George Sand

Geschichte meines Lebens


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und so dicht über diese ewige Pilgerschaft aus; der Sturm zerstört so hartnäckig die Wegweiser der Straßen, von der Inschrift, die in den Sand gezeichnet ist, bis zu den Pyramiden; so mancher unheimliche Schein erschreckt die bleichen Reisenden und führt sie in die Irre, daß wir uns nicht wundern dürfen, wenn wir noch keine wahrhafte und bestätigte Geschichte erlangt haben und noch immer in einem Labyrinth von Zweifeln irren. Die Ereignisse von gestern sind so dunkel für uns, als die Epopöen der fabelhaften Zeiten und man beginnt erst heute durch ernste Forschungen etwas Licht in dies Chaos zu tragen.

      Wie dürften wir also über diesen Schwindel erstaunen, der sich aller Geister bemächtigte, als Frankreich in die unlösbaren Wirren des Jahres 93 verfiel? Wie hätte die Leidenschaft sich dem Kampfe entziehen, wie die Unparteilichkeit die Urtheile sprechen sollen, als überall Wiedervergeltung geübt wurde, als ein Jeder, der That oder der Absicht nach, eins um's andere zum Opfer und zum Henker wurde und zwischen der erlittenen und geübten Bedrückung weder Zeit zur Ueberlegung noch zur freien Prüfung war? Die Leidenschaft des Einen wurde durch die des Andern gerichtet und das Menschengeschlecht rief, wie zur Zeit der Hussiten: „Jetzt sind die Tage der Trauer, des Eifers und der Wuth.“

      Welcher Glaube wäre also erforderlich gewesen, um sich freudig zu entschließen, mit Recht oder Unrecht zum Märtyrer dieses Fortschrittsprincipes zu werden? — und mit Unrecht zum Opfer zu werden, durch einen jener Fehlgriffe, welche zur Zeit des Sturmes unvermeidlich sind, das war am schwersten zu ertragen! denn dem Glauben fehlte das nöthige Licht und die Atmosphäre des Lebens war zu sehr getrübt, als daß sich die Sonne dem Bewußtsein des Einzelnen gezeigt hätte. Und doch wurden alle Klassen der Gesellschaft durch diese revolutionäre Sonne erleuchtet bis zur Zeit der Nationalversammlung. Maria Antoinette, das bedeutendste Haupt der Contre-Revolution von 92, war in ihrem Innern und für ihren persönlichen Nutzen ebenso revolutionär, wie es heutzutage Isabella auf dem spanischen Thron ist, wie es Victoria von England sein würde, wenn sie zwischen dem Absolutismus und ihrer persönlichen Freiheit zu wählen hätte. Die Freiheit wurde von Allen gerufen, von Allen mit Leidenschaft, mit Wuth begehrt und die Könige verlangten sie ebenso gut für sich selbst, wie das Volk.

      Aber dann kamen die, welche sie für Alle begehrten, und welche durch den Zusammenstoß der Leidenschaften verhindert wurden, sie irgend Einem zu geben.

      Sie versuchten es — und Gott möge ihnen die Mittel verzeihen, zu deren Anwendung sie sich getrieben sahen. Wir, für die sie gearbeitet haben, besitzen nicht das Recht, sie von der Höhe unserer unfruchtbaren Unthätigkeit zu verurtheilen. [Geschrieben 1847.]

      Uebrigens müssen wir bekennen, daß es in diesem blutigen Heldengedichte, in welchem jede Partei die Ehre und das Verdienst des Märtyrerthums für sich in Anspruch nimmt, auf beiden Seiten Märtyrer gegeben hat. Die Einen haben für die Vergangenheit gelitten, die Andern für die Sache der Zukunft. Noch Andere, die auf der Grenze beider Parteien standen, haben gelitten, ohne zu begreifen, aus welchem Grunde sie gezüchtigt wurden. Hätte die Reaction gesiegt, so wären sie durch die Männer der Vergangenheit verfolgt, wie sie durch die der Zukunft verfolgt wurden.

      In dieser sonderbaren Lage befand sich die edle, reine Frau, deren Geschichte ich hier mittheile. Es war ihr gar nicht eingefallen zu emigriren. Sie fuhr ruhig fort, ihren Sohn zu erziehen und versenkte sich in diese heilige Aufgabe.

      Sie hatte sich sogar darein ergeben, ihre Hülfsmittel durch die allgemeine Krisis verringert zu sehen und mit den Ueberresten von dem, was sie „die Trümmer ihres Vermögens“ nannte, hatte sie für etwa 300,000 Franks das Gut Nohant bei Chateauroux gekauft, weil ihre Verbindungen und Gewohnheiten sie im Berry fesselten.

      Sie war gerade im Begriff, sich in diese friedliche Provinz zurückzuziehen, in welcher sich die Leidenschaften der Zeit noch nicht fühlbar machten, als sie durch ein unvorhergesehenes Ereigniß hart getroffen wurde.

      Sie bewohnte damals das Haus eines Rentzahlmeisters Amonin, dessen Wohnung, wie die aller wohlhabenden Leute jener Zeit, mehrere Verstecke enthielt. Herr Amonin schlug ihr vor, hinter einem Fach des Getäfels eine Menge Silberzeug und Kleinodien zu verwahren, die theils ihr, theils ihm gehörten. Außerdem verbarg auch ein Herr von Villiers seine Adelsbriefe an demselben Orte.

      Aber diese „Verstecke“, die auf geschickte Weise in der Dicke der Mauern angebracht waren, konnten den Untersuchungen nicht entgehen, welche oft von denselben Arbeitern geleitet wurden, die sie eingerichtet hatten und sie nun zuerst verriethen. Am 5. Frimaire des zweiten Jahres der Republik (26. Novbr. 1793) wurde — auf Grund eines Erlasses, der das Verbergen solcher, dem Verkehr entzogener Kostbarkeiten untersagte — bei Herrn Amonin eine Haussuchung gehalten.

       [Der Inhalt dieses Decrets, dessen Zweck war, durch Schrecken das Vertrauen wiederherzustellen, ist folgender:

       »Art. I. Alles Gold und Silber, es mag gemünzt oder ungemünzt sein, alle Diamanten, Kostbarkeiten, Gold- und Silbertressen, und alle wertlwollen Geräthe oder Sachen, die man in der Erde vergraben, oder in Kellern, im Innern der Mauern, unter dem Dache, unter den Fußböden, in den Kaminwänden oder Röhren oder an andern Orten versteckt gefunden hat oder finden wird, sollen zum Besten der Republik weggenommen und confiscirt werden.

       Art. II. Jeder Angeber, der zur Entdeckung solcher Gegenstände führt, erhält den zwanzigsten Theil des Werthes in Assignaten.

       Art. VI. Das Gold und Silber, das Silberzeug, die Schmuckgegenstände u.s.f. werden sogleich mit einem Inventarium dem Comité der Stadtinspectoren überliefert und dieses sendet alles Gold sofort an die National-Schatzkammer, und alles Silberzeug in die Münze.

       Schmucksachen, Meubles und andere Gegenstände werden unter Aufsicht desselben Comités meistbittend verkauft und der Ertrag wird der National Schatzkammer überwiesen, die dem Convent Rechenschaft abzulegen hat (23. Brumaire, Jahr II d. R.).“]

      Ein geschickter Tischler besichtigte die Lambris, Alles wurde entdeckt; meine Großmutter wurde eingezogen und in das Kloster des Anglais rue des Fossés St. Victor gebracht, das zum Arrestlocale eingerichtet war. [In demselben Kloster hatte sie einen Theil ihrer freiwilligen Zurückgezogenheit vor ihrer zweiten Verheirathung zugebracht.] In ihrer Wohnung wurden Siegel angelegt und diese, sowie die confiscirten Gegenstände der Obhut des Bürgers und Corporals Leblanc anvertraut. Dem jungen Moritz (meinem Vater) wurde erlaubt, in seinen Zimmern zu bleiben, die einen besondern Eingang hatten und die Deschartres mit ihm bewohnte.

      Der junge Dupin, der damals kaum fünfzehn Jahre alt war, wurde durch diese Trennung wie von einem Keulenschlage getroffen; da auch sein Geist mit Voltaire und Rousseau genährt war, konnte er auf solche Vorfälle nicht vorbereitet sein. Man suchte ihm die Gefahr der Verhältnisse zu verbergen und der wackre Deschartres verschwieg seine Besorgnisse, obwohl er fühlte, daß Madame Dupin verloren wäre, wenn ihm ein Unternehmen nicht gelang, zu dem er sich ohne Zögern entschloß und das er mit ebenso viel Glück als Muth vollbrachte.

      Er wußte, daß sich unter den aufgefundenen Gegenständen einige sehr verdächtigende befanden, die bei der ersten Prüfung übersehen waren. Es waren Papiere, Akten, Briefe, welche bezeugten, daß sich meine Großmutter an einer freiwilligen Anleihe zu Gunsten des emigrirten Grafen von Artois, der später als Karl X. zur Regierung kam, betheiligt hatte. Ich weiß nicht, welche Gründe oder Einflüsse sie zu dieser Handlung bestimmt hatten; vielleicht war es der Anfang einer Reaction gegen die revolutionären Ideen, mit denen sie, bis zur Einnahme der Bastille energisch Schritt gehalten hatte. Vielleicht war sie auch durch exaltirte Rathschläge, oder durch eine geheime Regung ihres Familienstolzes dazu veranlaßt. Denn, trotz des Querbalkens der Bastarde, war sie die Cousine Ludwig's XVI. und seiner Brüder und mochte glauben, diesen Prinzen ein Almosen schuldig zu sein, obwohl sie von ihnen, nach dem Tode der Kronprinzessin, im Elende gelassen war. Ich bin überzeugt, daß sie keinen andern Beweggrund hatte, und daß sie die Summe von 75,000 Livres, die in ihren Verhältnissen ein bedeutendes Opfer war, nicht wie so viele Andere, als ein Kapital betrachtete, das ihr in der Zukunft Gunst und Lohn eintragen sollte. Sie sah im Gegentheil schon in jener Zeit die Sache der Prinzen als eine verlorne an und fühlte weder für den arglistigen Charakter Monsieurs (Ludwig XVIII.), noch für das schamlose, sittenlose