George Sand

Geschichte meines Lebens


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      Als General-Einnehmer des Herzogthums d'Albret verlebte Dupin einen Theil des Jahres, mit seiner Frau und seinem Sohn, in Chateauroux. Sie bewohnten das alte Schloß, das jetzt als Präfecturlocal benutzt wird, dessen malerische Gebäude den Lauf der Indre beherrschen und die ausgedehnten Wiesen, die sie bewässert. Dupin, der seit dem Tode seines Vaters den Namen Francueil nicht mehr führte, gründete Tuchfabriken in Chateauroux und brachte durch seine Freigebigkeit viel Geld in die Gegend. Er war verschwenderisch, sinnlich und machte einen fürstlichen Aufwand. In seinem Gefolge waren eine Menge Musikanten, Köche, Schmarotzer, Lakaien, Pferde und Hunde. Er spendete Allen mit vollen Händen, für das Vergnügen wie aus Wohlthätigkeit; er wollte glücklich sein, aber auch Alles, was ihn umgab, glücklich machen. Das war eine andere Lebensweise, als die der Finanzmänner und Industriellen unserer Zeit; diese zersplittern das Vermögen nicht in Vergnügungen, oder aus Liebe zur Kunst, oder in den unvorsichtigen Freigebigkeiten einer veralteten aristokratischen Empfindungsweise. Sie folgen den vorsichtigen Grundsätzen ihrer Zeit, wie mein Großvater die leichtfertige Routine seines Zeitalters befolgte. Man möge indessen unsere Zeit nicht mehr als die frühere loben; die Menschen wissen noch immer nicht, was sie thun und was sie thun sollten.

      Mein Großvater starb zehn Jahre nach seiner Heirath und ließ eine große Unordnung in seinen Privatangelegenheiten, wie in seinen Geschäften mit dem Staate zurück. Meine Großmutter bewies ihren Verstand, indem sie sich an kluge Rathgeber wendete und Alles mit großer Thätigkeit betrieb. Sie liquidirte gleich, und nachdem sie Alles bezahlt hatte, sowohl den Privatgläubigern wie dem Staate, sah sie sich zu Grunde gerichtet, das heißt im Besitze von 75,000 Livres Renten. [Hier ist eine Notiz, die mir mein Vetter René von Villeneuve gegeben hat. „Das Hôtel Lambert war theils durch unsere Familie, theils durch die liebenswürdige und schöne Prinzessin von Rohan-Chadot, die intime Freundin der Frau von Dupin Chenonceaux, bewohnt. Es war ein wahrer Palast. Herr von Chenonceaux, der Sohn des Herrn Dupin, der undankbare Zögling J. J. Rousseau's, der seit Kurzem mit Fräulein von Rochechouart verheirathet war, verspielte einst in einer Nacht 700,000 Francs. Am folgenden Tage mußte diese Ehrenschuld bezahlt werden. Das Hôtel Lambert wurde verpfändet, andere Güter wurden verkauft. Von allen Kostbarkeiten, von allen berühmten Gemälden ist mir nur ein einziges, sehr schönes Bild von Lessueur geblieben: es stellt drei Musen vor, wovon eine die Baßgeige spielt. Er hat es zwei Mal gemalt, das andere Bild ist im Museum. Herr von Chenoneceaux, unser Großonkel, und unser Großvater Francueil haben zusammen sieben bis acht Millionen durchgebracht. Mein Vater, der mit der Schwester Deines Vaters verheirathet war, war zugleich der Neffe der Frau Dupin von Chenonceaux und ihr einziger Erbe. Daher kommt es, daß ich seit 49 Jahren im Besitze von,Chenonceaux bin.“ Ich werde später erzählen, mit welcher frommen Sorgfalt und mit welchem Verständniß der Kunst Herr und Frau von Villeneuve das Schloß erhalten und wieder eingerichtet haben, das zu den Meisterwerken der Renaissance gehört.]

      Die Revolution sollte ihre Mittel bald noch mehr beschränken, und in diesen zweiten Schicksalsschlag wußte sie sich nicht sogleich zu finden. Aber bei dem ersten nahm sie sich muthig zusammen, und obwohl ich nicht begreife, wie man mit 75,000 Livres Renten sich nicht für ungeheuer reich halten kann, muß ich ihr nachsagen, daß sie diese „Armuth“ mit großer Kraft und Ergebung hinnahm. Sie folgte hierbei einem Princip der Ehre und Würde, das tief in ihrer Natur lag, während sie in den Confiscationen der Revolution nie etwas Anderes sah, als Raub und Diebstahl.

      Nachdem sie Chateauroux verlassen hatte, bewohnte sie eine kleine Wohnung in der Rue du Roi de Sicile, in welcher aber noch ziemlich viel Raum sein mußte, wenn ich nach der Menge und dem Umfange der Meubles urtheile, die jetzt mein Haus enthält. Die Erziehung ihres Sohnes vertraute sie einem jungen Manne, den ich alt gekannt habe, und der auch mein Lehrer gewesen ist. Diese Persönlichkeit, die zugleich ernst und komisch ist, nimmt einen zu großen Platz in der Geschichte unserer Familie und in unsern Erinnerungen ein, um ihrer nicht besonders zu gedenken.

      Er hieß Francis Deschartres, und da er als Lehrer im Colleg des Cardinal Lemoine das Bäffchen getragen hatte, erschien er bei meiner Großmutter mit der Kleidung und dem Titel eines Abbé. Aber in der Revolution, die sich mit allen Titeln zu schaffen machte, verwandelte sich der Abbé Deschartres vorsichtigerweise in den Bürger Deschartres. Unter dem Kaiserreich wurde er Herr Deschartres, Maire des Dorfes Nohant; unter der Restauration hätte er gern seinen alten Titel wieder hervorgesucht, denn in seiner Vorliebe für die Formen der Vergangenheit war er sich gleichgeblieben. Aber er war niemals ordinirt und konnte sich überdies nicht mehr von einem Beinamen befreien, den ich ihm wegen seiner Rechthaberei und seiner wichtigen Miene gegeben hatte; er wurde nie mehr anders genannt, als der große Mann.

      Er war ein hübscher Bursche gewesen, und war es noch, als ihn meine Großmutter zu sich berief: er war wohlgekleidet, wohlrasirt, hatte ein lebhaftes Auge, pralle Waden und überhaupt einen vortrefflichen Hauslehrer-Anstand. Aber ich bin überzeugt, daß ihn auch in seiner besten Zeit Niemand ansehen konnte ohne zu lachen, weil das Wort Pedant in jeder Linie seines Gesichts und in jeder Bewegung seines Körpers auf das Deutlichste ausgedrückt war.

      Zu seiner Vervollständigung hätte gehört, daß er unwissend, unmäßig und feig gewesen wäre; aber er war im Gegentheil sehr gelehrt, sehr mäßig und tapfer fast bis zur Tollkühnheit. Er hatte alle großen Eigenschaften der Seele, verbunden mit einer unausstehlichen Gemüthsart und einer Selbstzufriedenheit, die bis zum Wahnsinn ging. Er hatte die entschiedensten Meinungen, die eckigsten Manieren, die arroganteste Ausdrucksweise. Aber wie war er aufopferungsfähig und diensteifrig, wie groß und edel war seine Seele! Guter großer Mann, ich habe Dir alle Deine Quälereien verziehen, verzeihe auch mir in jenem Leben alle tollen Streiche, die ich Dir gespielt habe, alle Possen, mit denen ich mich für Deine niederdrückende Tyrannei zu rächen suchte! ich habe wenig von Dir gelernt, aber ich verdanke Dir etwas, was mir schon oft von Nutzen gewesen ist — nämlich die Fähigkeit, trotz der Regungen meines Unabhängigkeits-Gefühles, die unerträglichsten Charaktere und die impertinentesten Meinungen lange ertragen zu können.

      Als ihm meine Großmutter die Erziehung ihres Sohnes vertraute, ahnte sie gewiß nicht, daß sie in dem Tyrann den Retter und besten Freund ihres Lebens gefunden hatte.

      In seinen Freistunden pflegte Deschartres Vorlesungen über Physik, Chemie, Medicin und Chirurgie zu hören. Er war ein eifriger Schüler Desault's und erlangte unter der Leitung dieses bedeutenden Mannes eine große Geschicklichkeit in chirurgischen Operationen. Später, als er Pächter meiner Großmutter und Maire des Dorfes war, wurden seine Kenntnisse der ganzen Umgegend sehr nützlich, um so mehr, da er sie nur aus Barmherzigkeit, ohne irgend welchen Lohn zu begehren, in Anwendung brachte. Er war so gutherzig, daß ihn weder Finsterniß noch Unwetter, weder Hitze noch Kälte, noch ungelegne Zeit verhindern konnten die verlangte Hülfe zu gewähren, wenn er auch noch so weit und durch noch so schlechte Wege zu wandern hatte. Seine Aufopferung und seine Uneigennützigkeit waren in der That bewunderungswürdig; aber er mußte nun einmal in allen Augen ebenso lächerlich als groß sein, und so trieb er es so weit, daß er seine Patienten schlug, wenn sie ihn nach überstandener Krankheit bezahlen wollten. In Betreff der Geschenke nahm er ebensowenig Vernunft an, und ich habe mehr als zehn Mal gesehen, daß er einen armen Teufel die Treppe hinunter warf, indem er ihn mit den Enten, Putern oder Hasen, die er ihm gebracht hatte, tüchtig durchprügelte. Die armen, mißhandelten Leute gingen dann mit schwerem Herzen fort und klagten: „daß der gute, liebe Herr so bösartig wäre“ — ein Anderer betheuerte im höchsten Zorn: „das ist ein Kerl, den ich todtschlüge, wenn er mir nicht das Leben gerettet hätte.“ Und Deschartres stand oben an der Treppe und schrie mit Stentorstimme: „was, Du Canaille, Du Dummkopf, Du Tölpel, Du Taugenichts! ich habe Dir Gutes gethan und nun willst Du mir nicht dankbar bleiben? Du willst mich ablohnen? Wenn Du nicht machst, daß Du fortkommst, so schlage ich Dich, daß Du vierzehn Tage im Bette liegen sollst — dann wirst Du mich wohl wieder rufen lassen.“

      Darum war der arme große Mann trotz seiner Wohlthaten ebenso gehaßt wie geachtet, und seine Heftigkeit zog ihm manches böse Zusammentreffen zu, von dem er nicht gern erzählte. Die Bauern in Berry sind geduldig bis zu einen, gewissen Grade, und man thut sehr wohl, diese Grenze nicht zu überschreiten.

      Aber ich greife immer wieder dem Laufe der Begebenheiten in meiner Erzählung vor, und bitte deswegen um Verzeihung. Wenn ich