liebe den Hund, aber nicht alle Hunde; ich habe sogar eine entschiedene Abneigung gegen gewisse Individualitäten dieses Geschlechts. Ich liebe sie, wenn sie ungehorsam, kühn, mürrisch und unabhängig sind, aber die Gier, die allen eigen ist, thut mir weh. Sie sind vortreffliche, in mancher Beziehung wunderbar begabte Wesen: aber in einzelnen Punkten, in denen die Rohheit des Thieres zu sehr ihr Recht behauptet, sind sie unverbesserlich. Der Hunde-Mensch ist kein schöner Typus.

      Aber vom Vogel behaupte ich, daß er das höchste Wesen der Schöpfung ist. Seine Organisation ist ganz bewunderungswürdig; sein Flug stellt ihn in materieller Hinsicht über den Menschen und schafft ihm eine Macht, die unsere Erfindungskraft noch nicht errungen hat. Sein Schnabel und seine Krallen besitzen eine unglaubliche Geschicklichkeit. Er hat den Instinkt der ehelichen Liebe, der Vorsorglichkeit, des häuslichen Fleißes. Sein Nest ist ein Meisterstück von Kunstfertigkeit, Sorgsamkeit und zierlicher Schönheit. Die Hauptart ist diejenige, in welcher das Männchen dem Weibchen in Erfüllung der Familienpflichten beisteht; in welcher der Vater, wie bei den Menschen, das Haus baut, die Kinder schützt und nährt. Der Vogel ist Sänger; er ist schön; er besitzt Grazie, Leichtigkeit, Lebhaftigkeit, Anhänglichkeit, Sittenreinheit, und man hat sehr unrecht gethan, ihn oft zum Vorbilde der Unbeständigkeit zu machen. Soweit der Instinkt der Treue den Thieren gegeben ist, ist er das treueste unter ihnen. Im oft gepriesenen Hundegeschlecht hat das Weibchen allein die Liebe der Nachkommenschaft, wodurch es über dem Männchen steht; aber bei den Vögeln stellen beide Geschlechter, die mit gleichen Tugenden begabt sind, das Ideal der Ehe dar. Man rede also nicht verächtlich von den Vögeln. Es fehlt wenig daran, daß sie uns gleichständen — und als Sänger wie als Dichter sind sie besser begabt als wir. Der Vogel-Mensch ist der Künstler.

      Da ich einmal beim Kapitel der Vögel bin — und warum sollte ich es nicht erschöpfen, da ich mir einmal unendliche Abschweifungen gestattet habe — werde ich einen Vorfall erzählen, dessen Zeuge ich gewesen bin, und den ich Büffon, diesem sanften Dichter der Natur, mitgetheilt haben möchte. Ich erzog zwei Grasmücken aus verschiedenen Nestern und von verschiedener Art: die eine mit gelber Brust, die andere mit grauem Mieder. Die Gelb--Brust, die Jonquille hieß, war um vierzehn Tage älter, als die Grau-Brust, die Agathe genannt wurde. Vierzehn Tage für eine Grasmücke — die Grasmücke ist unter unseren kleinern Vögeln am klügsten und gelangt am frühsten zur Reife — kommen zehn Jahren eines jungen Mädchens gleich. Jonquille war also ein nettes Jüngferchen, zwar noch mager und schlecht befiedert, unfähig weiter zu fliegen, als von einem Zweige zum andern, und selbst nicht im Stande allein zu fressen; denn die Vögel, die der Mensch erzieht, entwickeln sich später, als die in der Wildniß aufwachsenden. Die Grasmücken-Mütter sind viel strenger als wir, und Jonquille würde vierzehn Tage früher allein gefressen haben, wenn ich so klug gewesen wäre, sie dazu zu zwingen, indem ich sie sich selbst überließ und ihre Zudringlichkeit nicht beachtete.

      Agathe war ein unausstehliches kleines Kind; sie konnte nichts als Unruhe stiften, schreien, ihre sprießenden Federn schütteln und Jonquille quälen, die bereits anfing ernsthaft zu werden und sich in Gedanken zu vertiefen, indem sie die eine Kralle in die Federn ihres Kleides steckte, den Kopf zwischen die Schultern zog und die Augen zur Hälfte schloß.

      Indessen war auch sie noch sehr kindisch und sehr naschhaft. Und so oft ich die Unvorsichtigkeit beging, sie anzusehen, bemühte sie sich bis zu mir zu fliegen, um sich satt zu fressen.

      Eines Tages schrieb ich an einem Roman, der mich etwas erregte. Ich hatte den grünen Zweig, auf welchem meine beiden Zöglinge in Eintracht zusammen saßen und lebten, in einiger Entfernung aufgestellt. Es war etwas kühl; Agathe, die noch halb nackt war, hatte sich unter Jonquille zusammengekauert, und diese erfüllte ihre Mutter-Rolle mit großmüthiger Gefälligkeit. So saßen beide eine halbe Stunde ruhig neben einander, und ich benutzte die Zeit zum Schreiben, denn es war selten, daß sie mir am Tage so viel Muße ließen.

      Aber endlich erwachte der Hunger; Jonquille sprang auf einen Stuhl, dann auf den Tisch und löschte das Wort aus, das mir eben aus der Feder floß, während Agathe, die ihren Zweig nicht zu verlassen wagte, mit den Flügeln schlug und mir den offenen Schnabel mit verzweiflungsvollem Geschrei entgegenstreckte.

      Ich war in der Mitte meiner Entwicklung und wurde zum ersten Male etwas ärgerlich gegen Jonquille. Ich stellte ihr vor, daß sie alt genug wäre, um allein zu fressen, daß sie vor ihrem Schnabel ein vortreffliches Futter in einer hübschen Tassenschale fände, und daß ich entschlossen wäre, ihrer Faulheit nicht länger nachzugeben. Die empfindliche und eigensinnige Jonquille zog sich trotzend auf ihren Zweig zurück; aber Agathe fügte sich nicht, wendete sich zu ihrer Gefährtin und bat sie um Nahrung mit unglaublicher Beharrlichkeit. Wahrscheinlich bat sie auf sehr beredtsame Weise, oder wenn sie sich noch nicht gut auszudrücken vermochte, lag etwas in dem Ton ihrer Stimme, das ein gefühlvolles Herz zerreißen mußte. Ich Grausame sah und hörte ruhig zu und beobachtete Jonquille's sichtliche Bewegung; sie schien unschlüssig zu sein und innerlich einen außerordentlichen Kampf zu kämpfen.

      Endlich waffnet sie sich mit Entschlossenheit, fliegt mit einem Schwung bis zur Tassenschale, schreit einen Augenblick, als hoffte sie, das Futter sollte allein in ihren Schnabel kommen, doch zuletzt entschließt sie sich es selber anzugreifen. Aber o Wunder der Liebe! sie vergißt den eigenen Hunger zu stillen, füllt ihren Schnabel und kehrt auf den Zweig zurück, wo sie Agathe so geschickt und reinlich füttert, als wenn sie selbst schon Mutter wäre.

      Seit diesem Augenblicke belästigten mich Agathe und Jonquille nicht mehr. Die Kleinere wurde durch die Aeltere aufgezogen und diese erfüllte ihre Aufgabe weit besser als ich, denn Agathe wurde reinlich, glänzend und fett und lernte viel schneller sich selbst bedienen, als unter meiner Leitung. So hatte diese arme Kleine ihre Gefährtin zu ihrer Pflegetochter gemacht, obwohl sie selbst noch ein Kind war und hatte nur