George Sand

Geschichte meines Lebens


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indessen nichts damit erreicht zu haben, denn im Alter von etwa dreißig Jahren entschloß sich Aurora meinen Großvater, Dupin von Francueil zu heirathen, der damals zweiundsechszig Jahr alt war.

      Dupin von Francueil, derselbe, den J.J. Rousseau in seinen Memoiren und Frau von Epinay in ihrem Briefwechsel nur Francueil zu nennen pflegen, war der vollendet liebenswürdige Mann des vergangenen Jahrhunderts. Er war nicht von hohem Adel, denn er war der Sohn des General-Pächters Dupin und dieser hatte den Degen mit dem Finanzsache vertauscht. Er selbst war General-Einnehmer, zur Zeit als er meine Großmutter heirathete. Seine Familie war gut und alt, und besaß vier Folianten voll Geschlechtsregister, die durch heraldische Formeln bewiesen und mit hübschen colorirten Vignetten verziert waren. Trotz alledem zögerte meine Großmutter lange, ehe sie diese Verbindung schloß, nicht wegen Dupin's vorgerücktem Alter, sondern weil er von ihrer Umgebung nicht als ebenbürtig mit dem Fräulein von Sachsen und der Gräfin von Horn angesehen wurde. Endlich wich dies Vorurtheil den Vermögensrücksichten, denn Dupin war zu dieser Zeit sehr reich. Auf meine Großmutter mochte indessen die Verlockung des Reichthums weniger gewirkt haben, als die unausgesetzte Aufmerksamkeit, die Feinheit, der Geist und der liebenswürdige Charakter ihres alten Anbeters, sowie der Widerwille, sich im schönsten Lebensalter dem Klosterzwange zu fügen. Nach zwei oder drei Jahren der Zögerung, in denen kein Tag verging, ohne daß Dupin im Sprachzimmer erschienen wäre, um mit meiner Großmutter zu frühstücken und zu plaudern, krönte sie seine Liebe und wurde sein Weib. [Es scheint, als wären ihnen von irgend einer Seite — von welcher, weiß ich nicht — Schwierigkeiten in den Weg gelegt, denn sie ließen sich in England in der Gesandtschaftskapelle trauen und ließen nachher ihre Heirath in Paris bestätigen.]

      Sie hat mir oft von dieser lange erwogenen Heirath und von diesem Großvater erzählt, den ich nie gekannt habe. Sie sagte mir, daß sie während der zehn Jahre, die sie miteinander verlebten, ihn und ihren Sohn als die theuersten Güter ihres Lebens betrachtet hätte; und obwohl sie sich nie des Ausdrucks Liebe, in Bezug aus ihn, oder irgend einen andern Mann, bediente, lächelte sie, wenn sie mich äußern hörte, daß ich es für unmöglich hielte einen Greis zu lieben. „Ein Greis liebt besser als ein junger Mann — sagte sie — und es ist unmöglich eine innige Liebe nicht zu erwiedern. Ich nannte ihn meinen alten Mann und meinen Papa, wie er es wünschte und er nannte mich immer, selbst in Gesellschaft, seine Tochter. Und dann“ — fügte sie hinzu, „war man wohl jemals alt in jener Zeit? Die Revolution hat erst das Alter in die Welt gebracht. Dein Großvater, mein Kind, war schön, elegant, fein, heiter, liebenswürdig, herzlich und von immer gleicher Laune bis zur Stunde seines Todes. In seiner Jugend war er zu liebenswürdig, um ein ruhiges Leben zu führen und ich wäre damals vielleicht nicht so glücklich mit ihm geworden, weil man ihn mir zu viel streitig gemacht haben würde. Ich bin überzeugt, daß ich sein bestes Lebensalter genossen habe und niemals ist eine junge Frau durch einen jungen Mann glücklicher geworden, als ich es war. Wir verließen uns keinen Augenblick, und nie habe ich in seiner Gesellschaft einen Augenblick der Langenweile gekannt. In seinem Geiste war eine Fundgrube von Ideen, Kenntnissen und Talenten, die sich nie für mich erschöpfte. Er hatte die Gabe sich immer in einer Weise zu beschäftigen, die für ihn selbst, wie für Andere angenehm war. Im Lauf des Tages musicirten wir miteinander. Er war ein vortrefflicher Violinspieler und machte auch seine Geigen selbst, denn er war ebensowohl Instrumentenmacher, als Architekt, Uhrmacher, Drechsler, Maler, Schlosser, Tapezierer, Koch, Dichter, Componist und Tischler; er konnte auch wunderschön sticken — ich weiß überhaupt nichts, was er nicht verstanden hätte. Das Unglück war nur, daß er bei der Uebung dieser Talente, bei den mannigfaltigen Versuchen, die er anstellte, sein Vermögen durchbrachte; aber ich sah nur die Lichtseite und so richteten wir uns auf die liebenswürdigste Weise zu Grunde. Wenn wir Abends nicht in Gesellschaft waren, saß Dupin neben mir und zeichnete, während ich Goldfäden auszupfte; oder wir lasen uns eins um's andere etwas vor, oder liebenswürdige Freunde umgaben uns und erweckten seinen feinen, fruchtbaren Geist durch anmuthiges Geplauder. Meine Freundinnen waren viel glänzender verheirathet als ich und doch wurden sie nicht müde zu versichern, daß sie mich um meinen alten Mann beneideten.“

      „Man wußte aber auch zu leben und zu sterben in jener Zeit,“ sagte sie ein anderes Mal; „und man hatte keine lästigen Gebrechen. Wer das Podagra hatte, ging trotzdem rüstig einher, ohne Gesichter zu schneiden und verbarg sein Leiden aus gutem Ton. Man war auch nicht durch Geschäfte eingenommen — was die Häuslichkeit verdirbt und den Geist schwerfällig macht. Man wußte sich zu Grunde zu richten, ohne etwas davon merken zu lassen, wie großartige Spieler, die verlieren, ohne Besorgniß oder Wunsch. Halbtodt hätte man sich noch zu einer Jagdpartie tragen lassen, und man fand, daß es besser wäre, auf dem Ball oder im Theater zu sterben, als auf dem Krankenbette zwischen vier Kerzen und von häßlichen schwarzen Männern umgeben. Man war philosophisch; man suchte nicht den Schein der Sittenstrenge, aber man besaß sie oft, ohne damit zu prunken; wenn man tugendhaft war, so war's aus Neigung und nicht um für pedantisch und prüde zu gelten. Man genoß das Leben und wenn der Augenblick gekommen war, es zu verlassen, suchte man nicht, es Andern zu verleiden. Das letzte Lebewohl meines alten Gatten war die Aufforderung, ihn so lange als möglich zu überleben und mir das Dasein angenehm zu machen. Und gewiß wird man am lebhaftesten bedauert, wenn man sich so großmüthig beweist.“

      Diese Philosophie des Reichthums, der Unabhängigkeit, der Toleranz und Leutseligkeit war gewiß angenehm und verführerisch; aber leider brauchte man fünf bis sechsmalhunderttausend Livres Renten, um sie durchzuführen, und ich begreife nicht, wie sie den Armen und Unterdrückten genützt haben könnte.

      Darum scheiterte sie vor den Sühnopfern der Revolution und die Glücklichen der Vergangenheit erhielten sich nur die Kunst, das Schaffot mit Anmuth zu besteigen. Ich gebe zu, daß dies viel ist; aber diese letzte Tapferkeit wurde ihnen erleichtert durch den tiefen Ekel vor einem Leben, das ihnen keinen Genuß mehr versprach und durch das Entsetzen vor einem gesellschaftlichen Zustande, in welchem sie — dem Princip nach wenigstens — die Rechte Aller an Wohlstand und Freude anerkennen mußten.

      Aber ehe ich weiter gehe, will ich von einer Berühmtheit der Dupin'schen Familie erzählen; einer wahren, rechtmäßigen Berühmtheit, auf deren Ehre und intellectuelle Erbschaft jedoch weder mein Großvater noch ich Anspruch zu machen haben. Diese Berühmtheit ist Madame Dupin von Chenonceaux, die nicht zu meinen Blutsverwandten gehört, da sie die zweite Frau des General-Pächters Dupin, die Stiefmutter Dupin's von Francueil war. Aber dies ist kein Grund von ihr nicht zu sprechen; und ich sehe mich um so mehr dazu veranlaßt, da diese bedeutende Frau, — trotz des Rufes, den sie sich durch Geist und Liebenswürdigkeit erwarb, und trotz der Lobsprüche, die ihre Zeitgenossen ihr spenden — in der Republik der Wissenschaften nie den Platz eingenommen hat, den sie verdiente.

      Sie war ein Fräulein von Fontaines und galt, wie J.J. Rousseau erzählt, für eine Tochter Samuel Bernard's. Sie brachte ihrem Mann eine bedeutende Mitgift zu — ich weiß zwar nicht, ob das Gut Chenonceaux ihm oder ihr gehörte — aber so viel ist gewiß, daß Beider Vermögen zusammen ein ungeheures war. In Paris hatten sie das Hotel Lambert zum Absteigequartier und konnten sich also rühmen, eins um's andere die beiden schönsten Aufenthaltsorte der Welt zu bewohnen.

      Es ist bekannt, daß Jean Jacques Rousseau der Sekretair des General-Pächters Dupin wurde, und mit ihm Chenonceaux bewohnte; daß er sich in Madame Dupin verliebte, die schön war, wie ein Engel, und daß er unvorsichtiger Weise eine Erklärung wagte, die keinen Erfolg hatte. Dessenungeachtet blieb er in freundschaftlichen Beziehungen zu ihr und ihrem Stiefsohne, Francueil.

      Madame Dupin beschäftigte sich mit Literatur und Philosophie, aber sie prunkte nicht damit und nannte sich nicht bei den Werken, die ihr Mann herausgab, obwohl ich gewiß bin, daß der größte Theil und die besten Gedanken derselben ihr angehörten. Zu diesen Werken gehört eine umfassende Kritik des „Esprit des lois“, ein gutes, wenig gekanntes und wenig gewürdigtes Buch, das zwar der Form nach dem Werke Montesquieu's untergeordnet ist, sich aber, dem Inhalte nach, in mancher Hinsicht darüber erhebt. Weil es aber freisinnigere Ideen in die Welt einführte, ging es unbemerkt neben dem glänzenden Talente Montesquieu's zu Grunde, der allen Richtungen und allen politischen Bestrebungen des Augenblicks genügte.[Das Werk wurde wenig verbreitet. Frau von Pompadour, die Montesquieu beschützte, veranlaßte Dupin, sein Werk, das schon publicirt war, zurückzunehmen.