George Sand

Geschichte meines Lebens


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so viel Gemüth und Adel in Favart's Briefen erzählt ist. Eine seiner letzten Neigungen war für Fräulein von Verrières [Ihr wahrer Name war Maria Rinteau und ihre Schwester hieß Genoveva. Der Name Verrières ist angenommen.], eine Opernsängerin, die mit ihrer Schwester ein kleines Gartenhaus bewohnte, das noch jetzt vorhanden ist und im neuen Centrum von Paris, inmitten der Chaussee d'Antin liegt. Fräulein Verrières hatte aus dieser Verbindung eine Tochter, die erst fünfzehn Jahre später als Tochter des Marschalls von Sachsen anerkannt und durch einen Parlamentserlaß berechtigt wurde, seinen Namen zu führen. Zur Sittenschilderung jener Zeit ist diese Geschichte ein schätzbarer Beitrag. Ich lasse hier folgen, was ich darüber in einem alten juristischen Werke gefunden habe.

      „Das Fräulein Maria Aurora, natürliche Tochter des Grafen Moritz von Sachsen, General-Feldmarschall der französischen Heere, ist getauft worden unter dem Namen der Tochter von Johann Baptist de la Rivière, Bürger von Paris und von Maria Rinteau, seiner Frau. Da das Fräulein Aurora im Begriff steht, sich zu verheirathen, wurde der Herr von Montglas durch ein Urtheil des Châtelet vom 3. Mai 1766 zu ihrem Vormunde ernannt. Die Veröffentlichung des Aufgebots verursachte Schwierigkeiten, da das Fräulein Aurora nicht gestatten wollte, als Tochter des Herrn la Rivière bezeichnet zu werden und noch weniger als Tochter unbekannter Eltern. Das Fräulein Aurora reichte eine Beschwerdeschrift beim Gerichtshofe ein, um gegen den Ausspruch des Châtelet zu appelliren. Herr Thétion, welcher bei dem Gerichtshofe für das Fräulein Aurora plaidirte, brachte den vollständigen Beweis bei, sowohl durch Aussage des Herrn Gervais, der ihre Mutter entbunden hatte, als durch Aussage der Personen, welche Taufzeugen gewesen waren u.s.w., daß sie die natürliche Tochter des Grafen von Sachsen sei, und daß dieser sie immer als solche anerkannt habe. Für den ersten Vormund, der die Sache den Gerichten übertragen hatte, gab Herr Massonnet am 4. Juni 1766, auf Antrag des Staatsanwalts, Herrn Joly de Fleury ein Urtheil ab, das den Ausspruch des Châtelet vom 3. Mai für nichtig erklärte; ferner ernannte er Herrn Giraud, Gerichtsprocurator, zum Vormunde des Fräulein Aurora und erklärte sie „im Besitz des Standes einer natürlichen Tochter von Moritz, Grafen von Sachsen; erkannte und bestätigte sie im genannten Besitz und befahl zugleichen, das Taufzeugniß umzuändern, das eingetragen ist in die Kirchenbücher der Gemeinde von St. Gervais und St. Protais zu Paris, unter dem Datum des 19. Oct. 1748, welches Taufzeugniß besagt: daß Maria Aurora u.s.w. über die Taufe gehalten ist an diesem Tage, durch Anton Alexander Colbert, Marquis von Sourdis und durch Genoveva Rinteau, als Pathen und Pathin, und an die Stelle der Namen von Johann Baptist de la Rivière, Bürger von Paris und von Maria Rinteau, seiner Frau, nach den Worten: Maria Aurora, eingeschaltet werden soll: natürliche Tochter des Grafen Moritz von Sachsen, General-Feldmarschall der französischen Armee, und der Maria Rinteau; und zwar durch den Gerichtsvollzieher unseres genannten Gerichtshofes, den Ueberbringer gegenwärtigen Urtheilspruches ec. — [Auszug aus der „Collection de décisions nouvelles et de notions relatives à la jurisprudence actuelle“ von J. B. Denisart, Procurator des Châtelet von Paris, III Theil pag. 704.]

      Ein anderer unleugbarer Beweis, den meine Großmutter der öffentlichen Meinung gegenüber geltend machen konnte, war ihre erwiesene Aehnlichkeit mit dem Marschall von Sachsen, und die Art des Schutzes, den ihr die Dauphine, Tochter des Königs August, Nichte des Marschalls und Mutter Karl's X. und Ludwig's XVIII. gewährte. Diese Prinzessin brachte meine Großmutter nach St. Cyr und übernahm die Sorge für ihre Erziehung und Verheirathung, indem sie ihr auf das Strengste verbot, mit ihrer Mutter zu verkehren.

      Aurora von Sachsen verließ St. Cyr im Alter von fünfzehn Jahren, um mit dem Grafen Horn, einem Bastard Ludwig's XV. und Statthalter des Königs in Echlestadt, verheirathet zu werden. [Anton von Horn, Ritter des Ludwigskreuzes und königlicher Statthalter der Provinz Schlestadt.] Sie sah ihn zuerst am Vorabend ihrer Hochzeit und fürchtete sich sehr vor ihm, denn sie glaubte ein Bild des seligen Königs, dem er in erschreckender Weise glich, vor sich zu sehen. Er war zwar größer und schöner, aber er sah hart und unverschämt aus. Am Abend der Hochzeitfeier, der mein Großonkel, der Abbé von Beaumont — Sohn des Herzogs von Bouillon und des Fräulein von Verrières — beiwohnte, erschien ein treuer Kammerdiener, um den Abbé, der fast noch ein Kind war, zu bitten: Alles aufzubieten, um die junge Gräfin Horn von ihrem Gatten fern zu halten. Der Arzt des Grafen von Horn wurde zu Rath gezogen und der Graf selbst erkannte seine Pflicht.

      Maria Aurora von Sachsen war also nur dem Namen nach die Gattin ihres ersten Mannes. Sie sahen sich nur bei den königlichen Festen, die ihnen im Elsaß bereitet wurden: da gab es Truppen, unter den Waffen. Kanonendonner, Schlüssel der Städte, auf goldnem Teller dargereicht. Reden der Magistratspersonen, Illuminationen, große Bälle im Stadthause und ähnliche Dinge. Es schien, als wollte die Welt durch allen Aufwand der Eitelkeit das arme kleine Mädchen trösten, einem Manne zu gehören, den sie nicht liebte, nicht kannte, und, den sie fliehen mußte, wie den Tod.

      Meine Großmutter hat mir oft erzählt, welchen Eindruck ihr, nach der Stille des Klosters, die Pracht dieser Empfangsfeierlichkeiten machte. Sie saß in einem großen vergoldeten Wagen, der von vier weißen Pferden gezogen wurde. Ihr Gemahl saß zu Pferde und trug ein prächtig besetztes Kleid. Aber die arme Aurora fürchtete sich vor dem Kanonendonner, wie vor der Stimme ihres Gatten. Nur eins machte ihr Freude — man überreichte ihr, mit königlicher Bewilligung, eine Begnadigung der Gefangenen zur Unterzeichnung. Sogleich wurden einige zwanzig Staats-Gefangene entlassen und kamen ihr zu danken. Sie weinte vor Freude — und vielleicht belohnte sie die Vorsehung für dies Gefühl, als sie später nach dem 9. Thermidor das Gefängniß verließ.

      Wenige Wochen, nachdem sie im Elsaß angekommen war, verschwand ihr Gatte inmitten einer Ballnacht. Die Frau Statthalterin tanzte fröhlich weiter. Gegen drei Uhr Morgens wurde sie heimlich benachrichtigt, daß ihr Gatte sie ersuchen ließe, einen Augenblick zu ihm zu kommen. Sie folgte der Aufforderung — aber an der Thür des Grafen blieb sie unschlüssig stehen, weil ihr einfiel, wie dringend ihr junger Bruder, der Abbé, ihr eingeschärft hatte, dies Gemach niemals allein zu betreten. Sie faßte Muth, als sie beim Oeffnen der Thüre Licht und Menschen erblickte. Derselbe Diener, der am Hochzeitstage gesprochen hatte, hielt in diesem Augenblicke den Grafen Horn, der auf einem Bette lag, in den Armen. Ein Arzt stand daneben. „Der Herr Graf hat der Frau Gräfin nichts mehr zu sagen,“ rief der Diener, sobald er meine Großmutter erblickte; „führt die gnädige Frau fort, so schnell als möglich.“ Sie sah nur noch eine große, weiße Hand, die über den Bettrand hinunterhing und die man schnell hinauflegte, um dem Leichnam eine schickliche Stellung zu geben. Der Graf Horn war soeben im Duell durch einen Degenstoß getödtet.

      Meine Großmutter erfuhr die nähern Umstände nie und hatte gegen ihren Gatten keine Pflicht mehr zu erfüllen, als die, ihn äußerlich zu betrauern. Lebend oder todt hatte er ihr nie etwas anderes als Entsetzen eingeflößt.

      Wenn ich nicht irre, lebte die Dauphine noch zu dieser Zeit und sie schickte Maria Aurora in's Kloster zurück. Gewiß ist, daß die junge Wittwe bald die Freiheit erlangte ihre Mutter zu sehen, die sie immer geliebt hatte, und daß sie diese Freiheit mit Eifer benutzte. [Die Dauphine starb 1767, meine Großmutter war also neunzehn Jahr alt, als sie mit ihr zusammen leben konnte.]

      Die Fräulein von Verrières lebten noch immer mit einander im Wohlstande; sie machten sogar ein ziemlich großes Haus, waren noch schön und doch alt genug, um von uneigennützigen Huldigungen umgeben zu sein. Diejenige, welche meine Urgroßmutter war, soll die klügste und liebenswürdigste gewesen sein. Die andere war eine Schönheit; ich weiß nicht, von welcher vornehmen Persönlichkeit sie ihren Unterhalt empfing, aber ich habe gehört, daß man sie la belle et la bête zu nennen pflegte.

      Die Schwestern lebten angenehm und mit einer Sorglosigkeit, die den freien Sitten jener Zeit entsprach. Sie „dienten den Musen“, wie man damals sagte; in ihrem Hause wurde Komödie gespielt, Herr von la Harpe spielte dort selbst in seinen ungedruckten Stücken. Aurora gab die Rolle der Melanie mit großem Erfolg. Literatur und Musik waren die einzige Beschäftigung dieses Kreises. Aurora war von engelhafter Schönheit; ihr Verstand war ausgezeichnet; durch die Gründlichkeit ihrer Bildung stand sie den aufgeklärtesten Geistern ihres Zeitalters gleich. Ihre Fähigkeiten wurden durch den Umgang, die Unterhaltung und die Umgebung ihrer Mutter noch entwickelt und ausgebildet. Ueberdies hatte sie eine prächtige Stimme, ich habe nie eine bessere