George Sand

Geschichte meines Lebens


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nährt.

      Zu ihrem Lobe muß noch gesagt werden, daß unter allen Freunden, die J. J. Rousseau in seinem leidensvollen Alter aufgab oder beargwöhnte, sie vielleicht die einzige Persönlichkeit ist, welcher er Gerechtigkeit widerfahren läßt und deren Wohlthaten er ohne Bitterkeit gesteht. Sie war selbst gütig gegen Therese Levasseur und ihre elende Familie; sie war gütig gegen Alle und wahrhaft geachtet, denn die revolutionären Stürme, die in das königliche Schloß Chenonceaux eindrangen, verschonten das weiße Haar der alten Dame. Alle Gewaltmaßregeln beschränkten sich auf die Wegnahme einiger historischen Gemälde, die Madame Dupin den Anforderungen des Augenblicks gutwillig opferte. Jetzt ruht sie unter einem einfachen, geschmackvollen Grabstein im Park von Chenonceaux, unter dunklen, schattigen Bäumen. Möchten die Reisenden, wenn sie einen Zweig dieser Cypressen pflücken, um der tugendhaften Schönheit zu huldigen, die Jean Jacques geliebt hat, nicht vergessen, daß sie noch andere Ansprüche an unsre Verehrung hat; sie hat das Alter des biedersten Mannes jener Zeit erleichtert; sie war seine Schülerin; sie hat ihrem Gatten die Theorie der Achtung ihres Geschlechtes eingeflößt, was von dem sanften und bescheidenen Uebergewicht ihres Geistes Zeugniß giebt —. Sie hat noch mehr gethan: sie, die Reiche, die Schöne, die Mächtige, hat begriffen, daß alle Menschen gleiche Ansprüche haben an das Glück, darum laßt uns die Frau verehren, die schön war, wie die Geliebte eines Königs; tugendhaft wie eine Matrone; aufgeklärt wie ein wahrer Philosoph und gütig wie ein Engel.

      Eine edle Freundschaft, die verleumdet wurde, wie Alles in der Welt, was natürlich und gut ist, verband Francueil mit seiner Stiefmutter, und dies mußte ihm jedenfalls einen Anspruch mehr an die Liebe und Zuneigung meiner Großmutter geben. Der Verkehr mit einer Stiefmutter, wie die erste Mad. Dupin, und der mit einer Gattin, wie die zweite Mad. Dupin war, müssen über die Jugend und das Alter eines Mannes den Wiederschein eines reinen Lichtes gießen. Was die Männer Gutes oder Böses in der innersten Tiefe ihrer Seele haben, verdanken sie mehr den Frauen als den Männern und in dieser Beziehung könnte man zu ihnen sprechen: „sage mir, wen Du liebst, so werde ich Dir sagen, wer Du bist.“ In der Gesellschaft kann ein Mann die Verachtung der Frauen leichter tragen, als die der Männer. — Aber vor Gott, vor den Urtheilen der Gerechtigkeit, die Alles siebt und Alles weiß, würde ihnen die Verachtung der Frauen weit verderblicher sein. Hier wäre vielleicht der Vorwand zu einer Abschweifung gegeben; ich könnte einige vortreffliche Aussprüche meines Ur-Großvaters Dupin einschalten „über die Gleichstellung des Mannes und des Weibes in den Absichten Gottes und der Ordnung der Natur“ — aber ich werde seiner Zeit ausführlicher in der Geschichte meines Lebens darauf zurückkommen.

       Eine Anekdote »on J. J. Rousseau. — Mein Vater Moritz Dupin. — Mein Lehrer Deschartres. — Der Kopf des Pfarrers. — Der Liberalimus vor der Revolution. — Die Haussuchung. — Aufopferung Deschartres' und meines Vaters. — Nerina. —

      Da ich von Jean Jacques Rousseau und meinem Großvater erzählt habe, will ich hier eine Anekdote einschalten, die ich in den Papieren meiner Großmutter Maria Aurora Dupin gefunden habe.

      „Ich habe ihn nur ein einziges Mal gesehen, (sie spricht von Jean Jacques) und das werde ich nie vergessen. Er lebte damals schon in jener scheuen Zurückgezogenheit, mit jenem Menschenhaß belastet, der in so grausamer Weise von seinen trägen oder leichtsinnigen Freunden verspottet wurde.

      Seit meiner Verheirathung hatte ich Francueil gebeten ihn mir vorzustellen — aber das war nicht leicht. Er ging mehrere Mal zu ihm, ohne vorgelassen zu werden. Eines Tages traf er ihn, wie er die Sperlinge vor seinem Fenster mit Brod fütterte. Er war so traurig, daß er, als sie fortflogen, zu Francueil sagte: „Wissen Sie, was sie jetzt thun? sie setzen sich oben auf's Dach, um Uebles von mir auszuschreien und um zu verkündigen, daß mein Brod nichts taugt.“ —

      Ehe ich Rousseau sah, hatte ich in einem Zuge seine neue Heloise gelesen und bei den letzten Seiten fühlte ich mich so zerrüttet, daß ich lautschluchzend weinte. Francueil neckte mich sanft deswegen, ich wollte auch in seine Scherze einstimmen — aber den ganzen Tag, vom Abend bis zum Morgen konnte ich nur weinen. Sobald ich an Juliens Tod dachte, flossen meine Thränen von Neuem; ich wurde ganz krank und häßlich davon.

      Während dieser Zeit ging Francueil, der immer fein und liebenswürdig war, zu Rousseau, um ihn zu holen; wie er es anfing, weiß ich nicht, aber er zog ihn fort und brachte ihn mit, ohne mich von seinem Vorhaben zu benachrichtigen.

      Jean Jacques hatte sich nur ungern dazu verstanden; er hatte sich weder nach meiner Persönlichkeit noch nach meinem Alter erkundigt und mochte glauben, daß es sich nur darum handle, die Neugier einer Frau zu befriedigen, wozu er sich gewiß nicht willig hergab.

      Da ich von nichts benachrichtigt war, so beeilte ich mich nicht sehr mit meiner Toilette. Meine Freundin Mme. d'Esparbés de Lussan war gerade bei mir, eine der liebenswürdigsten und hübschesten Frauen der Welt, obwohl sie etwas schielte und etwas schief war. Sie verhöhnte mich, weil ich mir seit einiger Zeit in den Kopf gesetzt hatte, die Knochenlehre zu studiren; und als sie mir einige Bänder aus einem Schubfache reichen wollte, stieß sie lachend ein lautes Geschrei aus, denn das großes häßliche Skelett einer Hand hing daran.

      Francueil war schon zwei oder drei Mal gekommen, um zu fragen, ob ich fertig wäre. Er machte ein Gesicht, wie der Marquis behauptete — ich pflegte Frau von Lussan so zu nennen, und sie nannte mich ihren lieben Baron —. Aber ich bemerkte kein Gesicht an meinem Manne, und hörte nicht auf mich zu putzen. Ich ahnte ja nicht, daß der göttliche Bär in meinem Salon war. Er war mit einer halb blöden, halb grimmigen Miene hineingetreten, hatte sich in einen Winkel gesetzt und kein Verlangen gezeigt, als das, recht bald zu essen, um wieder fortgehen zu können.

      Endlich war mein Anzug fertig, und mit rothen geschwollenen Augen ging ich in den Salon hinunter. Ich bemerke einen kleinen, dicken Mann, der ziemlich schlecht gekleidet und sehr verdrießlich ist, sich schwerfällig erhebt und undeutliche Worte murmelt. Ich sehe ihn an und errathe die Wahrheit. Ich schreie, ich will sprechen — aber ich breche in Thränen aus; Jean Jacques ist durch diesen Empfang überrascht und will mir danken — aber er bricht ebenfalls in Thränen aus und Francueil, der uns durch einen Scherz erheitern will, fängt schließlich auch an zu weinen. Wir waren nicht im Stande uns etwas zu sagen; Rousseau drückte mir die Hand, aber er richtete nicht ein einziges Wort an mich.

      Wir gingen zu Tisch, um der Rührung ein Ende zu machen, aber ich konnte nichts essen; Francueil hatte keinen Witz und Rousseau stahl sich fort, sobald wir vom Tische aufgestanden waren, ohne ein Wort zu sprechen. Vielleicht war er unzufrieden, sich auf's Neue bewiesen zu sehen, wie sehr er irrte, wenn er sich für den verfolgtesten, gehaßtesten und verleumdetsten aller Menschen hielt.“

      Ich hoffe, daß meine Leser mit dieser kleinen Geschichte und mit der Art, wie sie erzählt ist, nicht unzufrieden sein werden. Für eine Frau, die in St. Cyr erzogen war, wo man nicht orthographisch schreiben lernte, ist der Styl nicht übel. Es ist freilich wahr, daß man in St. Cyr statt der Grammatik den Racine auswendig lernte und seine Meisterwerke aufführte. Es ist schade, daß meine Großmutter nicht mehr von ihren Erinnerungen niedergeschrieben hat; was ich besitze, beschränkt sich auf wenige Blätter. Die meiste Zeit ihres Lebens hat sie darauf verwendet, Briefe zu schreiben — die, wie ich wohl sagen darf, denen der Frau von Sévigné gleich stehen — oder zur Nahrung ihres Geistes eine Menge von Auszügen aus ihren Lieblingsbüchern abzuschreiben.

      Doch ich kehre zu ihrer Geschichte zurück.

      Neun Monate nach ihrer Verheirathung mit Dupin gebar sie einen Sohn, der ihr einziges Kind blieb und in der Taufe, zur Erinnerung an den Marschall von Sachsen, den Namen Moritz erhielt. Sie wollte ihr Kind selbst nähren, was freilich etwas excentrisch war; aber sie gehörte einmal zu denen, die den „Emile“ mit Andacht gelesen hatten und ein gutes Beispiel zu geben wünschten. Ueberdies war ihr mütterliches Gefühl sehr stark entwickelt; es war bei ihr fast eine Leidenschaft, die einzige, die sie jemals kannte.

      Aber die Natur widersetzte sich ihrem Begehren. Sie hatte keine Nahrung für ihr Kind. Nachdem sie einige Tage die furchtbarsten Schmerzen ertragen hatte,